Vom Wert des Wertlosen in der Kunst
From Trash to Treasure - unter diesem Motto werden in Kiel Werke gezeigt, die sich mit dem Thema Müll auseinandersetzen - doch besonders kritisch fällt die Auseinandersetzung nicht aus. Nur wenigen der versammelten Künstler gelingt es, das Verstörende und Bedrohliche unserer Müllproduktion zu thematisiseren.
Olaf Metzel verwandelt zerbrochene Glasflaschen in glitzernde Deckenleuchter. Gerd Rohling fügt aus alten Plastikstücken Formen zusammen, die antiken Vasen aus Alabaster gleichen. Catherine Bertola malt mit Hausstaub barocke Muster an die Wand. Und Anette Hüsch erklärt:
"Wir zeigen Künstler vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die sich mit dem Weggeworfenen, dem Liegengelassenen, dem Abfall unserer Zivilisation auseinandersetzen. Ein Themenfeld der Ausstellung widmet sich der Beziehung zwischen Kunstwert und Materialwert. Also der Frage, wie eigentlich aus dem, was wir eigentlich als nichtig, als hässlich, vielleicht auch als eklig erachten, plötzlich etwas Schönes, Ästhetisches, ja wunderbar Verzaubertes entstehen kann."
Und während die Leiterin der Kunsthalle dies sagt, steht sie vor einem glitzernden Berg aus feinem Material, der inmitten eines Saals angehäuft wurde.
"Es handelt sich um ganz klein gemalene Wodkaflaschen. Also schlichte, durchsichtige Glasflaschen mit Etikett, die sie ganz fein geschreddert hat. So dass sie eigentlich so etwas wie Diamanten oder Brillanten bekommen, also fast etwas ätherisch Schönes. Man sieht allerdings, wenn man genau auf den Berg sieht, dass sie auch die Etiketten mitgeschreddert hat, und es gibt so kleine Papierfetzchen, die sich dort niederschlagen."
Ach, kann Müll schön sein! Zumal, wenn sich fast alle der etwa hundert Arbeiten um die Verwandlung von Abfall in Kunst drehen, von Müll in ästhetisch Schönes. Müll als Politikum spielt in Kiel kaum eine Rolle. Stattdessen zeigt ein Videofilm, wie lustig es aussehen kann, wenn Straßendreck vom Winde verweht wird. Und Tony Cragg präsentiert seine an der Wupper gesammelten Plastikabfälle hübsch nach Farben geordnet. Dabei verspricht der Katalogtext eine Ausstellung, die sich mit "dem politisch, wirtschaftlich und kulturell gleichermaßen brisanten Thema Abfall" beschäftigt. Und Anette Hüsch betont:
"Müll hat sich ja sehr verändert, wenn man die letzten hundert Jahre nimmt: Es gibt dieses ganz bekannte Zitat van Goghs, der schwärmt von dem Platz, auf den die Aschemänner das Weggeworfene hinbringen, und was das doch für eine Fundgrube sei. Heute, wenn wir an die Debatten um Schrottpapiere, um Weltraummüll, aber auch um Atommüll – also das, was dann gänzlich unsichtbar, aber dennoch bedrohlich ist – denken, hat sich viel verändert. Dann hat sich der Müll immer weiter ausdifferenziert."
Nur kommt all dies kaum vor. Lediglich zwei Arbeiten lassen erahnen, wie verstörend und realitätsnah eine Ausstellung zu dem Thema hätte werden können: So schuf Wilhelm Mundt drei große bunte Skulpturen in weichen organischen Formen. Mundt presste dafür Müll zusammen und ummantelte ihn mit Plastik. Kaum hat man das gelesen, verändern die Arbeiten ihr Wesen: Das Schöne erscheint bedrohlich. Man überlegt, was sie alles enthalten könnten, und schnell landet man bei Giftmüllfässern oder in der Asse.
Die andere Arbeit stammt von Rafael Rheinsberg. Er präsentiert auf 3 mal 5 Metern zerbrochene Straßennamenschilder aus Ostberlin - ein starkes Bild für die Gewalt der Sieger, die die DDR-Geschichte als Müll entsorgten.
