Von Adelheid Wedel
Die junge russische Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa analysiert in der "Welt" die aktuelle Stimmung bei ihren Altersgenossen in Russland. Der "Tagesspiegel" berichtet vom "i.Slam", dem ersten muslimischen Poetry Slam.
"In Russland hat es nie politische Freiheit gegeben. Darum sind bei uns selbst die denkenden Menschen nicht daran gewöhnt, gesamtgesellschaftlich zu denken."
Das schreibt die junge russische Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa in der Tageszeitung DIE WELT. Ihre Analyse der aktuellen Stimmung in Russland ist präzise und kündet vom eigenen Engagement wie dem einer ganzen Generation. "Plötzlich wissen wir, dass wir viele sind", so fasst sie die Ursache für den Mut und den Willen zum Aufbruch zusammen und erklärt uns, "warum die russische Jugend so lange geduldet hat und nun nicht mehr dulden will". Den Stil der russischen Staatsmacht charakterisiert die 30-Jährige ohne Furcht mit:
"Unverfrorenheit, absolute Überzeugung, ungestraft davonzukommen, und Verachtung gegenüber den Menschen."
Selbstkritisch ergänzt sie:
"Die Gesellschaft in Russland, besonders meine Generation, ist extrem unpolitisch, und das gewährt der Macht praktisch unbegrenzte Freiheiten. Sie ist uns vollkommen egal, und das kommt ihr sehr zupass."
Bis jetzt. Aber nun haben der 10. Dezember und die massenhaften Proteste auf dem Bolotnaja-Platz die Situation verändert. "Hat sich überhaupt etwas verändert oder ist das eine Illusion?", fragt die Autorin zaghaft. Und:
"Woher kommen plötzlich die hunderttausend engagierten Bürger im Land, nachdem Kundgebungen der Opposition kurz zuvor höchstens hundert Leute auf die Beine gebracht haben? Plötzlich war es unmöglich, sich herauszuhalten."
Natalja Kljutscherowa ist davon überzeugt, langsam mache sich die Erkenntnis auch in Russland breit:
"Wozu brauchen wir eine solche Staatsmacht? Wir haben verstanden, dass wir es selbst können, dass dies unser Land ist."
Von der 1981 in Perm geborenen Autorin erschien bei Suhrkamp der Roman "Endstation Russland".
Ebenfalls in der WELT kämpft der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer gegen das Vergessen seines Kollegen Andreas Reimann:
"Es wird Zeit, dass wir den großen Schriftsteller Andreas Reimann endlich wieder entdecken."
Der 1946 geborene Reimann hatte es in der DDR zu zwei Gedichtbänden gebracht, ab 1979 schwieg er, das heißt, er dichtete weiter, wurde aber nicht gedruckt. Jetzt erscheint dessen gesammeltes Werk bei der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Meyer urteilt:
"Kunstvoll in ihrer Form und weich in ihrer Strenge sind seine Dichtungen. Immer wieder das Sonett, Elegien, Oden, oft eine Trauer in seinen Versen und oft ein bitterer Witz. Ihm, dem Grantler, wird die Stadt kühl nach all den Jahren, wenn er sieht und hört, wie die Kollegen geschmeidig ihre Wege machen.""
Meyer protestiert vehement dagegen, dass "in einer Anthologie mit DDR-Lyrik kein einziges Gedicht von Andreas Reimann auftaucht".
Der Berliner TAGESSPIEGEL informiert über eine bemerkenswerte kulturelle Initiative. Nik Afanasjew schreibt:
"Beiträge zur Integrationsdebatte werden wohl eher selten in Reime verpackt."
Ganz anders beim "i.Slam", einem muslimischen Poetry Slam, der jetzt in Berlin Premiere feierte. 350 Zuschauer quetschten sich ins Alte Stadthaus und erlebten dort "den ersten slammenden Imam Deutschlands. Als ältester der neun Teilnehmer dichtete Dr. Ali Özgüt Özdil über die Gefahren des Alkohols für Muslime. Die jüngste Teilnehmerin, die 14-jährige Layan Bae sagte:
"Wir werden abgestempelt, deshalb wollte ich mitmachen, obwohl ich nervös war und die ganze Zeit gezittert habe."
