Von André Hatting

Die "Berliner Zeitung" analysiert die Berichterstattung der Medien über den Amoklauf in Winnenden. Das Ausmaß des Schadens, den der Einsturz des Kölner Stadtarchivs verursacht hat, sei weitaus schlimmer als der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar, schreibt die "SZ". Die "FR" gratuliert dem Bauhaus zum 90. Geburtstag.
Wieder Winnenden. Der grausige Amoklauf bietet den Feuilletons noch immer viel Schreibstoff. Zum Beispiel für die Zeitung DIE WELT, in der Eckhard Fuhr im Aufmacher über die von einigen geforderte "völlige gesellschaftliche Abrüstung" räsoniert, um dies dann spöttisch abzutun. In der BERLINER ZEITUNG sind wir auf der Meta-Ebene angelangt: Wie haben die Medien über den Amoklauf berichtet?, fragt Sabine Rennefanz und tadelt den SPIEGEL fürs Titelfoto mit Täter Tim K. und den FOCUS, weil der Porträts der Toten aufs Cover setzte. Die Winnender Zeitung blamierte sich mit einer besonders plumpen Form der Doppelmoral:

"‚Lasst uns in Ruhe trauern!’ druckte das Blatt in der Wochenendausgabe, ein lobenswerter Appell, eigentlich. Wenn nicht weiter unten auf derselben Seite gestanden hätte: ‚Lesen Sie 8 Seiten Extra zum Amoklauf.’"

Sabine Rennefanz weiß aber auch über eine irritierende Geschäftstüchtigkeit von Tims Mitschülern zu berichten:

"Einen Tag nach dem Amoklauf erreichte auch die Berliner Zeitung die E-Mail eines Mädchens, die Bilder von Tim K. anbot, gegen Bezahlung."

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG fürchtet um einen wachsenden "Resonanzraum", den Ereignisse wie damals in Erfurt und jetzt in Winnenden schafften: Längst ersetze in den USA das Wort "school shooting" den Begriff "Amoklauf". "To hero" werde in einschlägigen Foren als Neologismus für "zum Helden werden" benutzt, der durchdreht und am Ende dafür mit dem Leben bezahlt. Für Joachim Güntner in der NZZ beunruhigende Zeichen, die darauf verwiesen,

"dass wir es mit einem Geschehen zu tun haben, dem ein allgemeiner Charakter beigemessen wird. Eine Art von ‚Normalität’"

Zum Glück wurde nicht noch Daniel Dettling danach gefragt, was das alles über unser Wertesystem aussagt. Dettling leitet den Thinktank Berlinpolis. Was dieser Denktank so alles denkt, davon liefert der RHEINISCHE MERKUR eine Kostprobe. Dort darf Dettling in einem Artikel der Frage nachgehen, was konservativ sei.

"Zeitgemäßer Konservatismus setzt auf die Freiwilligkeit von Bindungen und den Mut, Verantwortung zu übernehmen."

Allgemeiner geht es kaum. Doch, nur wenige Absätze später!:

"Gefragt ist eine Balance aus Bewahren und Erneuern, aus Sicherheit und Freiheit, aus Zutrauen und Zumuten."

Resümiert Dettling seine Erkenntnisse und wir fragen uns, ob es für die Erzeugung dieser Gemeinplätze wirklich einen Thinktank braucht? Zumindest scheinen diese Gedanken nicht archivierungswürdig zu sein. Anders als die Handschriften des Albertus Magnus etwa, die man jetzt in den Trümmern des eingestürzten Kölner Stadtarchivs wiedergefunden hat. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet:
Das Ausmaß dieses Schadens sei weitaus schlimmer als der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar vor viereinhalb Jahren, sagt deren Leiter Michael Knoche in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

"In Köln geht es um die zehnfache Menge betroffenen Schriftguts – überwiegend um Archivalien, also Unikate, in Weimar überwiegend um gedruckte Bücher, die
ursprünglich in mehreren Exemplaren hergestellt worden sind."

Passenderweise hat die SÜDDEUTSCHE den niederschmetternden Befund unter einen Artikel nebst Bild gesetzt, der an den Ausbruch des Vesuvs erinnert.
Über einen künstlerischen Ausbruch oder besser: Aufbruch berichtet die FRANKFURTER RUNDSCHAU. Sie gratuliert, etwas verfrüht, dem Bauhaus zum 90. Oliver Herwig liefert keine Huldigung, sondern eher so etwas wie eine kritische Würdigung. Kritisch vor allem deshalb, weil er auch der Frage nachgeht, wie es das Bauhaus geschafft habe, bis heute Kultstatus zu genießen. Die Antwort fällt ein wenig schnöde aus:

"Was immer es produzierte, so handwerklich und nahe am Unikat, so elitär, es wurde gut präsentiert: kubisch, kantig, klug. Kult wurde das nicht zuletzt deshalb, weil die Schule über die beste Selbstdarstellung, die ausgefuchsteste PR-Abteilung ihrer Zeit verfügte."