Von André Hatting

Madonnas Bühnenshow auf ihrer Deutschlandtournee, Günter Grass' Geständnis seiner SS-Mitgliedschaft und Ernst Ludwig Kirchners "Berliner Straßenszene" - das sind die Themen, mit denen sich die Feuilletons der vergangenen Woche vor allem beschäftigten.
Günter Grass und Madonna Ciccone, der deutsche Literaturnobelpreisträger und sein spätes Bekenntnis, die amerikanische "Queen of Pop" und ihr Deutschlandkonzert, sie waren die herausragenden Personen der Feuilletons. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL machte Grass zur Titelgeschichte. In der stimmen die Autoren vorbehaltlos in den allgemeinen Abgesang ein:

"Die moralische Integrität des Nobelpreisträgers hat Schaden genommen."

Schon in der Überschrift wird dem Leser die Meinung der Autoren als allgemeine Tatsache präsentiert. In der Lobeshymne auf die Memoiren des Publizisten Joachim Fest ein paar Seiten weiter erfahren wir dann auch, wie man sich moralisch vorbildlich und stets korrekt verhält:

"Grass und Fest, der linke Polterer und der konservative Bildungsbürger","

schreibt Matthias Matussek,

""Sie verkörperten gegensätzliche Pole in den vergangenen Jahrzehnten. Nun lässt sich nachlesen, wie sehr sie es schon in ihren Herkunftsmilieus waren - der eine rasender Mitläufer, der andere entschlossener Nicht-Mitmacher."

Es ist nicht zu überlesen: Die kurze Zeit, die Grass als Siebzehnjähriger in der Waffen SS zugebracht hat, sie wird von den Konservativen zur Generalabrechnung genutzt. Dass die Mehrheit der Deutschen das anderes sieht, steht auch im SPIEGEL. Eine Umfrage zeigt: 65 Prozent der Deutschen finden, dass Grass’ Wort in moralischen Fragen auch weiterhin Gewicht habe.

Unterstützung erfährt der Schriftsteller aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Sie hat den Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler darum gebeten, einmal genauer auf die Einheit zu schauen, in der Grass gewesen ist. Diese Division "Fundsberg" sei eine bunt zusammen gewürfelte Truppe gewesen. Erst 1943 sei sie zum Einsatz gekommen. Aber:

"Mir sind keine Unterlagen bekannt, dass diese Division für Kriegsverbrechen verantwortlich gewesen ist."

Das sagt der Geschichtswissenschaftler Wehler in der SZ. Die Zeitung DIE WELT hat sich die Meinung eines bekannten Politologen eingeholt. Daniel Goldhagen kommt zu der Erkenntnis, "dass der Sturm um das späte Bekenntnis mehr dazu beitragen wird, den Blick der Deutschen auf historische Wahrheit und persönliche Vertuschungsstrategien zu richten, als es das literarische Œuvre des Nobelpreisträgers je vermochte."

Hätte Grass doch lieber weiter vertuscht, so könnte man Klaus Staecks Empfehlung verstehen. Befragt von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, verrät der Präsident der Akademie der Künste:

"Ein echter Schriftsteller trägt sein Leben lang in seinem Ärmel ein schwarzes As, das er niemals auf den Tisch werfen wird."

Nach dieser These ist Grass entweder kein "echter Schriftsteller" oder das bisherige Ass nicht schwarz. Möglicherweise haben wir noch nicht die ganze Wahrheit gehört. Mit großer Spannung blickt man deshalb auf den Feuilletonaufmacher der WELT vom Donnerstag. Die Zeitung hat einen Blick in die Berichte werfen dürfen, welche die Staatssicherheit der DDR über den Schriftsteller angefertigt hatte. Aber welche Diskrepanz zwischen Erwartung und Ertrag!

"Die Stasi-Unterlagen zu Günter Grass enthalten keine skandalösen Neuigkeiten über den Schriftsteller."

So heißt es wörtlich in dem Artikel. Wir wenden uns enttäuscht ab und dem zweiten großen Erreger der vergangen Woche zu: Madonnas Konzert in Düsseldorf beschert der Sängerin reihenweise Feuilleton-Titelgeschichten.

"Wie von einem anderen Stern","

sei man sich vorgekommen, schwärmt zum Beispiel Christian Schröder im TAGESSPIEGEL. In der SZ ist Oliver Fuchs völlig hingerissen von der Show der 48-Jährigen:

""Wie viel Kunstverstand, wie viel Disziplin und Intelligenz nötig sind, um echten Spaß, echte Ekstase herzustellen, das zeigt dieser Abend."

Am Donnerstag jubeln Andreas Platthaus und Dietmar Dath in der FAZ im Duett:

"Wer ist diese Teenager-Spitzensportlerin, die an der schweißglänzenden Striptease-Stange auf dem elektrisch durchgerüttelten Rodeosattel eine Uptempo-Version von ‚Like a Virgin’ in den Himmel wiehert, als wäre sie das letzte Einhorn? (…) Wer ist die hyperattraktive, punkig finstere Rocksau, die schließlich bei ‚I Love New York’ über ihre mit tonnenweise feinstem Verzerrerdreck (…) zugekleisterte E-Gitarre herfällt, als wäre sie ein Löwe und das Instrument ein Zebra?"

Übrigens: Alle Rezensenten sind männlich. Es wäre interessant gewesen, die Meinung einer weiblichen Konzertbesucherin zu lesen.

Wem gehört das Bild "Berliner Straßenszene" des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner? Für den Berliner Senat steht fest: Den Erben des jüdischen Eigentümers. Dieser hatte das Gemälde 1936 unter dem Druck der Nationalsozialisten verkauft. Deswegen wurde es nun aus dem Brücke-Museum entfernt und den Erben zurückgegeben. Mit schlimmen Folgen für den Kultursenator Thomas Flierl. Er muss sich in der Hauptstadt herbe Kritik gefallen lassen.

"Zu einem guten Teil (…) resultiert das verbreitete Unbehagen an dem Vorgang aus dem Verdacht, hier seien in einer moralisch sensiblen und juristisch unübersichtlichen Grauzone vor allem ökonomische Interessen befriedigt worden","

glaubt Heinrich Wefing in der FAZ. Stefan Koldehoff in der SÜDDEUTSCHEN sieht das etwas anders. Er vermutet politische Interessen hinter dem Bilder-Streit:

""Die Rückgabe des Bildes soll als Argument dafür dienen, "die in der ‚Washingtoner Konferenz’ von 1998 auch von der Bundesrepublik beschlossenen Grundsätze zum Umgang mit Raubkunst grundsätzlich in Frage zu stellen."

Von Raubkunst könne hier keine Rede sein, schreibt nur einen Tag später der Rechtsanwalt Peter Raue im TAGESSPIEGEL. Die Rückgabe im Kirchner-Fall sei "angreifbar und nicht haltbar", denn bei dem Bild handle es sich nicht "um ein von den Nazis beschlagnahmtes Kunstwerk."

In der Wochenzeitung DIE ZEIT kontert der Kunstkritiker Hanno Rauterberg: Ganz "gleich, aus welchen Motiven heraus ein Bild zurückgefordert wird und wer am Ende davon profitiert, es steht den Deutschen nicht an, über den Verlust zu klagen und darüber, dass jüdische Erben sich nicht endlich mit der Geschichte aussöhnen."

Das wäre ein gutes Schlusswort in diesem Streit. Wenn es denn ein Schlusswort wäre.