Von Arno Orzessek

Dem ehrwürdigen Anthropologen Claude Lévi-Strauss gratulieren die Feuilletons mit mehr oder weniger eingängigen Artikeln zum 100. Geburtstag. Ein weiteres Thema: das beklemmende Filmdrama "Mogadischu" über die "Landshut"-Entführung, das am Sonntag in der ARD gezeigt wird.
"Dass das Leben keinen Sinn, dass nichts irgendeinen Sinn hat"

- das behauptet laut TAGESSPIEGEL ein ehrwürdiger Mann, der sich mit dem Menschlichen bestens auskennt und nun 100 Jahre alt wird: der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss, als Autor von "Traurige Tropen" und Begründer des ethnologischen Strukturalismus weltberühmt.

Die meisten Zeitungen überlassen ihre Gratulations-Artikel Fachleuten, weshalb die Lektüre oft akademische Konzentration erfordert. In der WELT jedoch beginnt Johannes Wetzel mit einer der klassischen Namens-Anekdoten:

"Als Claude Lévi-Strauss vor Jahren einmal ein Restaurant in Berkeley betrat, bat ihn der Kellner um seinen Namen, um ihn auf die Warteliste zu setzen, und fragte dann nach: 'Die Jeans oder die Bücher?'"

Der hungrige Franzose hat sich laut WELT-Autor Wetzel über die Bildung des kalifornischen Kellners sehr gefreut - umso mehr, als den Leuten in Frankreich zu Lévis-Strauss angeblich immer nur Hosen einfielen.

Ganz so schlimm dürfte es heute nicht mehr sein. Thomas Reinhardt, der historische Ethnologe, der dem hundertjährigen Kollegen sowohl im TAGESSPIEGEL als auch in der FRANKFURTER RUNDSCHAU gratuliert - durchaus mit verschiedenen Texten, wir zitieren den TAGESSPIEGEL -, sieht Lévi-Strauss nunmehr im Pantheon der Geister:

"Vom 'letzten Giganten' war jüngst (im Nouvel Observateur) zu lesen und (im Magazine Littéraire) vom 'Denker des Jahrhunderts'. Dass dies keine leeren Floskeln sind, zeigt die Veröffentlichung einer gut 2100 Seiten starken Auswahl aus den Werken von Lévi-Strauss in der renommierten Bibliothèque de la Pléiade. Spätestens mit dieser Publikation, die Lévi-Strauss in eine Reihe mit Autoren wie Proust, Shakespeare oder Goethe stellt, wird deutlich, welchen Rang man seinem Werk in Frankreich einräumt."

Mitherausgeber der Klassikerausgabe in der "Pléiade"-Bibliothek ist der Philosoph Frédèrik Keck. Ihn fragte die WELT, wie es dem 99-Jährigen denn so gehe:

"(Lévi-Strauss) liest und legt seines Kreislaufs zuliebe beim Arbeiten die Füße auf den Schreibtisch. Er empfängt Besuch, ist sehr aufmerksam, äußerst höflich. Nur Tagesnachrichten interessieren ihn nicht mehr."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG prüft Thomas Hauschild, ein weiterer Ethnologie-Professor in der Gratulantenliste, die Zukunftsaussichten des Lévi-Straussschen Werks - das in den 80er-Jahren schon einmal ziemlich out gewesen war.

"Heute kommen Lévi-Strauss’ rationelle und phantasievolle Synthesen wieder in Mode. Anstelle von exzessiver (Selbst-)Kritik ist in der Krise der nationalen Staaten und der globalen ökonomischen Netzwerke wieder Orientierungswissen gefragt. (…) In mancher Fußnote der beiden monumentalen Bände zur 'strukturellen Anthropologie' stecken noch hohe Potentiale."

Womit wir uns von der Wissenschaft ab- und der Flimmerkiste zuwenden.

Am Sonntag zeigt die ARD "Mogadischu", einen Film von Roland Suso Richter, in dem es um die Entführung des Lufthansa-Jets "Landshut" und das Terror-Jahr 1977 geht.

In der WELT lobt Eckhard Fuhr im Besonderen zwei Hauptdarsteller: Thomas Kretschmann als Flug-Kapitän und Said Taghmaoui als Boss der Entführer:

"Über weite Strecken ist das beklemmende Drama in der glutheißen Angströhre der 'Landshut' ein (…) Duell zwischen (Kapitän Schumann) und dem Chef-Entführer Mahmud um Beherrschung und Selbstbeherrschung. Wir sehen einen durch und durch zivilen Bundesrepublikaner aus einer Wirtschaftswunder-Vorstadtsiedlung im Kampf mit einem Fanatiker, der zu allem entschlossen ist."

Rundfunkstrategischer Natur sind die Gedanken, die sich Christopher Keil in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu "Mogadischu" macht:

"Was sich die ARD jetzt ins Programm holt, würde ihren Intendanten gut als Argument fürs Qualitätsfernsehen dienen können - sofern sie eine Debatte über Qualität einmal ehrlich führen wollten. 'Mogadischu' wird allerdings auch Fallhöhe für vieles im fiktionalen Angebot von ARD und ZDF werden."

Übrigens folgen am großen "Mogadischu"-Sonntag der ARD dem Richter-Film auch noch Anne Will und eine Dokumentation zum gleichen Thema. Wem das dann doch zu viel wird, der halte es mit Lévi-Strauss, lege die Füße auf den Tisch, lese dicke Bücher…

… und vergesse, bitte schön, für den Moment die Behauptung des Hundertjährigen, "dass nichts irgendeinen Sinn hat".