Von Arno Orzessek

In der „Zeit“ wettert Altkanzler Helmut Schmidt über das Berliner Stadtschloss. Die „Taz“ beschäftigt sich mit inkriminierten Begriffen in Kinderbüchern. Und fast alle Feuilletons berichteten diese Woche über ein Thema: die Plagiats-Affäre von Bildungsministerin Annette Schavan.
Es war die Woche, in der Annette Schavan ihren Doktortitel verlor, am Ende auch ihr Ministeramt - und die Berlinale eröffnet wurde. Womit dem seriösen Chronisten die Top-Themen bereits gesetzt wären. Uns gefällt es aber, zunächst vom Vermischten zu berichten, das wir im Feuilleton niemals missen möchten.

Rezepturen für "Abgeklärte Suppen der Aufklärung" entdeckte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG in dem Kochbuch "Thue ein Häferl Wein…" von Eva König, der Frau von Gotthold Ephraim Lessing.

"Man kann sich Lessingtagungen bei sinnloseren Übungen als dem Versuch vorstellen, das eine oder andere […] nachzukochen …"

… lästerte Leckerschmecker Jürgen Kaube.

Unterdessen wurde in England ein Leckerbissen aus der archäologischen Sparte präsentiert:

"Ladies and gentlemen, es ist die akademische Conclusio der Universität Leicester, dass es sich bei dem Individuum, dessen Gebeine nahe der Grey Friars Kirche ausgegraben wurden, tatsächlich und ohne jeden Zweifel um Richard III. handelt."

Mit diesen Worten, die in der Tageszeitung DIE WELT nachzulesen waren, hatte der Archäologe Richard Buckley den Sensationsfund verkündet.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG bezweifelte Alexander Menden, dass die Knochenfunde dem armen Richard doch noch zu einem besseren Leumund verhelfen:

"Das Bild des letzten englischen Herrschers, der auf dem Schlachtfeld starb, ist seit Jahrhunderten geprägt von einer äußerst negativen Darstellung. Thomas More, Raphael Holinshed und vor allem William Shakespeare kolportierten die Geschichte vom verwachsenen, hinterhältigen Giftzwerg und Usurpator, vom Bruder- und Neffenmörder. Damit waren sie vor allem dem seinerzeit herrschenden Hause Tudor zu Gefallen."

Brandenburgische Kurfürsten und preußische Könige haben überwiegend das Schloss genutzt, das nostalgische Berliner wieder aufbauen wollen. Für diesen Plan bekamen sie in der Wochenzeitung DIE ZEIT von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt ordentlich was auf die Ohren:

"Ich frage mich ganz grundsätzlich: Was soll das eigentlich? […] Besonders komisch finde ich aber, dass nicht Berlin das Schloss bezahlen will, sondern mal wieder der Bund dafür einspringen soll. Wer aber, bitte schön braucht ein Bundesschloss? […] Die Großartigkeit, mit der in Berlin das Geld anderer ausgegeben wird, ist phänomenal. Ich prophezeie, dass das nicht mehr lange so weitergehen wird. Irgendwann haben die anderen die Schnauze voll …"

… zog Helmut Schmidt in der ZEIT vom Leder.

Keinen Wert auf Unanstößigkeit legte auch Matthias Heitmann, der in der WELT unter dem Titel "Verteufelte Männlichkeit" behauptete:

"Die Quoten- und Sexismus-Diskussionen [hierzulande] sind Paradebeispiele für den vorherrschenden autoritären Politikansatz im Damenkleid. Mehr denn je braucht unsere Gesellschaft Menschen mit Eiern, die sich nicht gleich zu Opfern stilisieren, sondern bestehende Grenzen und Dogmen infrage stellen und sich für Neues und Besseres einsetzen. Die Werte der ‚Weiblichkeit‘ sind daher zeitgeschichtlich betrachtet Werte der fragilen Stagnation."

Im Sinne des gleichnamigen Politischen deutlich korrekter verhielt sich da schon Kinderbuchautorin Kirsten Boie, die sich in der TAGESZEITUNG zur Tilgung inkriminierter Begriffe äußerte:

"Ich habe in einem meiner frühen Bücher einmal von einer Negerkusswurfmaschine geschrieben. Inzwischen habe ich das Wort durch Schokokuss ersetzen lassen. Was spricht denn dagegen? Wenn Begriffe vorkommen, die Menschen kränken, dann muss ich die nicht mehr verwenden."

So Kirsten Boie in einem TAZ-Artikel, dessen Überschrift – "Die Heiligkeit des Textes wird über alles gestellt" – ganz sanft zur Causa Schavan überleitet.

Unter der Woche konnte noch niemand wissen, dass Annette Schavan am Samstag als Bundesbildungsministerin zurücktreten würde. Darum konzentrierten sich die Feuilletons auf den Entzug des Doktortitels durch die Universität Düsseldorf. Bestürzt zeigte sich Torsten Krauel in der WELT:

"[Schavan wird] härter angefasst als alle deutschen Steuersünder, die ihr Vermögen jahrelang durch vorsätzliche Lügen und falsche Angaben fortgesetzt und systematisch verschleiern und dem Finanzamt so ein profitables Schnippchen schlagen. Denn solche Sünder genießen spätestens 13 Jahre nach dem Veranlagungszeitpunkt Immunität […]. Schavan hingegen wird eine solche Verjährung volle 33 Jahre nach der Aushändigung der Promotionsurkunde verwehrt. […] Das ist rechtstaatlich nicht in Ordnung. Das ist unverhältnismäßig."

Warum Annette Schavan von ihrer Unschuld indessen jahrelang felsenfest überzeugt gewesen ist, das erklärte sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG mit einem Aphorismus Friedrich Nietzsches.

"‘Das habe ich getan‘, sagt mein Gedächtnis. ‚Das kann ich nicht getan haben‘, sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach."

Zwischenzeitlich gab Schavan bekannt, gegen die Aberkennung ihres Titels klagen zu wollen. SZ-Autor Schloemann hielt das für keine gute Idee:

"Nur die Wissenschaft weiß, was Wissenschaft ist."

Was Kung-Fu ist und vor allem: was Kung-Fu einmal war, das erklärt "Grandmaster", der Eröffnungsfilm der Berlinale von Wong Kar-Wai.

Bevor der Film allerdings gezeigt wurde, bekam die Berlinale als solche schon mal ihr Fett weg. Die SZ bemängelte unter dem Titel "Das Drama der ersten Nacht", dass viele Wettbewerbs-Filme – inklusive "Grandmaster" – schon längst irgendwo gelaufen sind:

"Nur mal zum Vergleich [wetterte Tobias Kniebe]: Cannes und Venedig präsentieren in ihren Wettbewerben durchgängig, praktisch ausnahmslos echte Weltpremieren. […] Wer etwas anderes vorschlägt, wird dort nicht einmal ausgelacht, man schaut ihn nur völlig verständnislos an. In Berlin ist dagegen eine Entwicklung eingetreten, die man als kontinuierlichen Abstieg beschreiben muss. Einmal in Gang gesetzt, verstärkt und beschleunigt sich dieser Prozess von selbst."

Deshalb ist die Berlinale aber noch lange nicht am Ende. Über ihren Anfang in diesem Jahr schrieb FAZ-Autor Andreas Kilb:

"Dicke Kinder in Österreich, verzweifelte Priester in Polen, Fracking in Amerika: Die Berlinale ist kein Festival zum Entspannen, sie verhandelt die Probleme der Welt. Das ist ihr Problem. Und ihr besonderer Charme."

In der nächsten Woche sicher mehr davon. Machen Sie’s gut.