Von Arno Orzessek
Einen großen Mann der Literaturkritik, der vor fünfzig Jahren in Deutschland ankam, würdigen gleich mehrere Feuilletons: Marcel Reich-Ranicki. Über das angeschlagene Verhältnis des Schriftstellers Henning Mankell zu den Medien schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
Frankfurt am Main Hauptbahnhof, 21. Juli 1958. Ein armer Mann aus Warschau entsteigt dem Zug. Ein Koffer, eine Aktentasche, eine Schreibmaschine - das ist sein ganzes Gepäck. Bereits wenige Wochen später eröffnet die FRANKURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit einem Artikel des Ankömmlings ihre prestigeträchtige Buchmessenbeilage. Im nächsten Jahr rezensiert er für die WELT Heinrich Bölls Roman "Billard um halb zehn". Im Januar 1960 gibt ihm die ZEIT Günter Grass’ Epochenroman "Die Blechtrommel" zur Besprechung.
Die Rede ist - natürlich - von Marcel Reich-Ranicki, an dessen Ankunft in Deutschland vor 50 Jahren die WELT und die FRANKFURTER ALLGEMEINE erinnern.
"(Der) verblüffende Erfolg lässt sich letztlich nur durch die besondere Besessenheit und Intensität Reich-Ranickis verständlich machen,"
behauptet Uwe Wittstock in der WELT.
In der FAZ würdigt der Schriftsteller Siegfried Lenz den Kritiker, der einst sein Wohnnachbar war:
"Da gab es kein laues Sowohl-als-auch, da wurden keine Rabatte zum Trost erteilt; Mildtätigkeit und preiswerte Schonung kamen in seinem Spruch nicht vor, […]. Nein, ich habe keinen gekannt, dem Literatur so viel bedeutete."
Uns scheint es, als entsprächen beide, passagenweise nekrologartigen Elogen auf Reich-Ranicki den Klischees, die seit langer Zeit im Umlauf sind. Aber auch das gehört zur Größe dieses Mannes: dass über ihn mit derselben kraftmeierischen Entschiedenheit geschrieben wird, mit der er einst im "Literarischen Quartett" die feinen Unterschiede aus der Literaturkritik getilgt hat.
Henning Mankell ist mit 30 Millionen verkauften Büchern nicht nur ein Erfolgsautor, sondern auch ein Schriftsteller, der selbst gern kritisiert - und zwar vor allem den üblen Lauf der Welt. So wieder kürzlich im südschwedischen Ystad.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG war Thomas Steinfeld dabei und musste sich anhören, wie Mankell - nicht nur, aber auch - auf die "deformierten, niederträchtigen, verlogenen Journalisten" schimpfte. Kein Wunder, dass Steinfeld Mankells Rede mit Sarkasmus kommentiert:
"Die Politik kennt nur Interessen, der Journalismus nur den Verrat, Henning Mankell aber kennt nur die Moral. Und während jene den Widerspruch hinnimmt […], ist diese absolut. Sie lässt keine Abweichung und keine Variation zu, sondern weiß nur vom Versagen - und an diesem (Mankellschen) Maßstab versagen alle, denn die Macht ist nicht klug und auch nicht intelligent."
So der angefressene SZ-Redakteur Steinfeld über Mankells neueste Philippika.
Dass der schwedische Krimiautor bei der Vermittlung seines Weltbilds vor allem die Moralkeule schwingt, weiß man indessen seit langem. Und hat nicht Marcel Reich-Ranicki immerzu gepredigt, dass noch die größten Schriftsteller keinen privilegierten Zugang zu politischen Dingen haben?
Trotzdem haben sie natürlich - wie jeder Bürger - eine Stimme im öffentlichen Diskurs. In selbiger SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt der spanische Romanautor Rafael Chirbes über den Klimawandel und die Fehler, die man nicht nur in Spanien in den letzten 30 Jahren im Umgang mit der Natur gemacht hat.
"Der ganze mediterrane Raum ist zu einem bis unters Dach mit Licht getäfelten Badezimmer verkommen (…), in dem die Pensionäre aus halb Europa und aus der ehemaligen Sowjetunion wohnen wollen. Es ist der Druck dieser Massen, diese neue urbane Freizügigkeit, die das sensible Wassergleichgewicht durcheinander gebracht haben."
So Rafael Chirbes in der SZ.
Auch hier weiß einer von der schreibenden Zunft offenbar schwer Bescheid und bevorzugt moralische Obertöne. Muss das ein Schriftsteller heutzutage vielleicht tun, um im Geschäft zu bleiben?
Fest steht, dass Chirbes neuer Roman "Krematorium" demnächst im Kunstmann-Verlag erscheint. Wir gönnen dem Autor den schnellen Verkauf seines Werks. Denn in Deutschland schlägt allenthalben - auch das berichtet die SZ - "die Stunde der Buchentwerter". Überall kürzen die Verlage die Backlist, die es dem Kunden erlaubt, Schätze von gestern heute druckfrisch zu bestellen.
