Von Arno Orzessek
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gibt gleich zwei Lektüretipps: Klaus Theweleits "Der belgische Hitler-Sohn und der deutsche Unterleib" und "Sprachfreies Denken gibt es nicht" von Helmut Glück. Die "Süddeutsche Zeitung" fragt: "Wie politisch ist die deutsche Gegenwartsliteratur?" Und der "Tagesspiegel" findet das Rhinozeros Clara, gemalt von Jean-Baptiste Oudry, einfach süß.
Unbedingt FAZ lesen! Ein Tipp, den man nicht immer geben kann, aber heute wohl. Die Feuilleton-Redaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG hat nämlich gleich zwei starke Essays an Land gezogen.
Rhetorisch packend, aber auch inhaltlich eminent: Klaus Theweleits Beitrag "Der belgische Hitler-Sohn und der deutsche Unterleib". Mit beträchtlichem Stolz erläutert Kulturtheoretiker Theweleit den Einfluss, den sein berühmtes Werk "Männerphantasien" noch nach fast dreißig Jahren auf Jonathans Littells Studie über den belgischen SS-Offizier Léon Degrelle und damit womöglich auf den Riesen-Roman "Die Wohlgesinnten" gehabt hat.
Für Theweleit ist die Frage nach wie vor offen, warum nicht alle Kinder seiner Generation Psychoanalytiker geworden sind – er schreibt:
"Am Vater und seiner Umgebung hatte ich gesehen, dass sie 'ideologisch' keine Nazis waren, 'intellektuell' nicht fähig, den Nazi-Schrott herzubeten oder gar zu verteidigen. Sie waren körperlich Nazis; Teile ihre Körperlichkeit verlangten die 'Auslöschung' anderer, anderen abweichenden Lebens."
Es sei nebenher erwähnt, dass die WELT fordert: "Ediert endlich 'Mein Kampf'" – und zwar wissenschaftlich-sachkundig, zum Zweck der Abwehr rechter Mythen über das 800-seitige Hitler-Gefasel mit den tödlichen Nebenwirkungen.
Der zweite, hiermit empfohlene FAZ-Artikel heißt "Sprachfreies Denken gibt es nicht", stammt aus der Tastatur des Sprachwissenschaftlers Helmut Glück und wettert gegen die Durchsetzung des Englischen als einzig gültiger Wissenschaftssprache.
"Englisch […] ist eine Muttersprache. Sie verschafft ihren Sprechern einen Vorteil, und sie benachteiligt alle, die andere Muttersprachen haben. Das beginnt sich zu rächen. […] Das globale Wissenschafts-Englisch […] wird inzwischen als BSE ('bad simple English') verspottet"
mokiert sich Helmut Glück in der FAZ und resümiert:
"Die Wissenschaftssprache Deutsch ist eine Errungenschaft, an der Generationen von Gelehrten fünfhundert Jahre lang gearbeitet haben. Ihr Niedergang bedeutet die Verschleuderung eines immensen geistigen und materiellen Kapitals."
Wie erwähnt, wirken Theweleits "Männerphantasien" noch Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung. Soziologe Heinz Bude darf sich von seinem Absturzdrama "Die Ausgeschlossenen" nichts Ähnliches erhoffen – sofern Jakob Schrenk mit seiner Kritik in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG recht hat.
"Um zu begründen, dass die These des totalen Ausschlusses eine stimmige Gegenwartsdiagnose sei, muss Bude dramatisieren, störende Fakten ausblenden sowie jede Menge Sound- und Trickeffekte in seinen Soziothriller einfügen"
schreibt SZ-Autor Jakob Schrenk.
Im selben Blatt fragt sich Helmut Böttiger: "Wie politisch ist die deutsche Gegenwartsliteratur?" Richtig schmuck findet Böttiger weder Dirk Kurbjuweits "Nicht die ganze Wahrheit" noch Michael Kumpfmüllers "Nachricht an alle" noch Georg Oswalds "Vom Geist der Gesetze".
Nein, SZ-Autor Böttiger verteidigt andere Kandidaten und maßregelt seine Kritikerkollegen:
"Es fällt auf, wie wohlfeil es heute ist, Autoren wie Reinhard Jirgl oder Ernst-Wilhelm Handler ihren theoretischen Hintergrund vorzuhalten, die Ernsthaftigkeit, mit der sie ästhetisch auf das reagieren, was an Wissen und Bewusstsein bereits in der Luft liegt. Genau gegen solche Autoren werden jetzt, in aller Medien-Unschuld, wunderschöne Begriffe wie 'Erzählen' ins Feld geführt, ideologisch befrachtet und ihrer Unschuld beraubt"
so Helmut Böttiger in der SZ.
Zum Schluss: das Tier. "Ist sie nicht süß?" fragt der TAGESSPIEGEL unter dem Jean-Baptiste Oudry-Gemälde des Rhinozeros Clara von 1749. Michael Zajons bespricht die Ausstellung von Oudry-Werken im Staatlichen Museum Schwerin äußerst positiv und hofft auf Effekte, was die Renovierung des Hauses angeht:
"Vielleicht erweicht nun Clara Politiker- und Beamtenherzen – zumal der Schweriner Zoo im Mai ein neues Nashorn erwartet, das den Namen der berühmten Vorgängerin erhalten wird."
