Von Arno Orzessek

Die FAZ-Autorin Irene Bazinger hat sich bei der Volksbühnen-Inszenierung von Alfred Jarrys derbem Ulkstück "Ubukönig" prächtig amüsiert. Die "Welt" erinnert an den Bau der Brooklyn-Bridge vor 125 Jahren. Und die "Süddeutsche" schreibt über den Auftritt des chinesischen Journalisten Zhan Jiang, der in der Heinrich-Böll-Stiftung über die Medienunfreiheit in seinem Land berichtete.
Vorab eine Notiz zum hintergründigen Titanenkampf zwischen FAZ- und SZ-Feuilleton.

Grob kalauernde Überschriften wie "Land und Meute" oder "Bereichert sein ist alles" hätten wir vor wenigen Jahren selbstverständlich der Münchener Redaktion zugeschrieben. Tatsächlich stehen sie jedoch in der aktuellen FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.

Dagegen setzt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG auf ihre erste Feuilleton-Seite absolut unriskante, bürgerlich-gediegene Überschriften – man möchte sagen: Überschriften im alten FAZ-Stil.

"Unser kaltes Herz" heißt Burkhard Müllers Vergleich zwischen der gegenwärtigen Öl-Krise und dem Holzmangel um 1800. Sprachlich hochseriös auch "Apoll ist ein Schinder" – eine Parole, unter der SZ-Redakteur Johan Schloemann die Frankfurter Ausstellung "Launen des Olymp" lobt.

Vier Überschriften nur – und doch eine schöne Gelegenheit zur Überinterpretation. Wir behaupten also: Früher hat die SÜDDEUTSCHE den popkulturellen Zeitgeist hemmungslos ausgelebt, während ihn die FAZ tendenziell akademisch und schreibtischtäterisch analysiert hat. Nun will das FAZ-Feuilleton ebenfalls seinen Spaß – genauer gesagt: Selbst bei Späßchen fühlt es sich manchmal ganz kannibalisch wohl.

So FAZ-Autorin Irene Bazinger. Sie hat sich in Dimiter Gotscheffs Volksbühnen-Inszenierung von Alfred Jarrys derbem Ulkstück "Ubukönig" prächtig amüsiert – zumal über die Hauptdarsteller, die "hinreißend närrischen Exegeten" Samuel Finzi und Wolfram Koch.

Die beiden werden "vor Glück ordinär, sie rülpsen und furzen", protokolliert Bazinger und vergisst nicht zu erwähnen, dass das erste Wort von König Ubu "Merdre" ist – "was so viel wie 'Scheiße' heißt", übersetzt die Autorin volkstümlich froh und ohne verfänglichen Tiefgang.

Dagegen die SZ. Dort schreibt Antonio Puri Purini, der italienische Botschafter in Deutschland, eine Entgegnung auf Gustavs Seibts strenge These von der "Entliebung" zwischen beiden Ländern.

Und wie formuliert ein Botschafter? Zweifellos engagiert, aber letztlich doch ziemlich unpeppig und arg protokollarisch:

"Die italienische Kultur ist in Deutschland tief verwurzelt, dazu trägt auch die Verbreitung unserer Sprache bei, die fast dreihunderttausend Deutsche lernen"

ergießt sich staatstragende Semantik ins SZ-Feuilleton – und Purini endet mit einem Deutschland-Bekenntnis, das korrekter nicht sein könnte:

"Hier fühle ich mich zu Hause!"

Damit zu anderen Zeitungen. Der WELT ist zu danken, dass sie an den 125. Geburtstag der fantastischen Brooklyn-Bridge zwischen Manhattan und eben Brooklyn erinnert.

Hannes Stein erzählt, dass weder der Erfinder der Brücke, John August Roebling aus dem thüringischen Mühlhausen, noch dessen Sohn, Chefingenieur Washington August Roebling, jemals übers fertige Bauwerk gehen konnten.

Der Vater wurde nämlich von einer Fähre angefahren und starb an Tetanus. Der Sohn bekam während der Arbeiten am unterseeischen Fundament die "Klappkrankheit", die wir heute Taucherkrankheit nennen, und endete im Rollstuhl.

Damals bauten die Deutschen Amerika – heute baut das kalifornische Büro Moore/Ruble/Yudell die US-Botschaft am Pariser Platz in Berlin Mitte.

"Hohe Sicherheitsstandards sind mit städtischer Architektur unvereinbar"

behauptet – ebenfalls in der WELT – Hans Stimmann. Der ehemalige Berliner Stadtentwickler konzediert jedoch, dass die amerikanische Botschaft trotz des Einbaus herber terrorfeindlicher Accessoires nach 9/11 immer noch urbaner sei als etwa die Schießscharten-Botschaft Chinas.

Und über China kommen wir wieder zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Auf der Medienseite berichtet Karin Steinberger vom Auftritt des chinesischen Journalisten Zhan Jiang, der in der Heinrich-Böll-Stiftung zur Medienunfreiheit in seinem Land sagte:

"Wir sind [durchaus] Leute, die sich zu reden trauen. Aber was Sie sehen, sind die Probleme, die wir jetzt haben. Was wir sehen, sind die Probleme, die wir jetzt nicht mehr haben."

Den Artikel schmückt ein Foto der chinesischen Mauer. Die Überschrift heißt aber nicht "Gegen die Mauer", sondern "Gegen die Wand" – und die Bildunterschrift fragt: "Chinese Wall statt Firewall?"

Was uns letztlich beruhigt. Auch die SÜDDEUTSCHE kann also noch herrlich albern sein.