Von Arno Orzessek

Marx beherrscht das Feuilleton, und zwar sowohl Karl als auch Reinhard. Letzterer ist Bischof, hat ein Buch unter dem Titel "Das Kapital" veröffentlicht und bekommt dafür besserwisserische Schelte in der FR. "Das Kapital" von Karl Marx hingegen ist Gegenstand eines ungewöhnlichen Filmprojekts, wie die "Süddeutsche" berichtet.
Der Name des einen lautet Marx - Karl Marx. Der Name des anderen lautet ebenfalls Marx - Reinhard Marx. Dieser ist der gottesfürchtige Bischof von München und Freising, jener der gottlose ... Sie wissen schon!

Welche Summe herausspringt, wenn man beide Männer addiert, ist eine Frage mit sehr hohem Gaga-Faktor. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU beantwortet sie trotzdem:

"Marx + Marx = Null."

Notwendig erscheint der FR diese Rechnung, weil Marx ein Buch mit dem Titel "Das Kapital" geschrieben hat. Und zwar Reinhard Marx. Wobei der Untertitel - Ein Plädoyer für den Menschen - auch von Karl sein könnte, sofern man "den Menschen" durch "die Arbeiterklasse" ersetzt.

FR-Autor Christian Schlüter beobachtet, dass die Bezugnahme auf Karl seit längerem zur flachen Mode verkommen ist:

"Ganz gleich ob Sozial- oder Christdemokraten, ob Bürgerliche oder auch Faschisten: Die Berufung auf Karl Marx und sein 'Kapital' verspricht immer noch, den Laden mal ganz gehörig aufzumischen - wohliger Schauder, vollkommen folgenlos."

Im weiteren verabreicht Schlüter den Lesern ein veritables Proseminar. Karl Marx sei ohne Hegels "Wissenschaft der Logik" unverständlich, die geschichtsphilosophische Perspektivierung der eigentliche Kern des Marxschen Verfahrens und so weiter - als dürfe man Marx nur so wortgetreu lesen, wie dessen Namensbruder Reinhard die Bibel.

Nachdem FR-Autor Schlüter sein Wissen über den Dialektiker Karl fünfspaltig ausgebreitet hat, folgt erwartbar die Abwatschung des Bischofs:

"Die nur fahrlässig zu nennende Ausblendung der bei Karl Marx systematisch entfalteten Geschichtsphilosophie führt zu einer Ausblendung des für Reinhard Marx' Glauben wesentlichen Messianismus. Schließlich sind beide, Geschichtsphilosophie und Messianismus, eng verwandt."

Es tut uns leid - irgendetwas an diesem Artikel riecht streng nach Besserwisserei.

Was man von Fritz Göttlers Beitrag "Im Steinbruch der Geschichte" in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nicht sagen kann.

Göttler war dabei, als Alexander Kluge im Münchener Filmmuseum sein DVD-Projekt "Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx - Eisenstein - Das Kapital" vorgestellt hat - ein Werk, das in der Filmedition Suhrkamp erscheint.

Worum es Alexander Kluge über 580 DVD-Minuten geht - vorgestellt wurden zunächst nur 85 davon -, beschreibt Fritz Göttler so:

"Über Eisenstein will er zurück zum elementaren Marx, im Zentrum steht dabei ein Wahnsinnsprojekt, das auf den ersten Blick wie eine komplette Schnapsidee wirkt, das aber schnell eine eigene Logik entwickelt: Das 'Kapital' in einen Film zu verwandeln."

Laut SZ-Filmredakteur Göttler geht Alexander Kluge mit Karl Marx so um, wie es Christian Schlüter in der FR Reinhard Marx untersagt:

"Marx hat nichts Dogmatisches für Kluge, er liebt an ihm die Bewegung der Waren, den Tausch, die Metamorphosen. Er will seine Naivität reaktivieren, seine Magie, in der schon eine Sehnsucht nach der verlorenen Naivität der Antike steckt: Alle Dinge sind verzauberte Menschen."

Es sei erwähnt, dass im nebenstehenden SZ-Artikel Sonja Zekri davon berichtet, wohin der kapitalistische Furor führen kann, wenn es mal nicht so läuft, also so läuft wie jetzt:

"Der Gazprom-Turm in Sankt Petersburg, ein 396 Meter hoher Entwurf des Londoner Büros RMJM Architects, wird wohl nicht gebaut."

SZ-Autorin Zekri findet es bedenklich, dass keiner der Wettbewerbsteilnehmer - darunter die Architekten Jean Nouvel, Massimiliano Fuksas und Daniel Liebeskind -, die enorme Höhe des geplanten Turmes nahe der Petersburger Altstadt hinterfragte.

"Der fertige Bau hätte nicht nur das Smolny-Kloster auf der andere Seite der Newa überragt, sondern das gesamte, von der Unesco geschützte Herz der Stadt."

Wir denken an den Turmbau zu Babel und an die klugen Artikel, aus denen wir zugunsten von Marx & Marx nicht zitiert haben, darunter "Königin des Kapitals" in der WELT - gemeint ist die auferstandene Grace Jones - und "Das liebe Geld, die armen Leut" in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, die Alban Bergs "Wozzeck" in der Münchener Staatsoper bespricht. Was auch die SZ tut - unter dem Titel "Naturlaut und Klassenkampf".

Marx, das Diskursgespenst, lebt. Aber in FAZ steht:

"Der Grabstein ist schon gemeißelt."