Von allem nur das Beste
Kirchenmusik gilt sicherlich als ehrwürdig und schön, ist für so manche Menschen aber doch ein wenig zu ernst und einseitig. Wie lebendig und vielfältig diese jahrhundertealte Tradition in Wirklichkeit ist, das zeigt sich im spanischen Cuenca, einer malerischen Kleinstadt in Kastilien – dort findet seit 50 Jahren eine "Woche religiöser Musik" statt.
Die Musik klingt militärisch: ein religiöser und für Spanien typischer Prozessionsmarsch. Wie bei einer Armeekapelle schreiten die uniformierten Musiker in geschlossenen Reihen an den am Straßenrand dicht beieinander stehenden Menschen vorbei.
Allmählich wird die Musik vom Aufschlagen hölzerner Stöcke abgelöst. Dann sieht man 24 Männer, die ein hölzernes Podest tragen, rund vier Mal vier Meter groß. Darauf erhebt sich ein zirka fünf Meter hohes Kruzifix, unter dem eine weinende Muttergottes kniet. In ihrer freien Hand halten die Träger einen langen Stock aus Holz. Der wird rhythmisch auf den Straßenbelag geschlagen, damit die 24 Männer im Takt gehen. Würden sie den Gleichschritt verlieren, könnte das schwere Podest mit den Skulpturen zu Boden stürzen.
Bis auf die Geistlichen sind alle Beteiligten an den Prozessionen der Karwoche in Cuenca mit spitz in die Höhe ragenden Mützen bekleidet, die nur Öffnungen für die Augen freilassen. Tausende von Kapuzenfrauen- und Männern marschieren langsam durch das spanische Städtchen. Immer begleitet von Musik.
Die Prozessionen finden jeden Tag statt. Sechs Tage lang. Aber nach Cuenca kommt man nicht nur um diese selbst in Spanien einzigartige Karwochentradition zu erleben. In der Woche vor Ostern finden jeden Tag drei Konzerte statt: mittags, nachmittags und abends.
Geboten wird in Cuenca ausschließlich religiös inspirierte Musik aus über 1.000 Jahren Musikgeschichte. Die Woche für religiöse Musik in Cuenca, das wahrscheinlich älteste Festival dieser Art weltweit, feierte in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum.
Das ungewöhnlich reichhaltige musikalische Angebot offerierte viele Raritäten – die genauso aufgeführt wurden, wie es zur Zeit ihrer Entstehung üblich war. In diesem Jahr war zum Beispiel das so genannte "Officium Tenebrarum" des spanischen Komponisten Tomas Luis de Victoria zu hören, der für jeden Tag der Karwoche Chorwerke verfasste. Dieses umfangreiche Opus wurde in Cuenca vom Ensemble Plus Ultra unter der Leitung des Barockexperten Michael Noone aufgeführt.
Ein Festival für religiöse Musik, das vor 50 Jahren in Spanien gegründet wurde, als der Diktator Franco und eine erzkonservative und mit dem Regime eng zusammen arbeitende katholische Kirche das Land fest im Griff hatten. Da fragt man sich unwillkürlich, ob und wie lange diese Veranstaltungsreihe ein Kind dieses politisch-religiösen Regimes war. Pilar Tomas, die künstlerische Direktorin des Festivals:
"Nein, das war nie so. Erst jetzt, seit kurzem, hat der lokale Bischof einen Platz in unserem Verwaltungsrat. Damals war das nicht so, obwohl es natürlich immer eine Zusammenarbeit zwischen Festival und Kirche gab. Das Katholische, das Religiöse steht natürlich im Vordergrund, weil das Festival in der Karwoche stattfindet."
Bereits mit der ersten Ausgabe 1962 machten die Festivalmacher Cuenca zu einer Bühne für durchaus regimekritische Künstler. So führte man nicht nur Werke jener Komponisten auf, die der "Gruppe von 51" angehörten, sondern gab bei ihnen auch Musik in Auftrag. Diese Künstlergruppe hatte das erklärte Ziel, Spanien aus der von Diktator Franco verordneten kulturellen Isolation herauszuführen. So wurde das Festival in Cuenca schnell zum spanischen Zentrum avantgardistischer Musik, die die Nähe zum übrigen Europa suchte.
Das sieht auch Miguanchel Alvares so. Der junge Mann ist Kaplan der Kathedrale von Cuenca und an der Organisation des Festivals mitbeteiligt:
"Ich glaube, dass man sagen kann, dass dieses Festival eine Art Keimzelle des Widerstands gegen einen gewissen kirchlichen Obskurantismus war. Hier wurde ja von Anfang musikalische Tradition gepflegt und gleichzeitig viel Wert auf das Neue in der Musik gelegt."
