Von Arno Orzessek

Angesichts der weltweiten Finanzkrise diskutierten etliche Feuilletons über Moral und Philosophie in der Wirtschaft. Die "Frankfurter Allgemeine" kommentiert das Thema gar unter dem Titel: "Die Krankheit des Geldes".
Auch im Feuilleton der vergangenen Woche nahmen die Finanzkrise und deren Folgen auf das gegenwärtige Zeitalter viel Raum ein. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG studierte Uwe Justus Wenzel in der Rubik "Zeitzeichen" die "Philosophie des Geldes", den Klassiker des Kultursoziologen Georg Simmel. Wenzel paraphrasierte:

"(Für Simmel) zeichnet sich der allgemeine 'Stil des Lebens', den das Geld als Lebensmacht mit sich bringt, zwar durch eine 'gewisse Charakterlosigkeit' und Gleichgültigkeit aus (…). Aber das Geld sei doch andererseits auch die 'Pflanzstätte' des Individuums und der 'Torhüter' der Innerlichkeit. Es ermöglicht also, wenn alles gut geht, individuellen Charakter und persönlichen Stil. Wer beides hat, tanzt nicht ums Goldene Kalb."

Um den Lesern zu erklären, warum sie von ihrer Tageszeitung auf solche abstrakten Höhen entführt werden, erklärte Uwe Justus Wenzel im unvergleichlichen NZZ-Stil: Das Geldwesen habe halt "nicht nur eine ökonomische Seite" und Georg Simmel habe…

"… entsprechende Gedankenfäden gesponnen, die man auch in einer Zeit der Finanzkrise aufnehmen kann."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sprach mit dem Wiener Soziologen Sighard Neckel über Moral im Kapitalismus. Von einer Rückkehr zu den alten Werten hält Neckel gar nichts - denn dabei werde unterstellt "dass sich der enthemmte Marktkapitalismus als ganz und gar amoralisch verstanden hätte".

Laut Neckel war das keineswegs der Fall:

"Vielmehr ist der Öffentlichkeit mehr als ein Jahrzehnt lang der Wert der Selbstverantwortung als moralisches Curriculum verordnet worden. Wir sollten deshalb nicht mehr tun, als die Finanzeliten jetzt an jene Werte zu erinnern, die sie selbst propagiert haben."

Sighard Neckel erwähnte im FR-Interview auch, dass sich zu Balzacs Zeiten Bankiers bei einem Bankrott "am besten erschossen" hätten, und fügte - ironisch oder nicht - hinzu:

"Bisher habe ich (…) noch kein Blut gesehen."

Unter dem Titel "Die Krankheit des Geldes" versuchte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Frank Schirrmacher in einem - gelinde gesagt - sprunghaften Artikel, den Vergleich der gegenwärtigen Krise mit derjenigen der Weimarer Republik im Jahr 1929 als theoretischen Irrweg zu entlarven. Schirrmachers dann leicht verständliches Resümee:

"Die Politik wäre gut beraten, den Menschen zu sagen, dass sie nicht in der Lage von 1929 sind. (…). Wir Menschen des Jahres 2008 sind Menschen, die wissen, dass es ein 1929 gab."

Die düsterste, aber wohl auch klügste Gegenwartsanalyse der Woche schrieb der Literaturwissenschaftler Albrecht Koschorke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Nicht nur der Finanzmarkt verspielt die Zukunft, warnte Koschorke, das große Ganze befinde sich auf dem Holzweg:

"Inzwischen gilt es als unhinterfragbare Prämisse, dass moderne Volkswirtschaften wachsen müssen, um stabil zu bleiben (…). Sie geraten dadurch unter den Zwang, kurzfristige Anleihen bei ihrer Zukunft zu machen, die sie als langfristige Schuldenlast nicht mehr abbezahlen können."

Es sei dahingestellt, ob der neue amerikanische Präsident - er heiße McCain oder Obama - daran irgendetwas ändern können wird. Dass jedoch beide Kandidaten wie auch ihre designierten Vize-Präsidenten mit religiös gefärbten Bekenntnissen und dezenter Erlöser-Attitüde um Stimmen werben, ist unstrittig.

In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG untersuchte der Religionsphilosoph Otto Kallscheuer die religiöse Rhetorik und zeigte sich mit Blick auf Sarah Palin als Spezialist für Glaubensmilieus:

"Mit 'Hurricane Sarah' kandidiert erstmals eine Pfingstlerin für die Führung der USA. Als Katholikin getauft, liess sie sich als 'wiedergeborene Christin' in der 'Wasilla-Assembly of God' neu taufen. In der Pfingstbewegung mir ihrer charismatischen, in Zungen redenden, zuweilen Wunderheilungen bewirkenden Spiritualität bilden die 'Gottesversammlungen' die größte Gemeinschaft."

TAGESZEITUNG-Autor Tobi Müller untersuchte die Wahlkampf-Rhetorik unter der Fragestellung, welcher Kandidat den "US-Frontier-Mythos" besser erzählen könne.

"Die Frontier [so Tobi Müller] ist das Bild der identitätsbildenden Begegnung mit dem Unstrukturierten. An der Grenze zum Chaos, 'out there'. Dort geschieht die Verwandlung vom Unamerikanischen ins US-Amerikanische."

Barack Obama war anders als John McCain nie im Krieg - ein Missstand, der laut TAZ-Autor Müller durch das Wall-Street-Desaster womöglich ausgeglichen wird:

"Die entfesselte Finanzkrise, das Chaos und sein Abgrund ermöglichen Barack Obama nun vielleicht jene metaphorische Frontier-Erfahrung, die ihm bislang gefehlt hat. Der Finanzkapitalismus, das ist die Wilderness (…). Sie gilt es zu zähmen."

Als Film der Woche kommt am ehesten "Let’s Make Money" in Frage, ein dokumentarisches Werk des österreichischen Autors und Filmemachers Erwin Wagenhofer.

In der WELT beschrieb Hanns-Georg Rodek die Ansichten der Spekulanten, die Wagenhofer auf der Spur des Geldes getroffen hat.

"Mark Möbius, Verwalter von 50 Milliarden Dollar im Templeton-Privatfonds, glaubt nicht, 'dass ein Investor verantwortlich ist für die Ethik, für die Verschmutzung oder das, was eine Firma verursacht, in die er investiert'".

Natürlich konnte man sich in der vergangenen Woche mit Feuilleton-Artikeln zu Harald Schmidts Auftritt in der Stuttgarter Hamlet-Inszenierung oder zur Kafka-Tagung in Liblice ablenken.

Aber eigentlich brauchte man nicht nur Ablenkung, man brauchte "Ein Quantum Trost". So heißt, passend zur jüngsten Kapitalismuskrise, der neue "Bond".

In der Samstags-Ausgabe der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG reflektierte Susanne Ostwald über die Neuerungen in "Ein Quantum Trost" - zum Beispiel dass Bond kein Frauenvernascher und Sprücheklopfer mehr ist, sondern "fehlbar und inkonsequent, liebend und hassend, geschüttelt und gerührt".

NZZ-Autorin Ostwald resümierte:

"Am Ende bleibt man etwas ratlos ob der nun eingeschlagenen Richtung der Bond-Reihe. (…) Doch es bleibt ein Quentchen Trost: Bond will return."

Und wenn es soweit ist - sagen wir -, wird Bond die Welt vom Kapitalismus erretten müssen. Alles andere wäre nicht genug.