"Von A wie Anfang bis Z wie Zettelkram"
Günter Grass' Roman "Grimms Wörter" ist eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache und eins der wichtigsten Bücher 2010. Inzwischen belässt er es nicht beim geschriebenen Wort, sondern bringt seine Bücher auch als Hörbücher zu Gehör.
"Es fehlt ja nie an Wörtern. Alles heißt, hat seinen Namen, will bestimmt sein."
Erklärt Günter Grass am Schluss seines Romans "Grimms Wörter". In dieser Liebeserklärung an die deutsche Sprache erinnert der Nobelpreisträger von 1999 an die Gebrüder Grimm. Als eifrige Sammler gingen der 1785 in Hanau geborene Jacob und sein ein Jahr jüngerer Bruder Wilhelm in die Geschichte ein. Sie haben die "Kinder- und Hausmärchen" zusammen getragen und damit begonnen, für das "Wörterbuch der deutschen Sprache" die Herkunft und den Gebrauch jedes einzelnen deutschen Wortes nachzuweisen.
"Wörter nageln jeden Gegenstand, plappern jeglichen Blödsinn nach, züngeln, werden gemischt zum Salat, sind, weil geheiligt und gezählt, die sieben Worte am Kreuz."
Die beiden Göttinger Professoren gingen von sieben bis acht Bänden aus. Doch sehr bald drohte ihnen die Zettelwirtschaft über den Kopf zu wachsen.
"Von A wie Anfang bis Z wie Zettelkram. Wörter von altersher, die abgetan sind oder abseits im Angstrad laufen, und andere, die vorlaut noch immer bei Atem sind: ausgewiesen und abgeschoben nach anderswo hin. Ach, alter Adam!"
Grass war und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Erzähler. Inzwischen belässt er es nicht beim geschriebenen Wort, sondern er bringt seine Bücher auch als Hörbücher zu Gehör und verleiht ihnen, indem er sie vorliest, ihren unverwechselbaren Klang. Grass versteht es, den von ihm gelesenen Texten eine ganz eigene Melodie zu unterlegen. Inzwischen erübrigt sich fast die Frage, ob man den neuen Grass schon gelesen hat. Sie müsste besser lauten, ob man ihn schon gehört hat. Passagen, denen man in der Schriftsprache kaum Beachtung schenkt, werden zu Erlebnissen, wenn Grass sie vorliest. Diese sonore, vom Tabakrauch modulierte Stimme, ist inzwischen in die Jahre gekommen, aber dass sie noch immer trägt, stellt Grass auch als Vorleser seines Hörbuchs "Grimms Wörter" erneut eindrucksvoll unter Beweis.
"Schon immer ging es um Wörter. Was die Deutschen sind oder sein sollen: das Volk oder ein Volk. Dafür, dagegen. Einerseits geben Wörter Sinn, andererseits sind sie tauglich, Unsinn zu stiften. Wörter können heilsam oder verletzend sein. Das Wort als Waffe. Oft liegen winzige Wahrheiten unter Wortlawinen begraben."
Grass stellt diese beiden Sprachpioniere zu recht ins Zentrum seines Buches, das zu einer Hommage an die ab 1841 in Berlin lebenden Wortarchivare geworden ist. Den Spuren, die sie in der deutschen Sprach- und Geistesgeschichte hinterlassen haben, geht Grass nach, wobei er ihnen ganz selbstverständlich auch im heutigen Berliner Tiergarten begegnet, um sie in ein Gespräch über die deutsche Sprache zu verwickeln.
"Die Buchstaben tanzten aus der Reihe. Ihre Sprünge folgten keinem Muster. Die übersprungenen Wortstrecken beeilten sich nicht. Nachzügler gab es und Vorläufer, die der Abfolge des Alphabets spotteten. Allgemein ging es absurd zu. Denn gleichzeitig ermunterten Friedensschlüsse zu neuen Schlachten, sollten Mietskasernen Antwort auf die 'soziale Frage' geben, gab sich Rückschritt als Fortschritt aus, feierten sangesfrohe Stammtischbrüder den Sieg über aufständische Boxer im fernen China."
Günter Grass hat mit "Grimms Wörter" nicht nur eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache verfasst, sondern auch ein mit Worten gezeichnetes Zeitbild der Deutschen entworfen. Dass Grass diesen Sprach- und Geschichtsaufriss zu einem Hörerlebnis werden lässt, liegt daran, dass er beim Vorlesen die entscheidenden Kontrapunkte zu setzen versteht. Mit Wörtern wird Geschichte gemacht. Wie sich Geschichte in die Sprache einschreibt, das versteht Grass eindringlich zu vermitteln. Man hört genauer hin, wenn er warnend die Stimme erhebt und versucht, der Historie die Zügel der Vernunft anzulegen. Oft genug erwies sich diese Mühe als vergebens.
Grass weiß, wie man das Ohr des Hörers umschmeichelt. Er betont beim Vorlesen jedes Wort, weil das einzelne Wort einen entscheidenden Anteil daran hat, wenn ein Satz als gelungenen angesehen werden kann. Solche Aufmerksamkeit im Umgang mit der deutschen Sprache hätten die Grimms, denen so viel am Wort und an der Sprache lag, zu schätzen gewusst.
