Von Arno Orzessek
Die Feuilletons kommentieren den Besuch Barack Obamas in Berlin. Die "SZ" druckt aus Anlass der Festnahme von Radovan Karadzic sein Gedicht "Ich habe mich vom Guten abgewendet" und schreibt außerdem über die Eröffnung der Bayreuther Wagner-Festspiele mit der Neuinszenierung des "Parsifal" durch den norwegischen Regisseur Stefan Herheim.
Götz George ist in der vergangenen Woche 70 Jahre alt geworden, Barack Obama hat Berlin besucht, beide haben – nicht nur, aber auch – Deutschlands Frauen verzückt…
… und die Preisfrage lautet nun: Über welches Mannsbild schrieb Ina Hartwig in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:
" Dieses Lächeln lässt sich nicht lernen. Körperliche Freude steckt darin. Es haut einen um "
Richtig! Ina Hartwig lobte den sportlichen, telegenen, charismatischen Barack Obama, den sie mit noch mehr weiblicher Hingabe verehrt als zum Beispiel ihre FR-Kollegin Sylvia Staude den knusprig alternden Götz George.
Wer Ina Hartwigs Artikel in der FR las – er hieß: Obamas Zähne –, der konnte sich eine Illusion gleich abschminken: Dass in der Politik das Diskursive vor dem Erotischen rangiert.
Ob Obamas Berlin-Besuch den Beginn einer neuen transatlantischen Freundschaft markiert oder nach den US-Wahlen zur historischen Fußnote schrumpfen wird, das weiß verbindlich noch keiner. Dennoch haben die Feuilletons schon mal die weitesten Bedeutungshorizonte abgeschritten.
" Das ist ja Barack Obamas größtes Talent: Dass er seine eigene Person zu einer großen Geschichte verallgemeinern kann, in die sich viele gern einklinken "
schrieb Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
" Das Besondere und das Allgemeine, ohne auch nur im Entferntesten identisch zu sein, gehen bei ihm eine stark ausstrahlende Wechselwirkung ein. […] Er ist eine universale Ikone. "
So SZ-Autor Kreye vor der Rede Obamas unter der Berliner Siegessäule, deren wechselvolle Geschichte Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL rekapitulierte – und zwar so, dass für Obama dabei ein Gruß des deutschen Kaisers über mehr als ein Jahrhundert hinweg heraussprang:
" Als sie am 2. September 1873 um 11.05 Uhr mit Pomp und Gloria eingeweiht wurde, sagte der Kaiser: "Die Siegessäule verkündet der Mit- und Nachwelt, was Hingebung und Ausdauer vermögen." Er meinte es preußisch-patriotisch-pathetisch. Hingebung und Ausdauer: Beides kann die Weltpolitik von heute nur zu gut gebrauchen. Obama kann kommen "
so Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL.
Als Obama wieder weg war, sah sich der begeisterte Tobias Rüther in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG genötigt, den famosen Senator aus Illinois gegen die eigene Journalisten-Zunft und vor allem gegen das "Obambi"-Verdikt der amerikanischen Kolumnistin Mareen Dowd in Schutz zu nehmen.
" Wer […] Obamas Art der Rede und sein Publikum als rehäugig und naiv abtut, ist längst selbst einer zynisch vernarbten politischen Rhetorik erlegen. Warum sollten Kandidaten und Präsidenten nicht von Hoffnung reden? Weil das ihren Kommentatoren irgendwie peinlich ist [etwa]? "
fragte der wie bekehrt formulierende Tobias Rüther in der FAZ. Er bewies mit jeder Zeile, dass Obama auch Männer umhauen kann, und endete philosophisch:
" Der Zauber Obamas ist, dass er einen Begriff von Realismus pflegt, der die Wirklichkeit nicht verwalten, sondern erobern will. "
Im übrigen versuchten sich sowohl FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG wie auch TAGESZEITUNG mit Feuilletons, die Obamas Berlin-Besuch im Stil eines Live-Tickers nachvollzogen. Ob man damit Leser zurückgewinnt, die ihre Infos nicht mehr aus Print-Erzeugnissen, sondern aus dem Netz ziehen, das sei dahingestellt.
Sicher ist dagegen, dass die Ticker-Überschrift in der TAZ auf den Satz "Erbarme dich unser" in der katholischen Allerheiligenlitanei anspielte: Sie hieß: Obama dich unser!
Und damit von der Lichtgestalt zu einem mutmaßlichen Finsterling von Weltrang, Radovan Karadzic. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG druckte aus Anlass seiner Gefangennahme das Gedicht "Ich habe mich vom Guten abgewendet". Darin droht Karadzic ohne weitere lyrische Fisimatenten:
" Von allen fertiggemacht / warte ich in der / Morgendämmerung auf / meine große Stunde. / Endlich werde ich / die Morgenbombe werfen … "
Es war wiederum Andrian Kreye, der in der SZ einen Artikel zu Karadzics Gefangennahme schrieb – die meisten Feuilletons überließen das Thema jedoch den politischen Seiten.
