Von Arno Orzessek
Die Feuilletons erinnern an den Pop-Art-Künstler Andy Warhol, der 1987 an einer Gallenoperation starb, anlässlich seines 80. Geburtstages. Die "SZ" reflektiert über Messianismus und Opferverständnis von Präsident Mahmud Ahmadinedschad.
Auch unter den großen Toten unserer Kultur gibt es viele, die das Feuilleton nur zu den runden Jubiläen feiert, die sich durch 25 teilen lassen.
Nicht so bei Andy Warhol. Er würde, wenn er die Folgen seiner Gallenoperation von 1987 überlebt hätte und auch sonst nicht gestorben wäre, an diesem Mittwoch 80 Jahre alt – was der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG eine ganze Sonderseite abzüglich linker Spalte wert ist.
Georg Diez erklärt den Nachgeborenen jene Epoche, in der Warhol zum Größten im Pop-Universum aufstieg, mit den Worten:
" Es waren die Jahre, als die Jugend die Welt eroberte, eine Welt, die als Währung von nun an nur noch eines akzeptierte, nach dem sie alles maß: Ruhm. "
Eigentlich misst man ja etwas ‚an’ diesem oder jenem und nicht ‚nach’ diesem oder jenem – aber darüber lässt sich hinweg lesen, denn SZ-Autor Diez interpretiert Warhol überzeugend als Medium des Zeitgeistes:
" Er hatte das alles kommen sehen, das neue Zeitalter, als einer der Ersten – nicht weil er besonders klug war, sondern weil er besonders, wie soll man sagen, nicht dumm, nicht naiv: weil er durchlässig war, fast passiv manchmal, es einfach geschehen ließ. "
Wie zum Beweis der Diezschen These zitiert im TAGESSPIEGEL Christian Schröder eine schöne Passage aus Warhols Autobiografie "POPism":
"War man erstmal von Pop ‚infiziert’, sah man kein Schild mehr so wie zuvor. Und dachte man erstmal in Pop-Kategorien, sah man Amerika nie mehr wie zuvor. Etwas mit einem Etikett zu versehen, ist ein großer Schritt – man nimmt es nie mehr ohne Etikett wahr."
Soweit Andy Warhol im TAGESSPIEGEL.
Allenthalben wird auch "Factory Girl" besprochen, der Film von Regisseur George Hickenlooper über das kurze Leben der Warhol-Gefährtin Edie Sedgwick. In der WELT hat Harald Peters an diesem Streifen so viel zu mäkeln, dass man generelle Pop-Skepsis herauszuhören meint. Lakonisch, wenn nicht höhnisch schreibt Peters:
" Auch wenn man nicht genau sagen kann, was [Edie Sedgwicks] Verdienste eigentlich sind, hat sie doch geschafft, alle wirklich interessanten Themen in sich zu vereinen: Geld, Glamour, Drogen, Kunst, Sex, Wahnsinn und früher Tod. Dummerweise hat […] Hickenlooper aber einen wirren, langweiligen, dramaturgisch untauglichen, flachen und auch völlig unglamourösen Film über Sedgwick gedreht. Auch das ist natürlich eine Leistung, "
ätzt Harald Peters in der WELT.
Nicht minder böse äußert sich Brigitte Werneburg in der TAGESZEITUNG, zumal über die Hauptfigur:
" Das Groupie […] müsste erst noch erfunden werden, das mit solcher Einfalt alles hinnimmt wie Sienna Millers Factory Girl – die Vergötterung durch Warhol gleichermaßen wie die Verdammnis durch ihn. […] Wen bitte, interessiert ein solches Huhn? "
Lange Zeit auf dem Gipfel des Ruhms hielt sich die von Andy Warhol geförderte Band "Velvet Underground", deren Gitarrist und Sänger Lou Reed im vergangenen April die Musikerin und Performancekünstlerin Laurie Anderson geheiratet hat. Anderson führte nun ihre Produktion "Homeland" beim Lincoln Center Festival in New York auf – und bekommt dafür in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG keine Blumen:
" [Laurie Anderson] hat zwar ihre Standardausrüstung zwischen Elektrogeige und Stimmfilter mitgebracht, und ihr elegischer, immer leicht umhallter und benebelter Grundton […] hat sicher seinen atmosphärischen Reiz. Der gesamte Abend dehnt sich aber zur stetig dahinplätschernden, bald schon ziemlich faden Angelegenheit. "
Womit wir Amerika verlassen und abschließend ins Land der Feinde ziehen: in den Iran. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG reflektiert Katajun Amirpur über Messianismus und Opferverständnis von Präsident Mahmud Ahmadinedschad.
" Jeder einzelne Iraner, der einem Angriff der USA oder Israels zum Opfer fiele, würde zum Märtyrer. Deshalb trifft auch das Argument nicht, dass Ahmadinedschad doch keinen Angriff provozieren würde, weil er die Sicherheit seiner Bevölkerung nicht gefährden würde. In seiner Geisteswelt kann jeder Gläubige sich glücklich schätzen, als Märtyrer gestorben zu sein, "
schreibt SZ-Autorin Amirpur.
Was uns auf einen ketzerischen Gedanken bringt. Andy Warhol hatte einst jedem 15 Minuten Ruhm versprochen. Aber erbeuten islamistische Selbstmordattentäter nicht sogar Ruhm, der länger als 15 Minuten hält? Hätte Warhol heute ihre Porträts auf Siebdrucken gebannt?
