Von Arno Orzessek

Das große Thema der Woche war die Broder-Augstein-Debatte als Nachbeben der Antisemitismus-Liste des Simon Wiesenthal Zentrums: In "FR", "Welt", "FAZ", usw. Außerdem: gute Nachrichten für Vollschlanke zum Jahresbeginn.
Vorab eine dringende Warnung an alle, die wegen reich genossener Feiertags-Leckereien ihren Gürtel ein Löchlein weiter geschnallt haben: Hungern Sie sich jetzt ja nicht zum alten Loch zurück!

Verkündete doch Joachim Müller-Jung im Gesundheitsfeuilleton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Durch Auswertung von 98 Einzelstudien mit 2,88 Millionen Menschen aus allen Kontinenten hat man herausgefunden: Der Speckbauch verkürzt nicht, er vergrößert die Chancen auf ein längeres Leben. Erst Erwachsene mit einem Body-Mass-Index deutlich über 30, also Fettsüchtige, haben ein höheres Sterberisiko. Das Normalgewicht ist also gar nicht unser Idealgewicht. Die Hüftpolster sind in Wahrheit Glücksbringer."

Und nun, liebe Hörer, greifen Sie zu den Nüssen und verfolgen mit uns den Fortgang der Broder-Augstein-Antisemitismus-Debatte, die in enger Verbindung mit der Ernennung Jakob Augsteins zum neuntantisemitischsten Antisemiten der Welt durch das Simon Wiesenthal Zentrum steht.

Am Anfang der Woche beklagte Annette Kahane in der FRANKUFRTER RUNDSCHAU die moralische Selbstimmunisierung zeitgenössischer Israelkritik á la Augstein.

"Die Israelkritik heute etikettiert sich selbst stets als Öko-Packung des Politischen: natürlich, ohne giftige Zusatzstoffe, ohne historische Projektionen, ohne Vernichtungsfantasien, ohne Verschwörungstheorien: eben ganz ohne Antisemitismus."

In der FAZ hingegen setzte sich die Schriftstellerin Alexandra Belopolsky aus Tel Aviv rührend und ein bisschen naiv für Augsteins rhetorisches Angriffsrecht auf Israel ein, das dieser vor allem auf SPIEGEL ONLINE ausübt:

"Wahrscheinlich nur in Deutschland kann eine solche Kritik als Antisemitismus interpretiert werden. Und wenn man gegen einen deutschen Journalisten diese Anklage erhebt, wird es doppelt so schwierig, seinen guten Namen wiederherzustellen. Denn Deutschland kommt von der Erinnerung an den Holocaust genauso wenig los wie Israel, wenn auch auf umkehrte Weise. Vielleicht ist die Zeit endlich reif zu sagen: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Lass uns über die Gegenwart reden."

Erstaunlich, dass die FAZ Belopolskys Artikel so gedruckt hat. Schließlich streiten sich die Augsteins und Broders und beider Parteigänger exzessiv über die Gegenwart.

In der Wochenzeitung DER FREITAG konnte deren Herausgeber - nämlich Jakob Augstein - nachlesen, was Oliver Guez von seinen Einlassungen hält.

"Beim Lesen der Kolumnen von Jakob Augstein habe ich mehr als einmal echtes Unwohlsein verspürt. Zum Beispiel, als ich las, dass die jüdischen Fundamentalisten 'aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihre islamistischen Gegner' wären. Wirklich? Sicher leben die einen wie die anderen im Schatten Gottes: Aber wie viele Selbstmordattentate gehen auf orthodoxe Juden zurück?"

Die teils seriöse, teils krawallige Debatte gipfelte vorläufig in einer ominösen Entschuldigung, die Henryk M. Broder in der Tageszeitung DIE WELT mit den Worten überschrieb:

"Was noch gesagt werden muss"

Eine höhnische Anspielung auf das - auch von Broder - inkriminierte Grass-Gedicht "Was gesagt werden muss".

Broder unterstrich, dass er Augstein nach wie vor der propagandistischen Vorbereitung der "'nächste(n) Endlösung der Judenfrage'" bezichtigt, um dann einen geringeren Anwurf zurückzunehmen:

""Ich habe über Jakob Augstein auch geschrieben, er sei 'der kleine Streicher von nebenan ... , der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichsicherheitshauptamt Karriere zu machen ... .' Das war vollends daneben. Jakob Augstein ist weder ein kleiner, noch ein großer Streicher, er verlegt nicht den 'Stürmer', sondern den 'Freitag'. Ich habe solche Dramatisierungen bei anderen immer kritisiert. Und nun bin ich in dieselbe Falle getappt. Dafür entschuldige ich mich. Und nur dafür."

Wie gesagt: Solches schrieb der Henryk M. Broder, nachdem er Augstein Endlösungs-Denken unterstellt hatte.

Wir verleihen Broder hiermit eine rostige Scheinheiligkeits-Plakette und küren ihn zum antiaugsteinschsten Anti-Augstein der Welt.

Der frohgemute Mord- und Totschlag-Regisseur Quentin Tarantino wurde unterdessen auf einer Berliner Pressekonferenz durch den Gebrauch eines heiklen Plurals auffällig.

Susan Vahabzadeh überlieferte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Tarantinos Antwort auf die Frage, ob man die Sklaverei in Amerika mit dem Holocaust vergleichen könne:

"Amerika ist für zwei Holocausts in seinem Land verantwortlich: für die Ausrottung der indianischen Ureinwohner und für die Versklavung von Afrikanern, Jamaikanern und Westindern in der Zeit des Sklavenhandels."

Dass Tarantino in Deutschland gleich von zwei, dazu auch noch auswärtigen "Holocausts" sprach, obwohl Deutschland bekanntlich den Holocaust, den einen, auf dem Gewissen hat, verleitete WELT-Autor Hanns Georg Rodek zum Scherzen:

"Wir hätten da einen neuen Kandidaten für die Liste der 'gefährlichsten Antisemiten der Welt', welche vom Wiesenthal Center in Los Angeles geführt wird. Er heißt Quentin Tarantino."

"Ist das Böse wirklich banal?"

Fragte die Wochenzeitung DIE ZEIT.

Laut Thomas Assheuer hat sich Hannah Arendt einst mit ihrem Spruch von der "Banalität des Bösen", gemünzt auf den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann, gründlich geirrt. In Wahrheit sei Eichmann ein glühender Schreibtischmörder gewesen.

Anlass zu solchen Gedanken bot Assheuer Margarethe von Trottas Filmporträt "Hannah Arendt" - das den ZEIT-Autor übrigens nicht begeistert hat.

"Von Trotta erzählt alles recht treuherzig, sehr artig und manchmal ziemlich holzschnittartig. Die Handlung wird mit samtiger Musikpaste bestrichen. Nichts darf fehlen, und in einer Rückblende sieht man die Studentin Hannah Arendt in ihrer Dachkammer, wie sie auf 'den Segen meines Lebens' wartet, auf Martin Heidegger (gespielt von Klaus Pohl), der die Treppe hinaufstürmt und seinsvergessen in ihrem Schoss versinkt."

Mit diesem Bild verabschieden wir uns, liebe Hörer, und raten Ihnen:

Verschaffen Sie sich doch auch mal wieder ein Quantum seinsvergessener Schossversunkenheit.