Dafür spießte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG der Gastautor Claus Offe ein anderes dezidiert politisches Thema auf. Er tadelte alle, die Gesine Schwan dafür angreifen, dass sie sich im Zweifel auch mit den Stimmen der Linken zur Bundespräsidentin wählen lassen will.
" Es gibt […] viele gute Gründe, die Linkspartei nicht zu wählen. Es gibt kaum Gründe, die Wähler der Linken moralisch zu attackieren (statt mit ihnen zu debattieren […]). Noch weniger Gründe gibt es, einer Person am Zeug zu flicken, die in einer reinen Persönlichkeitswahl von anderen Personen, nämlich den (unter anderem auch linken) Mitgliedern der Bundesversammlung gewählt werden will. "
Wenden wir uns nun abrupt nach Süddeutschland und der Kultur im engeren Sinne zu. Die Deutsch-Türkin Melya Kiyak hat für die WELT das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besucht. Unter der Überschrift "Ist das Deutsche eine Erfindung?" schrieb Kiyak:
" Ich habe das Deutsche nicht gefunden. Das macht aber nichts. Denn das Germanische Nationalmuseum ist offensichtlich auch nicht fündig geworden. "
Hat die Schriftstellerin und Journalistin Melya Kiyak womöglich das falsche Ziel gewählt? Hätte sie auf der Suche nach dem Deutschen nicht lieber zu den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen reisen sollen, die in dieser Woche eröffnet worden sind, ein letztes Mal unter der Leitung von Wolfgang Wagner? Was, bitte schön, wäre denn deutscher, als ein ordnungsgemäß aufgeführter Parsifal vor den Augen der Bundeskanzlerin?
Der Regisseur des Bayreuther "Parsifal" ist der Norweger Stefan Herheim. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zitierte Michael Struck-Schloen das künstlerische Bekenntnis des jungen Mannes aus Oslo. Es beweist, dass sich die Kunst noch weniger als die Politik aus dem Bann des Numinosen gelöst hat.
" Mein Zugang zur Oper lief nie über den Text oder das Schauspielerische, sondern über den religiösen Moment, in dem Musik mich total erfüllt. Das klingt pathetisch oder sentimental, aber es ist etwas Helles, wenn ich dieses kleine Wunder erlebe […] und ich auf einmal merke: Es ist grandios, als Mensch mit seiner Angst aufgehoben zu sein und eine Gemeinschaftlichkeit im Dasein zu spüren – sozusagen mit dem All verbunden zu sein. "
Ich übrigen erklärte der "Parsifal"-Regisseur und Theaterbesessene Stefan Herheim der SÜDDEUTSCHEN ZETIUNG, was er während seiner künstlerischen Anfänge im Marionettentheater gespielt hat:
" Im Grunde habe ich Gott gespielt. "
Nun! Ein solches Bekenntnis sollte sich Barack Obama auch dann noch verkneifen, wenn das ganze Feuilleton danach lechzt.
… und die Preisfrage lautet nun: Über welches Mannsbild schrieb Ina Hartwig in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:
" Dieses Lächeln lässt sich nicht lernen. Körperliche Freude steckt darin. Es haut einen um "
Richtig! Ina Hartwig lobte den sportlichen, telegenen, charismatischen Barack Obama, den sie mit noch mehr weiblicher Hingabe verehrt als zum Beispiel ihre FR-Kollegin Sylvia Staude den knusprig alternden Götz George.
Wer Ina Hartwigs Artikel in der FR las – er hieß: Obamas Zähne –, der konnte sich eine Illusion gleich abschminken: Dass in der Politik das Diskursive vor dem Erotischen rangiert.
Ob Obamas Berlin-Besuch den Beginn einer neuen transatlantischen Freundschaft markiert oder nach den US-Wahlen zur historischen Fußnote schrumpfen wird, das weiß verbindlich noch keiner. Dennoch haben die Feuilletons schon mal die weitesten Bedeutungshorizonte abgeschritten.
" Das ist ja Barack Obamas größtes Talent: Dass er seine eigene Person zu einer großen Geschichte verallgemeinern kann, in die sich viele gern einklinken "
schrieb Andrian Kreye in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
" Das Besondere und das Allgemeine, ohne auch nur im Entferntesten identisch zu sein, gehen bei ihm eine stark ausstrahlende Wechselwirkung ein. […] Er ist eine universale Ikone. "
So SZ-Autor Kreye vor der Rede Obamas unter der Berliner Siegessäule, deren wechselvolle Geschichte Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL rekapitulierte – und zwar so, dass für Obama dabei ein Gruß des deutschen Kaisers über mehr als ein Jahrhundert hinweg heraussprang:
" Als sie am 2. September 1873 um 11.05 Uhr mit Pomp und Gloria eingeweiht wurde, sagte der Kaiser: "Die Siegessäule verkündet der Mit- und Nachwelt, was Hingebung und Ausdauer vermögen." Er meinte es preußisch-patriotisch-pathetisch. Hingebung und Ausdauer: Beides kann die Weltpolitik von heute nur zu gut gebrauchen. Obama kann kommen "
so Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL.