Vieles spricht dafür. Mördern wie Mao hat Warhol seinerzeit die künstlerische Referenz erwiesen. Das Pop-Universum steht auch Attentätern offen. Und Ruhm war noch nie eine moralische Kategorie.
Nicht so bei Andy Warhol. Er würde, wenn er die Folgen seiner Gallenoperation von 1987 überlebt hätte und auch sonst nicht gestorben wäre, an diesem Mittwoch 80 Jahre alt – was der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG eine ganze Sonderseite abzüglich linker Spalte wert ist.
Georg Diez erklärt den Nachgeborenen jene Epoche, in der Warhol zum Größten im Pop-Universum aufstieg, mit den Worten:
" Es waren die Jahre, als die Jugend die Welt eroberte, eine Welt, die als Währung von nun an nur noch eines akzeptierte, nach dem sie alles maß: Ruhm. "
Eigentlich misst man ja etwas ‚an’ diesem oder jenem und nicht ‚nach’ diesem oder jenem – aber darüber lässt sich hinweg lesen, denn SZ-Autor Diez interpretiert Warhol überzeugend als Medium des Zeitgeistes:
" Er hatte das alles kommen sehen, das neue Zeitalter, als einer der Ersten – nicht weil er besonders klug war, sondern weil er besonders, wie soll man sagen, nicht dumm, nicht naiv: weil er durchlässig war, fast passiv manchmal, es einfach geschehen ließ. "
Wie zum Beweis der Diezschen These zitiert im TAGESSPIEGEL Christian Schröder eine schöne Passage aus Warhols Autobiografie "POPism":
"War man erstmal von Pop ‚infiziert’, sah man kein Schild mehr so wie zuvor. Und dachte man erstmal in Pop-Kategorien, sah man Amerika nie mehr wie zuvor. Etwas mit einem Etikett zu versehen, ist ein großer Schritt – man nimmt es nie mehr ohne Etikett wahr."
Soweit Andy Warhol im TAGESSPIEGEL.
Allenthalben wird auch "Factory Girl" besprochen, der Film von Regisseur George Hickenlooper über das kurze Leben der Warhol-Gefährtin Edie Sedgwick. In der WELT hat Harald Peters an diesem Streifen so viel zu mäkeln, dass man generelle Pop-Skepsis herauszuhören meint. Lakonisch, wenn nicht höhnisch schreibt Peters:
" Auch wenn man nicht genau sagen kann, was [Edie Sedgwicks] Verdienste eigentlich sind, hat sie doch geschafft, alle wirklich interessanten Themen in sich zu vereinen: Geld, Glamour, Drogen, Kunst, Sex, Wahnsinn und früher Tod. Dummerweise hat […] Hickenlooper aber einen wirren, langweiligen, dramaturgisch untauglichen, flachen und auch völlig unglamourösen Film über Sedgwick gedreht. Auch das ist natürlich eine Leistung, "
ätzt Harald Peters in der WELT.
Nicht minder böse äußert sich Brigitte Werneburg in der TAGESZEITUNG, zumal über die Hauptfigur:
" Das Groupie […] müsste erst noch erfunden werden, das mit solcher Einfalt alles hinnimmt wie Sienna Millers Factory Girl – die Vergötterung durch Warhol gleichermaßen wie die Verdammnis durch ihn. […] Wen bitte, interessiert ein solches Huhn? "
Lange Zeit auf dem Gipfel des Ruhms hielt sich die von Andy Warhol geförderte Band "Velvet Underground", deren Gitarrist und Sänger Lou Reed im vergangenen April die Musikerin und Performancekünstlerin Laurie Anderson geheiratet hat. Anderson führte nun ihre Produktion "Homeland" beim Lincoln Center Festival in New York auf – und bekommt dafür in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG keine Blumen:
" [Laurie Anderson] hat zwar ihre Standardausrüstung zwischen Elektrogeige und Stimmfilter mitgebracht, und ihr elegischer, immer leicht umhallter und benebelter Grundton […] hat sicher seinen atmosphärischen Reiz. Der gesamte Abend dehnt sich aber zur stetig dahinplätschernden, bald schon ziemlich faden Angelegenheit. "
Womit wir Amerika verlassen und abschließend ins Land der Feinde ziehen: in den Iran. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG reflektiert Katajun Amirpur über Messianismus und Opferverständnis von Präsident Mahmud Ahmadinedschad.
" Jeder einzelne Iraner, der einem Angriff der USA oder Israels zum Opfer fiele, würde zum Märtyrer. Deshalb trifft auch das Argument nicht, dass Ahmadinedschad doch keinen Angriff provozieren würde, weil er die Sicherheit seiner Bevölkerung nicht gefährden würde. In seiner Geisteswelt kann jeder Gläubige sich glücklich schätzen, als Märtyrer gestorben zu sein, "
schreibt SZ-Autorin Amirpur.
Was uns auf einen ketzerischen Gedanken bringt. Andy Warhol hatte einst jedem 15 Minuten Ruhm versprochen. Aber erbeuten islamistische Selbstmordattentäter nicht sogar Ruhm, der länger als 15 Minuten hält? Hätte Warhol heute ihre Porträts auf Siebdrucken gebannt?
Vieles spricht dafür. Mördern wie Mao hat Warhol seinerzeit die künstlerische Referenz erwiesen. Das Pop-Universum steht auch Attentätern offen. Und Ruhm war noch nie eine moralische Kategorie.