Von Adelheid Wedel

Die "Frankfurter Rundschau" und der "Spiegel" machen sich Gedanken über den "watteweichen" Wahlkampf. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" lobt das Buch "Über Land" der Peking-Korrespondenten Peter Hessler und sieht eine gesellschaftliche Dynamik in China am Werk, "die kaum noch von oben zu steuern ist".
Es ist wie Weihnachten oder Neujahr: Man beginnt die Tage zu zählen. In einer Woche ist Wahl, und es wäre schön, wenn alle, die wählen dürfen, es täten. Die Medien werben dafür und die Politiker natürlich auch. Ob geschickt oder ungeschickt - auch darüber reflektieren die Medien. Zum Beispiel ist es Marco Siebertz in der FRANKFURTER RUNDSCHAU aufgefallen, dass alle Politiker, ob links, rechts, außen oder mittig, ihr Wählervolk von den Werbeplakaten herunter anlächeln, "was das Zeug hält". Als ob es derzeit so viel zu lachen gäbe. Die Zeitung fragt dann auch besorgt:

"Überall strahlende Politiker - kann der Wähler so viel Optimismus ertragen?"

Nach Meinung des Autors wäre "angesichts der akuten Wirtschaftskrise, sowie der finanziellen wie ökologischen Probleme Ernsthaftigkeit dem Grinsen zweifelsohne vorzuziehen".

Das ewige Lächeln auf den Wahlplakaten spielt auch in Elke Schmitters Essay im SPIEGEL eine Rolle, sie schreibt vom "Buben- und Feenlächeln", in das sie die Aussage legt:

"Wir sind vollkommen damit zufrieden, exemplarischer Durchschnitt zu sein."

Wir stehen für ein Lebensgefühl, "das eine Verbindung aus Lebensfreude und Mäßigung, Zuversicht und Gemütlichkeit darstellt". Elke Schmitters Unzufriedenheit mit der Wahlstimmung hat viele Facetten:

"Dass es um politische Wahlen geht, darauf kann der Uneingeweihte nicht kommen."

Land in der Krise - keine Spur davon.

"Die Entscheidung geht offenbar um Nuancen des Wohlgefühls."

Elke Schmitters Unwohlsein richtet sich ganz offenbar gegen "eine kaffeewärmerhafte Dämpfung", die ihrer Meinung nach über dem Land und den Beteiligten liegt. Die "wattierte Rhetorik" habe eine Art flächendeckende Verwirrung gestiftet, die zu überwinden sei.

"Das unaufhörliche Nachbessern, ein stures 'Weiter So' sind keine Antworten auf die Probleme."

Schmitters empfiehlt:

"Wann, wenn nicht jetzt wäre die Stunde für eine grundsätzliche Diskussion, die aus diffuser Angst politische Fragen macht - über Wachstum und Ökologie, über die Definition von Arbeit, über Teilhabe an der Gesellschaft?"

Ähnliche Fragen wirft auch die Kunst immer wieder auf. Die Tageszeitung TAZ macht das am Beispiel einer Ausstellung "des marxistisch und popkulturell inspirierten Künstlers John Miller" deutlich. Die Kunsthalle Zürich widmet dem 55-jährigen Amerikaner gerade seine erste große Retrospektive. Seine bitterbösen, mit Blattgold überzogenen Objekte geben Wohlstandsbegehren der Lächerlichkeit preis.

"Früher hätte man jemanden wie Miller wohl einen Misanthropen genannt oder ihm das Etikett 'gesellschaftskritisch' angehängt", schreibt die TAZ. "Heute gilt jemand wie er wohl eher als eine Art Spielverderber", der sich gegen die Konsumgeilheit unserer Zeit wendet.

Von einem anderen Versuch, mit Kunst die Gegenwart zu spiegeln, berichtet die FRANKFURTER RUNDSCHAU. An der Frankfurter Bühne "theaterperipherie" hatte vergangene Woche das Stück "Blutsbande" Premiere. Seine Handlung ist an Kleists "Familie Schroffenstein" und Shakespeares "Romeo und Julia" angelehnt; "es liefert eine starke Allegorie auf politische Konflikte seit dem Ende des Kalten Krieges", meint Felix Ehring in seiner Rezension. "Blutsbande" ist die dritte Inszenierung der "theaterperipherie" seit Gründung im Jahr 2008.

"Über 40 Prozent der Zuschauer haben einen Migrationshintergrund, das sei in Deutschland einmalig, betont das Theater stolz. Die Darsteller von 'blutsbande' kommen aus acht Ländern, und so stehen Muslime, Juden und Christen gemeinsam auf der Bühne."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG wirft noch einmal einen Blick auf China, das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und sie informiert über ein Reisebuch, das der amerikanische Schriftsteller und Peking-Korrespondenten Peter Hessler schrieb und das jetzt im Berlin Verlag erschienen ist. Nils Minkmar lobt "Über Land" als "großartiges Reisebuch". Es mache vor allem eines deutlich:

"China ist unberechenbar."

Der Autor beschreibt das "riesige und wundersame Land" und seine gesellschaftliche Dynamik, "die kaum noch von oben zu steuern ist". Es finden dort Umwälzungen statt, die denen der industriellen Revolution im Europa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gleichen.

"Kaum jemand lebt noch so wie seine Eltern und Großeltern, auch auf dem Land nicht. Dieses Tempo ist uns fremd - aber auch den regierenden Eliten, jenen paar Familien, die ein seltsames, von der Realität abgekapseltes Leben führen."

Kein Wunder, dass die Parteikader leicht nervös sind. "Und", so hat es der Buchautor erfahren, "erhöhen sie das Tempo, um die Fliehkräfte zu bannen, Olympia, Raumfahrt - jedes Jahr, jeder Monat, jede Woche muss ein neuer Hammer niederkommen, um die hochbewegliche, labile Bevölkerung im Bann zu halten".

Hinzu kommt:

"Man kann auf jeder Chinareise mit bloßem Auge erkennen, dass der 'Eros des Westens', ein freiheitlicher Lebensstil und ein hedonistischer Individualismus, das Leitbild in Werbung, Sachbüchern und Filmen ist."

Am Ende des Buches versteht man, warum die offiziellen Repräsentanten des Regimes so empfindlich auf öffentliche Begegnungen mit ihren Kritikern - wie jüngst im Vorfeld der Buchmesse - reagieren.

Harald Schmidt, der immer mal wieder verloren gegangene Sohn des deutschen Fernsehens, ist auf den Bildschirm zurückgekehrt. Sein erster Solo-Auftritt nach Oliver Pochers Abschied war den Feuilletons eine Betrachtung wert. So schreibt beispielsweise Marcus Bäcker in der BERLINER ZEITUNG:

"Spontane Komplett-Begeisterung löste Harald Schmidts erste Sendung nach Pocher jedenfalls nicht aus."

Dann aber beschreibt er einige gelungene Szenen. Den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bezeichnete Schmidt in gewohnter Schärfe als "Hausaufgabenbetreuung mit Maschinengewehr". Oder auch: Ein Rollstuhlfahrer, der beim Anblick Guido Westerwelles aufspringt und brüllt: "Ich kann wieder gehen!" - das hatte was.