Bis Ende 2012 tourt der muslimische Dichterwettstreit durch Deutschland. Am 2. Februar gastiert i.Slam in Hamburg, das Finale wird in Frankfurt am Main über die Bühne gehen. Und bis dahin hat Layan Bae ihr Lampenfieber bestimmt im Griff.
Das schreibt die junge russische Schriftstellerin Natalja Kljutscharjowa in der Tageszeitung DIE WELT. Ihre Analyse der aktuellen Stimmung in Russland ist präzise und kündet vom eigenen Engagement wie dem einer ganzen Generation. "Plötzlich wissen wir, dass wir viele sind", so fasst sie die Ursache für den Mut und den Willen zum Aufbruch zusammen und erklärt uns, "warum die russische Jugend so lange geduldet hat und nun nicht mehr dulden will". Den Stil der russischen Staatsmacht charakterisiert die 30-Jährige ohne Furcht mit:
"Unverfrorenheit, absolute Überzeugung, ungestraft davonzukommen, und Verachtung gegenüber den Menschen."
Selbstkritisch ergänzt sie:
"Die Gesellschaft in Russland, besonders meine Generation, ist extrem unpolitisch, und das gewährt der Macht praktisch unbegrenzte Freiheiten. Sie ist uns vollkommen egal, und das kommt ihr sehr zupass."
Bis jetzt. Aber nun haben der 10. Dezember und die massenhaften Proteste auf dem Bolotnaja-Platz die Situation verändert. "Hat sich überhaupt etwas verändert oder ist das eine Illusion?", fragt die Autorin zaghaft. Und:
"Woher kommen plötzlich die hunderttausend engagierten Bürger im Land, nachdem Kundgebungen der Opposition kurz zuvor höchstens hundert Leute auf die Beine gebracht haben? Plötzlich war es unmöglich, sich herauszuhalten."
Natalja Kljutscherowa ist davon überzeugt, langsam mache sich die Erkenntnis auch in Russland breit:
"Wozu brauchen wir eine solche Staatsmacht? Wir haben verstanden, dass wir es selbst können, dass dies unser Land ist."
Von der 1981 in Perm geborenen Autorin erschien bei Suhrkamp der Roman "Endstation Russland".
Ebenfalls in der WELT kämpft der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer gegen das Vergessen seines Kollegen Andreas Reimann:
"Es wird Zeit, dass wir den großen Schriftsteller Andreas Reimann endlich wieder entdecken."
Der 1946 geborene Reimann hatte es in der DDR zu zwei Gedichtbänden gebracht, ab 1979 schwieg er, das heißt, er dichtete weiter, wurde aber nicht gedruckt. Jetzt erscheint dessen gesammeltes Werk bei der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Meyer urteilt:
"Kunstvoll in ihrer Form und weich in ihrer Strenge sind seine Dichtungen. Immer wieder das Sonett, Elegien, Oden, oft eine Trauer in seinen Versen und oft ein bitterer Witz. Ihm, dem Grantler, wird die Stadt kühl nach all den Jahren, wenn er sieht und hört, wie die Kollegen geschmeidig ihre Wege machen.""
Meyer protestiert vehement dagegen, dass "in einer Anthologie mit DDR-Lyrik kein einziges Gedicht von Andreas Reimann auftaucht".
Der Berliner TAGESSPIEGEL informiert über eine bemerkenswerte kulturelle Initiative. Nik Afanasjew schreibt:
"Beiträge zur Integrationsdebatte werden wohl eher selten in Reime verpackt."
Ganz anders beim "i.Slam", einem muslimischen Poetry Slam, der jetzt in Berlin Premiere feierte. 350 Zuschauer quetschten sich ins Alte Stadthaus und erlebten dort "den ersten slammenden Imam Deutschlands. Als ältester der neun Teilnehmer dichtete Dr. Ali Özgüt Özdil über die Gefahren des Alkohols für Muslime. Die jüngste Teilnehmerin, die 14-jährige Layan Bae sagte:
"Wir werden abgestempelt, deshalb wollte ich mitmachen, obwohl ich nervös war und die ganze Zeit gezittert habe."
Bis Ende 2012 tourt der muslimische Dichterwettstreit durch Deutschland. Am 2. Februar gastiert i.Slam in Hamburg, das Finale wird in Frankfurt am Main über die Bühne gehen. Und bis dahin hat Layan Bae ihr Lampenfieber bestimmt im Griff.