Von Adelheid Wedel

Mit José Saramagos Roman "Kain" finde "ein episches Lebenswerk von europäischem Rang seinen Abschluss", schreibt Tobias Heyl in der "SZ". Mehrere Feuilletons berichten über die Vergabe des Goethe-Preises an den aus Syrien stammenden Dichter Adonis.
Als "Auszeichnung für einen Unruhestifter" bezeichnet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG die Vergabe des Goethe-Preises an diesem Sonntag an den aus Syrien stammenden Dichter Adonis in der Frankfurter Paulskirche. Lena Bopp charakterisiert die Leistung des neuen Preisträgers:

"Wie kaum ein zweiter arabischer Dichter gilt Adonis als Wanderer zwischen den Kulturen, als ein Poet, der für den Dialog zwischen der arabischen und der europäischen Kultur vor allem deswegen von so eminenter Bedeutung ist, weil er von beiden Seiten fordert, ihr jeweiliges Selbstverständnis zu hinterfragen: Der Orient seinen verklemmten Monotheismus und Dogmatismus, der Westen seine besserwisserische Überheblichkeit."

Daraus folge, so zitiert Bopp die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, dass Adonis

"nicht nur für das Verbreiten europäischer Gedanken in der arabischen Welt ausgezeichnet wird, sondern ebenso für das Angebot, das er mit seiner Dichtung den Europäern macht."

Auf die Frage nach der aktuellen Entwicklung in seinem Heimatland Syrien habe Adonis "schmallippig" geantwortet: "Ich hoffe, dass alles ein gutes Ende nimmt", berichtet die FAZ. Kritischer wird diese "herablassende Skepsis" des neuen Goethe-Preisträgers vom Islamforscher und seinem deutschen Übersetzer Stefan Weidner in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG beurteilt. Er nennt Adonis zwar einen "literarischen Revolutionär der alten Schule, der den 'arabischen Frühling' sozusagen subkutan mit vorbereitet habe." Aber für große Irritation unter den syrischen Oppositionellen sorge heute Adonis' Glauben an die Reformierbarkeit des Staates von oben, auf Initiative von Präsident Assad. "Nach mehr als 2000 getöteten Demonstranten kann niemand mehr ernsthaft glauben, dass es dazu kommt", meint der Publizist Stefan Weidner und registriert, dass sich die syrische Opposition mit den Äußerungen des Schriftstellers im Stich gelassen fühle. Der hingegen erwidert:

"Man könne bei den Ereignissen nicht von einer wirklichen Revolution sprechen, weil den Protestierenden ein klares Programm fehle."

Er kenne lediglich als kleinsten gemeinsamen Nenner den Sturz des Regimes.

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU rezensiert Martin Ebel den neuen Roman von Navid Kermani,

"einem der prominentesten Intellektuellen Deutschlands. Die Stimme des 1967 in Deutschland geborenen Sohnes aus dem Iran eingewanderter Eltern fehlt selten, wenn Fragen der Integration, der Multikulturalität verhandelt werden,"

schreibt Ebel und verweist auf die fünf Poetik-Vorlesungen, die Kermani im vergangenen Jahr an der Frankfurter Universität gehalten hat. In "Der Name" erzählt der Schriftsteller entlang einer Biografie die Geschichte des Iran.

"Für das dort herrschende Mullah-Regime hat Kermani nur Verachtung übrig, aber dass die Mullahs überhaupt an die Macht kamen, ist für ihn eine direkte Folge westlicher Machenschaften und 'doppelter Standards'."

Gedanken darüber, "wie das Sterben der Anderen auf das Leben des Ich zurückschlägt" durchziehe als Dauerton dieses Riesenbuch, an dem man – so Ebel – "lange zu beißen und zu kauen" habe. Mit seinen reichlich 1200 Seiten "liege es schwer in der Hand, aber nicht im Magen", lautet die Leseempfehlung in der FR.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG empfiehlt Tobias Heyl das letzte Buch des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago. Sein Roman "Kain", der nun posthum auf Deutsch erschienen ist, sei

"das Vermächtnis eines Unversöhnten. Selbst im biblischen Alter von 86 Jahren präsentiere Saramago kurz vor seinem Tod seine ganz eigene Version der ersten biblischen Familientragödie."

Es sei eine Abrechnung des Atheisten Saramago mit dem Gott der Juden und Christen, aber auch

"Erinnerung an den strafenden und zürnenden Gott, der in der heutigen Glaubenspraxis einen schweren Stand hat gegenüber dem gütigen, gnädigen Vater."

Zusammenfassend formuliert Thomas Heyl:

"Mit dem Roman 'Kain' findet ein episches Lebenswerk von europäischem Rang seinen Abschluss."