Von Arno Orzessek

Die "Süddeutsche Zeitung“ macht sich über das notwendige Ausmaß von Strenge bei Lehrern Gedanken. Zudem lästert das Feuilleton desselben Blattes über Jeff Koons, während die "Welt“ für den Künstler in die Bresche springt.
Zweimal wird das Samstags-Feuilleton der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG richtig giftig, wobei der erste Fall auch Leser der FRANKFURTER ALLGEMEINEN interessieren dürfte. Diese hatte am 5. September Bernhard Bueb, dem Ex-Internatsleiter und Anhänger des Führerprinzips in Rahmen schulischer Erziehung, viel Raum für ein Destillat seines neuen Buches "Von der Pflicht zu führen" eingeräumt.

"Die kalkulierte Provokation mit vorbelastetem Vokabular ist […] gar nicht das entscheidende Problem. Das gehört zur Bueb-Folklore. Für die gesamte Argumentation ist problematischer, dass sich der Autor eben die Strenge, mit der er auftritt und die er fordert, gedanklich leider nicht selbst verordnet hat","

schreibt nun SZ-Rezensent Jens-Christian Rabe. Rabe kritisiert in der SZ, Bueb setze ohne jedes Argument voraus, "dass Bildung Führung" brauche - mit dem Nebeneffekt, dass Lehrern die "Rolle der Führenden" quasi naturgesetzlich zufällt.

Rabe lästert, dass sich angesichts der "ausufernden Redundanz" die "rund 170 Seiten wohl ohne weiteres auf dreißig oder, mit straffer Disziplin, auf zwanzig Seiten" kürzen ließen.

Rabe weist Bueb "frappante Widersprüche" nach und schließt maliziös:

""Ratlos schlägt man das Werk zu, das am Ende nicht mehr zu sein scheint, als die traurige Folge eines blinden Lösungsfetischismus und solitären Machertums. Beides kann sich nur bei dem ausbilden, der sich geistig vom Führen hat verführen lassen."

Von der Ausstellung "Jeff Koons Versailles" kein bisschen verführt worden ist Johannes Wilms. Er schimpft in selbiger SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Die Plastiken Jeff Koons entfalten in Versailles keinen Dialog [mit den Prachträumen], sondern verharren in einem Schweigen, bei dem einen der Verdacht anwandelt, dass sie nichts zu sagen haben. Das Geheimnis, das sie damit verraten, ist ihr Widerspruch zwischen materialem Aufwand und innerer Leere. Im einstigen Palast der französischen Könige steht der Künstler-Kaiser Jeff Koons nackt da."

Weil SZ-Autor Wilms den Künstler Koons genauso zweitklassig findet wie wir, hier noch seine Reflexion über die "geradezu monumentale Witzlosigkeit" des Amerikaners:

"Der dem Kunstmarkt eigentümliche Horror Vacui hat diesen manifesten Mangel […] zu einer avantgardistischen Tugend erhoben und das Werk […] flugs mit dem Etikett ‚Post-Pop’ geadelt. Solche Nomenklatur immunisiert gegen Infragestellung, während der Beweis für die revisionsfeste Richtigkeit dieser Behauptung mittels der astronomischen Preise erbracht wird, die Artefakte von Koons auf dem Markt erzielen."

Nun, man kann auch kunsthistorische Argumente für Jeff Koons mobilisieren. Eben das tut Johannes Wetzel, der in der WELT die "Verwandtschaft von Post-Pop mit Barock und Rokoko" hervorhebt:

"Deswegen können Jeff Koons aufgepumpte Spielzeug-Objekte in den mit Gold und Stuck, Samt und Seide ausgefüllten königlichen Prunkräumen bestehen. An Stelle der Mythen sind die Ikonen, an Stelle von Herkules und Diana sind Michael Jackson und Cicciolina getreten."

Dass die rosa Aufgeblasenheit der Koonsschen Kunst von Johannes Wilms und Johannes Wetzel so unterschiedlich beurteilt wird, ist natürlich feuilletonistischer Alltag.

Man beachte auch, was Gerhard Stadelmaier in der FAZ zur Wiener "Urauflügung" von "Die Judith von Shimoda" nach Berthold Brecht - besser gesagt: nach Urheber Yamamoto Yuzo - schreibt. Der ganze Theaterabend, so Stadelmaier, lohne sich wegen eines Gesichts:
"Das Gesicht Mavie Hörbigers. […] Schmal, scharf geschnitten, wie mit leichtem Ironiesternenstaub weiß gepudert, die Augen als intelligible Sprengkapseln nach allen Richtungen in Stellung bringend."

"Augen als intelligible Sprengkapseln" - hat die FRANKFURTER RUNDSCHAU nicht gesehen. "Diesmal brav und blass: Mavie Hörbiger als Okichi" heißt die Bildunterschrift unter Stefan Keims Kritik.

Und das Stück als solches? Für Keim "eine spannende Geschichte mit klaren Parallelen in die Gegenwart", für SZ-Autor Egbert Tholl dagegen "eine fast infantile Basisversion eines Lehr¬stücks".

Womit wir uns - erschöpft von Widersprüchen - für heute dem Strudel der Beliebigkeit über¬lassen.