Von Arno Orzessek

In den Feuilletons geht's um die - Milch. Und um Gras: Die "Süddeutsche" interviewt einen Fußballrasen-Produzenten und mokiert sich über Alice Schwarzers seltsame Birma-Reportage in der FAZ. Ansonsten scheinen alle schon zu sehr in Vorfreude auf die EM gefangen zu sein.
Wer das Feuilleton politisch und polemisch mag, kann sich einen Tag von der Lektüre freinehmen und im Sportteil umso gründlicher auf die Europameisterschaft vorbereiten. Für Liebhaber randständiger Kultur-Themen - wir sagen nur Milch und Gras - sind die aktuellen Ausgaben dagegen echte Fundgruben.

Michael Stürmers Reflexion zum akuten Milchstreik der Landwirte in der WELT beginnt so druckvoll wie ein Strahl aus dem prallen Euter:

"Bauern sind keine Revolutionäre. Der Weg vom Bauernhof zum Bauernstreik zum Bauernkrieg ist weit. Aber manchmal bebt die Erde, und die Geduld hat ein Ende, wie jetzt."

Es folgt ein Preisvergleich, aus dem hervorgeht, dass WELT-Autor Stürmer unser 25-Cent-Ei für genauso teuer hält wie das 25-Silberpfennige-Ei zu Kaisers Zeiten. Leider wird der Galopp durch die Bauerngeschichte schnell zum lahmen Trott. Die Schluss-Pointe ist nur ein müdes Muh und als solches kein Zitat mehr wert.

"Die Milch macht's" betitelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ihren Artikel zum "Lebensmittel der Säugetiere" und bezeichnet es in der Unterüberschrift - ach nein! - als "einen ganz besonderen Saft". Dann setzt Autor Cord Riechelmann zu unterleiblichen Betrachtungen an, wie man sie auf der Wissen-Seite der SZ erwartet:

"Über einen hochkomplexen Prozess, der in der Dünndarmwand der Mutter beginnt, bekommen die Jungen die Antikörper der Mutter über die Milch geliefert und können so langsam ihren eigenen Verdauungsapparat in Gang bringen.""

Was das mit der Milchpreiskrise zu tun hat? Wir wissen es nicht. Vielleicht muss man Riechelmanns Schlusssatz, der sich auf die Fernsehbilder eines Bauern mit Baby vor sinnlos versickernder Milch bezieht, selbstreflexiv lesen:

"Vernünftig ist das alles nicht."

Damit von der Kuh zum grünen Rasen und dessen professioneller Produktion durch "Rasenkönig Alexander Richter", den Julia Kospach als Autorin der FRANKFURTER RUNDSCHAU besucht hat.

"Die Richter-Rasenfelder gedeihen auf 350 Hektar im pannonischen Klima rund um Parndorf im Burgenland und rund um Závod gleich jenseits der österreichisch-slowakischen Grenze. 'Die Gräser, die in diesem Klima überleben, sind überall einsetzbar - von Russland bis Portugal'."

- behauptet in Kospachs FR-Artikel der Mann, dessen Rasen auch dem EM-Finale im Wiener Ernst-Happel-Stadion zugrunde liegen wird.

Der SZ-Artikel "Sind so liebe Wasserbüffel" handelt dagegen von zerstörten Landschaften und ernsteren Themen. Alice Schwarzer war in Birma, hat dort Armut gesehen, aber offenbar kein wirkliches Elend und fand die birmanische Militärjunta "das kleinere Übel" im Vergleich zur möglichen Einmischung der englischen Ex-Kolonialherren. Wovon sie in der FAZ berichtet hat.
Nun mokiert sich Stefan Klein in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"Es spricht für das Organisationstalent der birmanischen Tourismusmanager, die die Trampelpfade für die Schwarzers dieser Welt so angelegt haben, dass sie an kraftstrotzenden Wasserbüffeln und goldhäutigen Menschen vorbeiführen - und nicht an dem Elend der Zwangsarbeiter und Aidskranken."

Ob aus Schwarzers Birma-Tour eine ähnliche Skandalnummer werden kann wie aus Peter Handkes Serbienreise?

Vorläufig wohl nicht. Das aktuelle Feuilleton, von der Sommerschwüle wie niedergedrückt, macht wenig Hoffnung auf Zoff. Selbst Friedbert Pflügers Attacke auf Anne Wills Talkshow kann die Ruhe an der Krawallfront kaum gefährden.

Immerhin, Frank Schirrmacher fragte sich in der FAZ, ob dem Tempelhof-Freund Pflüger, "der zuletzt Flugplätze küsste, das viele Kerosin gut getan hat. [ ... ] Tempelhof öffnen, Will schließen. Das werden die beiden Sätze sein, mit denen Friedbert Pflüger auf der Bühne unserer inneren Einbildungskraft überdauern wird.""Gar nicht schlecht geätzt, Schirrmacher!", loben wir - und sind froh, wenigstens Spuren feuilletonistischer Boshaftigkeit nachweisen zu können.

Aber warum nun sind die meisten Edelfedern so stumpf? Vielleicht hat Hans-Jürgen Linke recht. Für den FR-Autor steht die Woche bereits ganz im Zeichen des EM-Eröffnungsspiels. Er konstatiert:

"Es ist, realistisch betrachtet, kaum noch etwas Wichtiges zu schaffen bis dahin."