Dann wird es schon wieder nett: Die Fotoserie "Star Trash" von Bruno Mouron und Pascal Rostin etwa zeigt auf ästhetisch-schwarzem Grund säuberlich angeordnet den Abfall aus Mülltonnen Prominenter. Doch für Anette Hüsch ist das eine Provokation:
"Da wird natürlich auch ein Tabu gebrochen. Denn der Müll, das Weggeworfene ist ja auch das, was wir selbst, wir persönlich, aber auch wir als Gesellschaft nicht preisgeben möchten, nicht vorgezeigt haben möchten. Da ist also auch eine ganz stark voyeuristische Note natürlich dabei."
Aber was interessiert Voyeurismus, wenn es um Müll geht? Und warum seine ständige Ästhetisierung? Selbst ein Film über Gorleben schafft es, politische Interessen und gesellschaftliche Zusammenhänge zu ignorieren. So wird ein gesellschaftlich brisanten Themas verharmlost. Alles Politische, alles Eklige, Unmenschliche, Bedrohliche, Beklemmende und Skandalöse wird ihm ausgetrieben.
Wer warum was als Müll deklariert, was Politiker mit Begriffsschöpfungen wie "Schrottpapiere" beabsichtigen, wie die unterschiedlichen Formen von Müll zusammenhängen mit den wirtschaftlichen Wachstumsinteressen des Kapitalismus - all dies interessiert nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass das ausschließlich am Profit orientierte System sogar Menschenmüll produziert: Flüchtlinge, Arbeitslose, Obdachlose. Ein Zynismus, den Künstler wie Santiago Sierra oder Boris Mikhailov seit Jahren in ihrer Arbeit aufgreifen.
Auch die Hamburger Ausstellung "Klimakapseln" führte letztes Jahr an einem ähnlichen Thema vor, wie provozierend, sarkastisch, ironisch und phantasievoll politisch engagierte Kunst Stellung beziehen kann gegenüber gesellschaftlichen Missständen. Doch in Kiel gibt es keine Provokationen, keinen Aufschrei, keine Wut - keinen Drang nach Erkenntnis und gesellschaftlicher Veränderung. In Kiel ist Müll schön.
Weitere Infos und Website:
From Trash to Treasure - Vom Wert des Wertlosen in der Kunst
Ausstellung in Kunsthalle zu Kiel, noch bis zum 5. Februar 2012
Kieler Kunsthalle
"Wir zeigen Künstler vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die sich mit dem Weggeworfenen, dem Liegengelassenen, dem Abfall unserer Zivilisation auseinandersetzen. Ein Themenfeld der Ausstellung widmet sich der Beziehung zwischen Kunstwert und Materialwert. Also der Frage, wie eigentlich aus dem, was wir eigentlich als nichtig, als hässlich, vielleicht auch als eklig erachten, plötzlich etwas Schönes, Ästhetisches, ja wunderbar Verzaubertes entstehen kann."
Und während die Leiterin der Kunsthalle dies sagt, steht sie vor einem glitzernden Berg aus feinem Material, der inmitten eines Saals angehäuft wurde.
"Es handelt sich um ganz klein gemalene Wodkaflaschen. Also schlichte, durchsichtige Glasflaschen mit Etikett, die sie ganz fein geschreddert hat. So dass sie eigentlich so etwas wie Diamanten oder Brillanten bekommen, also fast etwas ätherisch Schönes. Man sieht allerdings, wenn man genau auf den Berg sieht, dass sie auch die Etiketten mitgeschreddert hat, und es gibt so kleine Papierfetzchen, die sich dort niederschlagen."
