Von alten Männern und jüngeren Frauen
Dieses Jahr werden auf dem Festival "Rossini in Wildbad" zwei italienische Opern gespielt, die das selbe Thema verbindet: Ein alternder Mann trifft auf eine junge Frau. Die musikdramatische Handlung wird ernst genommen und nicht auf Nonsens-Theater reduziert, meint unser Rezensent.
Seit 20 Jahren ist Jochen Schönleber nun schon Intendant des Festivals "Rossini in Wildbad" und damit, wie er herausgefunden hat, zurzeit der am längsten an einem Ort amtierende Opernintendant Deutschlands. Sicherlich, sein Festival "Rossini in Wildbad" dauert nur drei Wochen im Jahr – doch die kontinuierliche Bemühung um die Oper des italienischen Belcanto in Wildbad hat sich bezahlt und das Festival unverwechselbar gemacht, und da Schönleber immer sich gerade erst etablierende Sängerinnen und Sänger findet und engagiert, ist es sehr jung geblieben.
Mindestens zwei Ausgrabungen erwartet der Besucher jedes Jahr, wobei nun nach der fast vollständigen Wiederentdeckung des Werkes von Rossinis Umfeld, vergessene italienische Opernkomponisten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, immer mehr ins Interesse rückt. Schönleber arbeitet dabei mit Musikwissenschaftler wie Michael Wittmann, Jeremy Commons und Paolo Fabbri, Spürhunden nach solchen Opern in italienischen Bibliotheken und Archiven, zusammen.
Die Eröffnungspremiere "Ser Marcantonio" von Stefano Pavesi hat das gleiche Libretto wie Gaetano Donizettis "Don Pasquale", die Oper über den liebeskranken alten Mann, der es noch einmal seiner Verwandtschaft zeigen möchte und trotz seiner 70 Jahre heiraten will und der, als sich die angeblich naive Braut als schrill, autoritär und vor allem verschwenderisch herausstellt, heilfroh ist, wenn auch mit finanziellen Einbußen sein Hochzeits-Vorvertag wieder lösen zu können. Pavesis "Ser Marcantonio" wurde bereits 1810, also 32 Jahre vor Donizettis "Don Pasquale", in der Mailänder Scala uraufgeführt und war von 1810 bis 1830 einer der meistgespielten italienischen Opern. Dann wurde sie vollständig von Donizetti verdrängt, allerdings wurde sie 2000 bereits einmal, für das Theater in Lugo, einer kleinen Stadt nahe Ravenna, vom Musikwissenschaftler Paolo Fabbri ausgegraben.
Wie klingt also "Don Pasquale", 32 Jahre vor Donizetti komponiert? Manche Mozartzitate sind deutlich zu hören, aber vor allem scheint die spannungsreiche qualitätsvolle Komposition Rossini sehr nahe - mit sich immer wieder überstürzenden Crescendi, mit karikierenden Zuspitzungen. Doch "Ser Marcantonio" ist gerade kein Rossini-Imitat, sondern im Gegenteil: Ein Parallelfall! 1810 ist ja genau jenes Jahr, in dem die erste Oper Rossinis herauskommt. Vor Donizetti hat also ziemlich bald auch Rossini Pavesi in den Schatten gestellt.
Die zweite Ausgrabung lohnt hingegen vom Libretto und musikalisch weniger, wohl aber stellt sie ein interessantes "Format" vor. Der Neuseeländer Musikwissenschafler Jeremy Commons, der für die Opera Rara arbeitet, hat für Wildbad bereits die dritte Salonoper des bis dahin fast völlig unbekannten Musiklehrers Giuseepe Balducci "Il noce di Benevento", "Der Hexenbaum von Benevent" ausgegraben, eine Oper, die der Lehrer Balducci, für seine drei Schülerinnen, drei aristokratische Geschwister und deren Freundinnen, also ausschließlich Frauen komponiert hat. Drei Mädchen plus Tante und Mutter, kämpfen im "Hexenbaum von Benevent" um einen Mann – auch er von einer Frau gesungen. Oper als private Geselligkeit und Gesangsübung im Salon. Statt des Orchesters begleiten drei Pianisten an zwei Klavieren.
Was "Rossini in Wildbad" seit 20 Jahren auszeichnet, ist das Ernstnehmen der musikdramatischen Handlung. Rossini ist in Wildbad nicht auf absurden Theater-Nonsens reduziert. An der großen Rossini-Produktion dieses Jahres, "Il Turco in Italia", "Der Türke in Italien", die der Intendant Jochen Schönleber selbst inszenierte, wird das wieder deutlich. Auch hier ist es die Geschichte eines alten liebeskranken Mannes. Sie wird bei Rossini ambivalenter und ironisch gebrochener erzählt an in der bitterbösen schadenfrohen Oper von Pavesi. Manchmal hält bei allem komödiantischem Wirrwarr die Musik plötzlich inne und ein geradezu existenzielles Erschrecken tut sich für einige Momente auf und der gequälte Geronino fragt: "Wer ist überhaupt von diesen Frauen meine Frau, ich kann sie gar nicht mehr erkennen."