In diesem Jahr wurde unter anderem ein Auftragswerk für Solo-Cello von Millàn de las Heras uraufgeführt. Der Komponist stammt aus Cuenca und wurde, wie es in dem Städtchen Tradition ist, nach seiner Geburt umgehend in das Mitgliederregister jener Bruderschaft eingeschrieben, der seine Eltern angehören. Von den insgesamt 55.000 Bürgern gehören 45.000 einer religiösen Bruderschaft an.
Jetzt könnte man meinen, dass Cuenca somit eine spanische Hochburg erzkonservativer katholischer Politik ist – aber weit gefehlt. In den letzten Jahren wurde gleich zwei Mal ein sozialistischer Politiker, der sich auch für eheähnliche Beziehungen von gleichgeschlechtlichen Paaren stark machte, Bürgermeister. Politik und Religion, das wird am Beispiel Cuenca deutlich, lassen sich im heutigen Spanien nicht mehr über einen Kamm scheren.
Das gleiche gilt für die Festivalbesucher. Bei dem Titel "Woche religiöser Musik" denkt man eher gesetzteres Publikum. Aber auch hier weit gefehlt. Die Zuhörerschaft ist sehr gemischt - und kommt auch von auswärts, denn geboten werden allererste Qualität und echte Raritäten.
Zum Beispiel ein Konzert für spanische Musik des späten 18. Jahrhunderts von Antonio Soler für zwei identische und im Chor der Kathedrale an gegenüberliegenden Wänden angebrachte Barockorgeln.
Das Festival macht deutlich, dass Kirchenmusik in der Vergangenheit auch viel mit musikalischen Vergnügungen zu tun hatte. So führte Christophe Rousset mit seinem Ensemble Les Talens Lyrique ein erst vor Kurzem wieder entdecktes Werk des Barock-Genies Giovan Battista Pergolesi auf: "San Guglielmo d’Aquitania". Es handelt von der Konversion eines mittelalterlichen Häretikers zum wahren Glauben der katholischen Kirche.
Ein Werk, das musikalisch so flott daher kommt, das es eher wie eine Oper wirkt und nicht wie eine religiöse Komposition. Bei diesem wie bei allen anderen Konzerten in Cuenca wurde deutlich, dass das Festival der wohl beste Beweis dafür ist, dass religiöse Musik - damals wie heute - nicht unbedingt etwas mit Frömmelei und trostloser Rückwärtsgewandheit zu tun haben muss.
Allmählich wird die Musik vom Aufschlagen hölzerner Stöcke abgelöst. Dann sieht man 24 Männer, die ein hölzernes Podest tragen, rund vier Mal vier Meter groß. Darauf erhebt sich ein zirka fünf Meter hohes Kruzifix, unter dem eine weinende Muttergottes kniet. In ihrer freien Hand halten die Träger einen langen Stock aus Holz. Der wird rhythmisch auf den Straßenbelag geschlagen, damit die 24 Männer im Takt gehen. Würden sie den Gleichschritt verlieren, könnte das schwere Podest mit den Skulpturen zu Boden stürzen.
Bis auf die Geistlichen sind alle Beteiligten an den Prozessionen der Karwoche in Cuenca mit spitz in die Höhe ragenden Mützen bekleidet, die nur Öffnungen für die Augen freilassen. Tausende von Kapuzenfrauen- und Männern marschieren langsam durch das spanische Städtchen. Immer begleitet von Musik.
Die Prozessionen finden jeden Tag statt. Sechs Tage lang. Aber nach Cuenca kommt man nicht nur um diese selbst in Spanien einzigartige Karwochentradition zu erleben. In der Woche vor Ostern finden jeden Tag drei Konzerte statt: mittags, nachmittags und abends.
Geboten wird in Cuenca ausschließlich religiös inspirierte Musik aus über 1.000 Jahren Musikgeschichte. Die Woche für religiöse Musik in Cuenca, das wahrscheinlich älteste Festival dieser Art weltweit, feierte in diesem Jahr ihr 50. Jubiläum.
Das ungewöhnlich reichhaltige musikalische Angebot offerierte viele Raritäten – die genauso aufgeführt wurden, wie es zur Zeit ihrer Entstehung üblich war. In diesem Jahr war zum Beispiel das so genannte "Officium Tenebrarum" des spanischen Komponisten Tomas Luis de Victoria zu hören, der für jeden Tag der Karwoche Chorwerke verfasste. Dieses umfangreiche Opus wurde in Cuenca vom Ensemble Plus Ultra unter der Leitung des Barockexperten Michael Noone aufgeführt.