Ach, kann Müll schön sein! Zumal, wenn sich fast alle der etwa hundert Arbeiten um die Verwandlung von Abfall in Kunst drehen, von Müll in ästhetisch Schönes. Müll als Politikum spielt in Kiel kaum eine Rolle. Stattdessen zeigt ein Videofilm, wie lustig es aussehen kann, wenn Straßendreck vom Winde verweht wird. Und Tony Cragg präsentiert seine an der Wupper gesammelten Plastikabfälle hübsch nach Farben geordnet. Dabei verspricht der Katalogtext eine Ausstellung, die sich mit "dem politisch, wirtschaftlich und kulturell gleichermaßen brisanten Thema Abfall" beschäftigt. Und Anette Hüsch betont:
"Müll hat sich ja sehr verändert, wenn man die letzten hundert Jahre nimmt: Es gibt dieses ganz bekannte Zitat van Goghs, der schwärmt von dem Platz, auf den die Aschemänner das Weggeworfene hinbringen, und was das doch für eine Fundgrube sei. Heute, wenn wir an die Debatten um Schrottpapiere, um Weltraummüll, aber auch um Atommüll – also das, was dann gänzlich unsichtbar, aber dennoch bedrohlich ist – denken, hat sich viel verändert. Dann hat sich der Müll immer weiter ausdifferenziert."
Nur kommt all dies kaum vor. Lediglich zwei Arbeiten lassen erahnen, wie verstörend und realitätsnah eine Ausstellung zu dem Thema hätte werden können: So schuf Wilhelm Mundt drei große bunte Skulpturen in weichen organischen Formen. Mundt presste dafür Müll zusammen und ummantelte ihn mit Plastik. Kaum hat man das gelesen, verändern die Arbeiten ihr Wesen: Das Schöne erscheint bedrohlich. Man überlegt, was sie alles enthalten könnten, und schnell landet man bei Giftmüllfässern oder in der Asse.
Die andere Arbeit stammt von Rafael Rheinsberg. Er präsentiert auf 3 mal 5 Metern zerbrochene Straßennamenschilder aus Ostberlin - ein starkes Bild für die Gewalt der Sieger, die die DDR-Geschichte als Müll entsorgten.
Dann wird es schon wieder nett: Die Fotoserie "Star Trash" von Bruno Mouron und Pascal Rostin etwa zeigt auf ästhetisch-schwarzem Grund säuberlich angeordnet den Abfall aus Mülltonnen Prominenter. Doch für Anette Hüsch ist das eine Provokation:
"Da wird natürlich auch ein Tabu gebrochen. Denn der Müll, das Weggeworfene ist ja auch das, was wir selbst, wir persönlich, aber auch wir als Gesellschaft nicht preisgeben möchten, nicht vorgezeigt haben möchten. Da ist also auch eine ganz stark voyeuristische Note natürlich dabei."
Aber was interessiert Voyeurismus, wenn es um Müll geht? Und warum seine ständige Ästhetisierung? Selbst ein Film über Gorleben schafft es, politische Interessen und gesellschaftliche Zusammenhänge zu ignorieren. So wird ein gesellschaftlich brisanten Themas verharmlost. Alles Politische, alles Eklige, Unmenschliche, Bedrohliche, Beklemmende und Skandalöse wird ihm ausgetrieben.
Wer warum was als Müll deklariert, was Politiker mit Begriffsschöpfungen wie "Schrottpapiere" beabsichtigen, wie die unterschiedlichen Formen von Müll zusammenhängen mit den wirtschaftlichen Wachstumsinteressen des Kapitalismus - all dies interessiert nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass das ausschließlich am Profit orientierte System sogar Menschenmüll produziert: Flüchtlinge, Arbeitslose, Obdachlose. Ein Zynismus, den Künstler wie Santiago Sierra oder Boris Mikhailov seit Jahren in ihrer Arbeit aufgreifen.
Auch die Hamburger Ausstellung "Klimakapseln" führte letztes Jahr an einem ähnlichen Thema vor, wie provozierend, sarkastisch, ironisch und phantasievoll politisch engagierte Kunst Stellung beziehen kann gegenüber gesellschaftlichen Missständen. Doch in Kiel gibt es keine Provokationen, keinen Aufschrei, keine Wut - keinen Drang nach Erkenntnis und gesellschaftlicher Veränderung. In Kiel ist Müll schön.
Weitere Infos und Website:
From Trash to Treasure - Vom Wert des Wertlosen in der Kunst
Ausstellung in Kunsthalle zu Kiel, noch bis zum 5. Februar 2012
Kieler Kunsthalle