SZ-Autor Oliver Herwig zitiert Christian von Zittwitz, den Chef der Fachzeitschrift BUCHMARKT:
"Früher war es die Ehre eines Verlages, über fünfzig Prozent Umsatz aus der Backlist zu machen, heute zählt vor allem das nächste Quartalsergebnis."
Von Marcel Reich-Ranicki wissen wir übrigens, dass er nur noch die großen Bücher liest, die längst in seinem Regal stehen. Er braucht keine Backlist mehr.
Die Rede ist - natürlich - von Marcel Reich-Ranicki, an dessen Ankunft in Deutschland vor 50 Jahren die WELT und die FRANKFURTER ALLGEMEINE erinnern.
"(Der) verblüffende Erfolg lässt sich letztlich nur durch die besondere Besessenheit und Intensität Reich-Ranickis verständlich machen,"
behauptet Uwe Wittstock in der WELT.
In der FAZ würdigt der Schriftsteller Siegfried Lenz den Kritiker, der einst sein Wohnnachbar war:
"Da gab es kein laues Sowohl-als-auch, da wurden keine Rabatte zum Trost erteilt; Mildtätigkeit und preiswerte Schonung kamen in seinem Spruch nicht vor, […]. Nein, ich habe keinen gekannt, dem Literatur so viel bedeutete."
Uns scheint es, als entsprächen beide, passagenweise nekrologartigen Elogen auf Reich-Ranicki den Klischees, die seit langer Zeit im Umlauf sind. Aber auch das gehört zur Größe dieses Mannes: dass über ihn mit derselben kraftmeierischen Entschiedenheit geschrieben wird, mit der er einst im "Literarischen Quartett" die feinen Unterschiede aus der Literaturkritik getilgt hat.
Henning Mankell ist mit 30 Millionen verkauften Büchern nicht nur ein Erfolgsautor, sondern auch ein Schriftsteller, der selbst gern kritisiert - und zwar vor allem den üblen Lauf der Welt. So wieder kürzlich im südschwedischen Ystad.
Für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG war Thomas Steinfeld dabei und musste sich anhören, wie Mankell - nicht nur, aber auch - auf die "deformierten, niederträchtigen, verlogenen Journalisten" schimpfte. Kein Wunder, dass Steinfeld Mankells Rede mit Sarkasmus kommentiert:
"Die Politik kennt nur Interessen, der Journalismus nur den Verrat, Henning Mankell aber kennt nur die Moral. Und während jene den Widerspruch hinnimmt […], ist diese absolut. Sie lässt keine Abweichung und keine Variation zu, sondern weiß nur vom Versagen - und an diesem (Mankellschen) Maßstab versagen alle, denn die Macht ist nicht klug und auch nicht intelligent."
So der angefressene SZ-Redakteur Steinfeld über Mankells neueste Philippika.
Dass der schwedische Krimiautor bei der Vermittlung seines Weltbilds vor allem die Moralkeule schwingt, weiß man indessen seit langem. Und hat nicht Marcel Reich-Ranicki immerzu gepredigt, dass noch die größten Schriftsteller keinen privilegierten Zugang zu politischen Dingen haben?
Trotzdem haben sie natürlich - wie jeder Bürger - eine Stimme im öffentlichen Diskurs. In selbiger SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt der spanische Romanautor Rafael Chirbes über den Klimawandel und die Fehler, die man nicht nur in Spanien in den letzten 30 Jahren im Umgang mit der Natur gemacht hat.
"Der ganze mediterrane Raum ist zu einem bis unters Dach mit Licht getäfelten Badezimmer verkommen (…), in dem die Pensionäre aus halb Europa und aus der ehemaligen Sowjetunion wohnen wollen. Es ist der Druck dieser Massen, diese neue urbane Freizügigkeit, die das sensible Wassergleichgewicht durcheinander gebracht haben."
So Rafael Chirbes in der SZ.
Auch hier weiß einer von der schreibenden Zunft offenbar schwer Bescheid und bevorzugt moralische Obertöne. Muss das ein Schriftsteller heutzutage vielleicht tun, um im Geschäft zu bleiben?
Fest steht, dass Chirbes neuer Roman "Krematorium" demnächst im Kunstmann-Verlag erscheint. Wir gönnen dem Autor den schnellen Verkauf seines Werks. Denn in Deutschland schlägt allenthalben - auch das berichtet die SZ - "die Stunde der Buchentwerter". Überall kürzen die Verlage die Backlist, die es dem Kunden erlaubt, Schätze von gestern heute druckfrisch zu bestellen.
SZ-Autor Oliver Herwig zitiert Christian von Zittwitz, den Chef der Fachzeitschrift BUCHMARKT:
"Früher war es die Ehre eines Verlages, über fünfzig Prozent Umsatz aus der Backlist zu machen, heute zählt vor allem das nächste Quartalsergebnis."
Von Marcel Reich-Ranicki wissen wir übrigens, dass er nur noch die großen Bücher liest, die längst in seinem Regal stehen. Er braucht keine Backlist mehr.