Ein Festival für religiöse Musik, das vor 50 Jahren in Spanien gegründet wurde, als der Diktator Franco und eine erzkonservative und mit dem Regime eng zusammen arbeitende katholische Kirche das Land fest im Griff hatten. Da fragt man sich unwillkürlich, ob und wie lange diese Veranstaltungsreihe ein Kind dieses politisch-religiösen Regimes war. Pilar Tomas, die künstlerische Direktorin des Festivals:
"Nein, das war nie so. Erst jetzt, seit kurzem, hat der lokale Bischof einen Platz in unserem Verwaltungsrat. Damals war das nicht so, obwohl es natürlich immer eine Zusammenarbeit zwischen Festival und Kirche gab. Das Katholische, das Religiöse steht natürlich im Vordergrund, weil das Festival in der Karwoche stattfindet."
Bereits mit der ersten Ausgabe 1962 machten die Festivalmacher Cuenca zu einer Bühne für durchaus regimekritische Künstler. So führte man nicht nur Werke jener Komponisten auf, die der "Gruppe von 51" angehörten, sondern gab bei ihnen auch Musik in Auftrag. Diese Künstlergruppe hatte das erklärte Ziel, Spanien aus der von Diktator Franco verordneten kulturellen Isolation herauszuführen. So wurde das Festival in Cuenca schnell zum spanischen Zentrum avantgardistischer Musik, die die Nähe zum übrigen Europa suchte.
Das sieht auch Miguanchel Alvares so. Der junge Mann ist Kaplan der Kathedrale von Cuenca und an der Organisation des Festivals mitbeteiligt:
"Ich glaube, dass man sagen kann, dass dieses Festival eine Art Keimzelle des Widerstands gegen einen gewissen kirchlichen Obskurantismus war. Hier wurde ja von Anfang musikalische Tradition gepflegt und gleichzeitig viel Wert auf das Neue in der Musik gelegt."
In diesem Jahr wurde unter anderem ein Auftragswerk für Solo-Cello von Millàn de las Heras uraufgeführt. Der Komponist stammt aus Cuenca und wurde, wie es in dem Städtchen Tradition ist, nach seiner Geburt umgehend in das Mitgliederregister jener Bruderschaft eingeschrieben, der seine Eltern angehören. Von den insgesamt 55.000 Bürgern gehören 45.000 einer religiösen Bruderschaft an.
Jetzt könnte man meinen, dass Cuenca somit eine spanische Hochburg erzkonservativer katholischer Politik ist – aber weit gefehlt. In den letzten Jahren wurde gleich zwei Mal ein sozialistischer Politiker, der sich auch für eheähnliche Beziehungen von gleichgeschlechtlichen Paaren stark machte, Bürgermeister. Politik und Religion, das wird am Beispiel Cuenca deutlich, lassen sich im heutigen Spanien nicht mehr über einen Kamm scheren.
Das gleiche gilt für die Festivalbesucher. Bei dem Titel "Woche religiöser Musik" denkt man eher gesetzteres Publikum. Aber auch hier weit gefehlt. Die Zuhörerschaft ist sehr gemischt - und kommt auch von auswärts, denn geboten werden allererste Qualität und echte Raritäten.
Zum Beispiel ein Konzert für spanische Musik des späten 18. Jahrhunderts von Antonio Soler für zwei identische und im Chor der Kathedrale an gegenüberliegenden Wänden angebrachte Barockorgeln.
Das Festival macht deutlich, dass Kirchenmusik in der Vergangenheit auch viel mit musikalischen Vergnügungen zu tun hatte. So führte Christophe Rousset mit seinem Ensemble Les Talens Lyrique ein erst vor Kurzem wieder entdecktes Werk des Barock-Genies Giovan Battista Pergolesi auf: "San Guglielmo d’Aquitania". Es handelt von der Konversion eines mittelalterlichen Häretikers zum wahren Glauben der katholischen Kirche.
Ein Werk, das musikalisch so flott daher kommt, das es eher wie eine Oper wirkt und nicht wie eine religiöse Komposition. Bei diesem wie bei allen anderen Konzerten in Cuenca wurde deutlich, dass das Festival der wohl beste Beweis dafür ist, dass religiöse Musik - damals wie heute - nicht unbedingt etwas mit Frömmelei und trostloser Rückwärtsgewandheit zu tun haben muss.