Ja, das gefiele uns: Nehmen wir doch statt der weichgespülten Knuts und Flockes mal eine kleine Nashörnin zum deutschen Lieblingsschmusi.
Rhetorisch packend, aber auch inhaltlich eminent: Klaus Theweleits Beitrag "Der belgische Hitler-Sohn und der deutsche Unterleib". Mit beträchtlichem Stolz erläutert Kulturtheoretiker Theweleit den Einfluss, den sein berühmtes Werk "Männerphantasien" noch nach fast dreißig Jahren auf Jonathans Littells Studie über den belgischen SS-Offizier Léon Degrelle und damit womöglich auf den Riesen-Roman "Die Wohlgesinnten" gehabt hat.
Für Theweleit ist die Frage nach wie vor offen, warum nicht alle Kinder seiner Generation Psychoanalytiker geworden sind – er schreibt:
"Am Vater und seiner Umgebung hatte ich gesehen, dass sie 'ideologisch' keine Nazis waren, 'intellektuell' nicht fähig, den Nazi-Schrott herzubeten oder gar zu verteidigen. Sie waren körperlich Nazis; Teile ihre Körperlichkeit verlangten die 'Auslöschung' anderer, anderen abweichenden Lebens."
Es sei nebenher erwähnt, dass die WELT fordert: "Ediert endlich 'Mein Kampf'" – und zwar wissenschaftlich-sachkundig, zum Zweck der Abwehr rechter Mythen über das 800-seitige Hitler-Gefasel mit den tödlichen Nebenwirkungen.
Der zweite, hiermit empfohlene FAZ-Artikel heißt "Sprachfreies Denken gibt es nicht", stammt aus der Tastatur des Sprachwissenschaftlers Helmut Glück und wettert gegen die Durchsetzung des Englischen als einzig gültiger Wissenschaftssprache.
"Englisch […] ist eine Muttersprache. Sie verschafft ihren Sprechern einen Vorteil, und sie benachteiligt alle, die andere Muttersprachen haben. Das beginnt sich zu rächen. […] Das globale Wissenschafts-Englisch […] wird inzwischen als BSE ('bad simple English') verspottet"
mokiert sich Helmut Glück in der FAZ und resümiert:
"Die Wissenschaftssprache Deutsch ist eine Errungenschaft, an der Generationen von Gelehrten fünfhundert Jahre lang gearbeitet haben. Ihr Niedergang bedeutet die Verschleuderung eines immensen geistigen und materiellen Kapitals."
Wie erwähnt, wirken Theweleits "Männerphantasien" noch Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung. Soziologe Heinz Bude darf sich von seinem Absturzdrama "Die Ausgeschlossenen" nichts Ähnliches erhoffen – sofern Jakob Schrenk mit seiner Kritik in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG recht hat.
"Um zu begründen, dass die These des totalen Ausschlusses eine stimmige Gegenwartsdiagnose sei, muss Bude dramatisieren, störende Fakten ausblenden sowie jede Menge Sound- und Trickeffekte in seinen Soziothriller einfügen"
schreibt SZ-Autor Jakob Schrenk.
Im selben Blatt fragt sich Helmut Böttiger: "Wie politisch ist die deutsche Gegenwartsliteratur?" Richtig schmuck findet Böttiger weder Dirk Kurbjuweits "Nicht die ganze Wahrheit" noch Michael Kumpfmüllers "Nachricht an alle" noch Georg Oswalds "Vom Geist der Gesetze".
Nein, SZ-Autor Böttiger verteidigt andere Kandidaten und maßregelt seine Kritikerkollegen:
"Es fällt auf, wie wohlfeil es heute ist, Autoren wie Reinhard Jirgl oder Ernst-Wilhelm Handler ihren theoretischen Hintergrund vorzuhalten, die Ernsthaftigkeit, mit der sie ästhetisch auf das reagieren, was an Wissen und Bewusstsein bereits in der Luft liegt. Genau gegen solche Autoren werden jetzt, in aller Medien-Unschuld, wunderschöne Begriffe wie 'Erzählen' ins Feld geführt, ideologisch befrachtet und ihrer Unschuld beraubt"
so Helmut Böttiger in der SZ.
Zum Schluss: das Tier. "Ist sie nicht süß?" fragt der TAGESSPIEGEL unter dem Jean-Baptiste Oudry-Gemälde des Rhinozeros Clara von 1749. Michael Zajons bespricht die Ausstellung von Oudry-Werken im Staatlichen Museum Schwerin äußerst positiv und hofft auf Effekte, was die Renovierung des Hauses angeht:
"Vielleicht erweicht nun Clara Politiker- und Beamtenherzen – zumal der Schweriner Zoo im Mai ein neues Nashorn erwartet, das den Namen der berühmten Vorgängerin erhalten wird."
Ja, das gefiele uns: Nehmen wir doch statt der weichgespülten Knuts und Flockes mal eine kleine Nashörnin zum deutschen Lieblingsschmusi.