Besprochen von Michael Opitz
Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung
Gelesen von Günter Grass
Steidl Verlag, Göttingen 2010
11 CDs, 13:50 Stunden, 39,90 Euro
Erklärt Günter Grass am Schluss seines Romans "Grimms Wörter". In dieser Liebeserklärung an die deutsche Sprache erinnert der Nobelpreisträger von 1999 an die Gebrüder Grimm. Als eifrige Sammler gingen der 1785 in Hanau geborene Jacob und sein ein Jahr jüngerer Bruder Wilhelm in die Geschichte ein. Sie haben die "Kinder- und Hausmärchen" zusammen getragen und damit begonnen, für das "Wörterbuch der deutschen Sprache" die Herkunft und den Gebrauch jedes einzelnen deutschen Wortes nachzuweisen.
"Wörter nageln jeden Gegenstand, plappern jeglichen Blödsinn nach, züngeln, werden gemischt zum Salat, sind, weil geheiligt und gezählt, die sieben Worte am Kreuz."
Die beiden Göttinger Professoren gingen von sieben bis acht Bänden aus. Doch sehr bald drohte ihnen die Zettelwirtschaft über den Kopf zu wachsen.
"Von A wie Anfang bis Z wie Zettelkram. Wörter von altersher, die abgetan sind oder abseits im Angstrad laufen, und andere, die vorlaut noch immer bei Atem sind: ausgewiesen und abgeschoben nach anderswo hin. Ach, alter Adam!"
Grass war und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Erzähler. Inzwischen belässt er es nicht beim geschriebenen Wort, sondern er bringt seine Bücher auch als Hörbücher zu Gehör und verleiht ihnen, indem er sie vorliest, ihren unverwechselbaren Klang. Grass versteht es, den von ihm gelesenen Texten eine ganz eigene Melodie zu unterlegen. Inzwischen erübrigt sich fast die Frage, ob man den neuen Grass schon gelesen hat. Sie müsste besser lauten, ob man ihn schon gehört hat. Passagen, denen man in der Schriftsprache kaum Beachtung schenkt, werden zu Erlebnissen, wenn Grass sie vorliest. Diese sonore, vom Tabakrauch modulierte Stimme, ist inzwischen in die Jahre gekommen, aber dass sie noch immer trägt, stellt Grass auch als Vorleser seines Hörbuchs "Grimms Wörter" erneut eindrucksvoll unter Beweis.
"Schon immer ging es um Wörter. Was die Deutschen sind oder sein sollen: das Volk oder ein Volk. Dafür, dagegen. Einerseits geben Wörter Sinn, andererseits sind sie tauglich, Unsinn zu stiften. Wörter können heilsam oder verletzend sein. Das Wort als Waffe. Oft liegen winzige Wahrheiten unter Wortlawinen begraben."
Grass stellt diese beiden Sprachpioniere zu recht ins Zentrum seines Buches, das zu einer Hommage an die ab 1841 in Berlin lebenden Wortarchivare geworden ist. Den Spuren, die sie in der deutschen Sprach- und Geistesgeschichte hinterlassen haben, geht Grass nach, wobei er ihnen ganz selbstverständlich auch im heutigen Berliner Tiergarten begegnet, um sie in ein Gespräch über die deutsche Sprache zu verwickeln.
"Die Buchstaben tanzten aus der Reihe. Ihre Sprünge folgten keinem Muster. Die übersprungenen Wortstrecken beeilten sich nicht. Nachzügler gab es und Vorläufer, die der Abfolge des Alphabets spotteten. Allgemein ging es absurd zu. Denn gleichzeitig ermunterten Friedensschlüsse zu neuen Schlachten, sollten Mietskasernen Antwort auf die 'soziale Frage' geben, gab sich Rückschritt als Fortschritt aus, feierten sangesfrohe Stammtischbrüder den Sieg über aufständische Boxer im fernen China."
Günter Grass hat mit "Grimms Wörter" nicht nur eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache verfasst, sondern auch ein mit Worten gezeichnetes Zeitbild der Deutschen entworfen. Dass Grass diesen Sprach- und Geschichtsaufriss zu einem Hörerlebnis werden lässt, liegt daran, dass er beim Vorlesen die entscheidenden Kontrapunkte zu setzen versteht. Mit Wörtern wird Geschichte gemacht. Wie sich Geschichte in die Sprache einschreibt, das versteht Grass eindringlich zu vermitteln. Man hört genauer hin, wenn er warnend die Stimme erhebt und versucht, der Historie die Zügel der Vernunft anzulegen. Oft genug erwies sich diese Mühe als vergebens.
Grass weiß, wie man das Ohr des Hörers umschmeichelt. Er betont beim Vorlesen jedes Wort, weil das einzelne Wort einen entscheidenden Anteil daran hat, wenn ein Satz als gelungenen angesehen werden kann. Solche Aufmerksamkeit im Umgang mit der deutschen Sprache hätten die Grimms, denen so viel am Wort und an der Sprache lag, zu schätzen gewusst.
Besprochen von Michael Opitz
Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung
Gelesen von Günter Grass
Steidl Verlag, Göttingen 2010
11 CDs, 13:50 Stunden, 39,90 Euro