Den alte liebeskranken Mann spielt Bruno Pratico und seine Art mit dem Orchester zu kommunizieren und sich mit polterndem Prestissimo zu behaupten, ist bewundernswert; gleichzeitig auch ein Lehrstück für die Theatralik der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts. Unter den vielfach aus der italienischen Opernszene kommenden jungen Sängern kann man viele Entdeckungen machen, etwa den Tenor José Luis Sola oder den Mezzo Lorianna Castellano. Vor allem aber hat sich beim Orchester, der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Antonino Fogliani, die kontinuierliche Beschäftigung mit Rossini bezahlt gemacht hat. Wildbad kann hier mit den großen Stadt- und Staatstheatern mühelos konkurrieren.
Mindestens zwei Ausgrabungen erwartet der Besucher jedes Jahr, wobei nun nach der fast vollständigen Wiederentdeckung des Werkes von Rossinis Umfeld, vergessene italienische Opernkomponisten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, immer mehr ins Interesse rückt. Schönleber arbeitet dabei mit Musikwissenschaftler wie Michael Wittmann, Jeremy Commons und Paolo Fabbri, Spürhunden nach solchen Opern in italienischen Bibliotheken und Archiven, zusammen.
Die Eröffnungspremiere "Ser Marcantonio" von Stefano Pavesi hat das gleiche Libretto wie Gaetano Donizettis "Don Pasquale", die Oper über den liebeskranken alten Mann, der es noch einmal seiner Verwandtschaft zeigen möchte und trotz seiner 70 Jahre heiraten will und der, als sich die angeblich naive Braut als schrill, autoritär und vor allem verschwenderisch herausstellt, heilfroh ist, wenn auch mit finanziellen Einbußen sein Hochzeits-Vorvertag wieder lösen zu können. Pavesis "Ser Marcantonio" wurde bereits 1810, also 32 Jahre vor Donizettis "Don Pasquale", in der Mailänder Scala uraufgeführt und war von 1810 bis 1830 einer der meistgespielten italienischen Opern. Dann wurde sie vollständig von Donizetti verdrängt, allerdings wurde sie 2000 bereits einmal, für das Theater in Lugo, einer kleinen Stadt nahe Ravenna, vom Musikwissenschaftler Paolo Fabbri ausgegraben.
Wie klingt also "Don Pasquale", 32 Jahre vor Donizetti komponiert? Manche Mozartzitate sind deutlich zu hören, aber vor allem scheint die spannungsreiche qualitätsvolle Komposition Rossini sehr nahe - mit sich immer wieder überstürzenden Crescendi, mit karikierenden Zuspitzungen. Doch "Ser Marcantonio" ist gerade kein Rossini-Imitat, sondern im Gegenteil: Ein Parallelfall! 1810 ist ja genau jenes Jahr, in dem die erste Oper Rossinis herauskommt. Vor Donizetti hat also ziemlich bald auch Rossini Pavesi in den Schatten gestellt.
Die zweite Ausgrabung lohnt hingegen vom Libretto und musikalisch weniger, wohl aber stellt sie ein interessantes "Format" vor. Der Neuseeländer Musikwissenschafler Jeremy Commons, der für die Opera Rara arbeitet, hat für Wildbad bereits die dritte Salonoper des bis dahin fast völlig unbekannten Musiklehrers Giuseepe Balducci "Il noce di Benevento", "Der Hexenbaum von Benevent" ausgegraben, eine Oper, die der Lehrer Balducci, für seine drei Schülerinnen, drei aristokratische Geschwister und deren Freundinnen, also ausschließlich Frauen komponiert hat. Drei Mädchen plus Tante und Mutter, kämpfen im "Hexenbaum von Benevent" um einen Mann – auch er von einer Frau gesungen. Oper als private Geselligkeit und Gesangsübung im Salon. Statt des Orchesters begleiten drei Pianisten an zwei Klavieren.
Was "Rossini in Wildbad" seit 20 Jahren auszeichnet, ist das Ernstnehmen der musikdramatischen Handlung. Rossini ist in Wildbad nicht auf absurden Theater-Nonsens reduziert. An der großen Rossini-Produktion dieses Jahres, "Il Turco in Italia", "Der Türke in Italien", die der Intendant Jochen Schönleber selbst inszenierte, wird das wieder deutlich. Auch hier ist es die Geschichte eines alten liebeskranken Mannes. Sie wird bei Rossini ambivalenter und ironisch gebrochener erzählt an in der bitterbösen schadenfrohen Oper von Pavesi. Manchmal hält bei allem komödiantischem Wirrwarr die Musik plötzlich inne und ein geradezu existenzielles Erschrecken tut sich für einige Momente auf und der gequälte Geronino fragt: "Wer ist überhaupt von diesen Frauen meine Frau, ich kann sie gar nicht mehr erkennen."
Den alte liebeskranken Mann spielt Bruno Pratico und seine Art mit dem Orchester zu kommunizieren und sich mit polterndem Prestissimo zu behaupten, ist bewundernswert; gleichzeitig auch ein Lehrstück für die Theatralik der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts. Unter den vielfach aus der italienischen Opernszene kommenden jungen Sängern kann man viele Entdeckungen machen, etwa den Tenor José Luis Sola oder den Mezzo Lorianna Castellano. Vor allem aber hat sich beim Orchester, der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Antonino Fogliani, die kontinuierliche Beschäftigung mit Rossini bezahlt gemacht hat. Wildbad kann hier mit den großen Stadt- und Staatstheatern mühelos konkurrieren.