Als Obama wieder weg war, sah sich der begeisterte Tobias Rüther in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG genötigt, den famosen Senator aus Illinois gegen die eigene Journalisten-Zunft und vor allem gegen das "Obambi"-Verdikt der amerikanischen Kolumnistin Mareen Dowd in Schutz zu nehmen.
" Wer […] Obamas Art der Rede und sein Publikum als rehäugig und naiv abtut, ist längst selbst einer zynisch vernarbten politischen Rhetorik erlegen. Warum sollten Kandidaten und Präsidenten nicht von Hoffnung reden? Weil das ihren Kommentatoren irgendwie peinlich ist [etwa]? "
fragte der wie bekehrt formulierende Tobias Rüther in der FAZ. Er bewies mit jeder Zeile, dass Obama auch Männer umhauen kann, und endete philosophisch:
" Der Zauber Obamas ist, dass er einen Begriff von Realismus pflegt, der die Wirklichkeit nicht verwalten, sondern erobern will. "
Im übrigen versuchten sich sowohl FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG wie auch TAGESZEITUNG mit Feuilletons, die Obamas Berlin-Besuch im Stil eines Live-Tickers nachvollzogen. Ob man damit Leser zurückgewinnt, die ihre Infos nicht mehr aus Print-Erzeugnissen, sondern aus dem Netz ziehen, das sei dahingestellt.
Sicher ist dagegen, dass die Ticker-Überschrift in der TAZ auf den Satz "Erbarme dich unser" in der katholischen Allerheiligenlitanei anspielte: Sie hieß: Obama dich unser!
Und damit von der Lichtgestalt zu einem mutmaßlichen Finsterling von Weltrang, Radovan Karadzic. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG druckte aus Anlass seiner Gefangennahme das Gedicht "Ich habe mich vom Guten abgewendet". Darin droht Karadzic ohne weitere lyrische Fisimatenten:
" Von allen fertiggemacht / warte ich in der / Morgendämmerung auf / meine große Stunde. / Endlich werde ich / die Morgenbombe werfen … "
Es war wiederum Andrian Kreye, der in der SZ einen Artikel zu Karadzics Gefangennahme schrieb – die meisten Feuilletons überließen das Thema jedoch den politischen Seiten.
Dafür spießte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG der Gastautor Claus Offe ein anderes dezidiert politisches Thema auf. Er tadelte alle, die Gesine Schwan dafür angreifen, dass sie sich im Zweifel auch mit den Stimmen der Linken zur Bundespräsidentin wählen lassen will.
" Es gibt […] viele gute Gründe, die Linkspartei nicht zu wählen. Es gibt kaum Gründe, die Wähler der Linken moralisch zu attackieren (statt mit ihnen zu debattieren […]). Noch weniger Gründe gibt es, einer Person am Zeug zu flicken, die in einer reinen Persönlichkeitswahl von anderen Personen, nämlich den (unter anderem auch linken) Mitgliedern der Bundesversammlung gewählt werden will. "
Wenden wir uns nun abrupt nach Süddeutschland und der Kultur im engeren Sinne zu. Die Deutsch-Türkin Melya Kiyak hat für die WELT das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg besucht. Unter der Überschrift "Ist das Deutsche eine Erfindung?" schrieb Kiyak:
" Ich habe das Deutsche nicht gefunden. Das macht aber nichts. Denn das Germanische Nationalmuseum ist offensichtlich auch nicht fündig geworden. "
Hat die Schriftstellerin und Journalistin Melya Kiyak womöglich das falsche Ziel gewählt? Hätte sie auf der Suche nach dem Deutschen nicht lieber zu den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen reisen sollen, die in dieser Woche eröffnet worden sind, ein letztes Mal unter der Leitung von Wolfgang Wagner? Was, bitte schön, wäre denn deutscher, als ein ordnungsgemäß aufgeführter Parsifal vor den Augen der Bundeskanzlerin?
Der Regisseur des Bayreuther "Parsifal" ist der Norweger Stefan Herheim. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zitierte Michael Struck-Schloen das künstlerische Bekenntnis des jungen Mannes aus Oslo. Es beweist, dass sich die Kunst noch weniger als die Politik aus dem Bann des Numinosen gelöst hat.
" Mein Zugang zur Oper lief nie über den Text oder das Schauspielerische, sondern über den religiösen Moment, in dem Musik mich total erfüllt. Das klingt pathetisch oder sentimental, aber es ist etwas Helles, wenn ich dieses kleine Wunder erlebe […] und ich auf einmal merke: Es ist grandios, als Mensch mit seiner Angst aufgehoben zu sein und eine Gemeinschaftlichkeit im Dasein zu spüren – sozusagen mit dem All verbunden zu sein. "
Ich übrigen erklärte der "Parsifal"-Regisseur und Theaterbesessene Stefan Herheim der SÜDDEUTSCHEN ZETIUNG, was er während seiner künstlerischen Anfänge im Marionettentheater gespielt hat:
" Im Grunde habe ich Gott gespielt. "
Nun! Ein solches Bekenntnis sollte sich Barack Obama auch dann noch verkneifen, wenn das ganze Feuilleton danach lechzt.