Vom Verräter zum Erfüllungsgehilfen Gottes
Ein Manuskript aus dem 3. Jahrhundert nach Christus, das nach seiner Restaurierung jetzt in Washington der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sorgt für Diskussionen unter Theologen. In dem so genannten Judas-Evangelium heißt es, der Apostel Judas habe Jesus nicht aus Geldgier verraten, sondern ihn auf Jesu Geheiß an die Römer übergeben, um Gottes Willen zu erfüllen. Der Theologe Herbert A. Gornik meinte dazu im Deutschlandradio Kultur, die Diskussion sei schon Jahrhunderte alt, erhalte durch den Fund aber neuen Auftrieb.
Wuttke: Judas war der treueste Anhänger von Jesus. Er verriet ihn, weil er von Jesus darum gebeten worden war, auf dass sich Gottes Wille erfülle. Das ist in Kurzform, was auf 13 Seiten Papyrus steht, die gestern erstmals zu sehen waren, begleitet von großem medialen Interesse, auch deshalb, weil der in 163 Ländern ausgestrahlte Bezahlkanal des renommierten National Geographic für dieses "Evangelium" des Judas heftig die Werbetrommel rührte, hat das Magazin doch die Restaurierung der vor etwa 30 Jahren gefundenen Schrift gesponsert. Herbert A. Gornik, unser Fachmann für alle theologischen Fragen, ist im Studio. Herr Gornik, ist die Kernaussage, die ich kurz zusammengefasst habe, tatsächlich so verblüffend, wie es jetzt heißt?
Gornik: Man muss unterscheiden zwischen der gefühlten Sensation und der tatsächlichen. Also sie ist erst mal aufregend natürlich auf den ersten Blick, die gefühlte Sensation ist beträchtlich, da entpuppt sich der Verräter als bester Freund, und der sprichwörtliche Denunziant und Geldgeile, der tut etwas aus Liebe zu Gott, damit sich die biblischen Weissagungen erfüllen.
Aber die wirkliche Sensation ist ein Sensatiönchen, denn das ist schon länger bekannt und wird auch von Theologen seit Hunderten von Jahren so interpretiert, dass nicht Judas sozusagen die Inkarnation alles Bösen ist und nun er selber den Herrn verraten hat, und dieses Evangelium, um das es geht, von dem ist jetzt eine Abschrift gefunden worden, etwa um 300 entstanden, das ist schon seit 1700 Jahren bekannt, nur hat es sozusagen keiner von den modernen Menschen - uns eingeschlossen - in der Hand gehabt und gelesen.
Man merkt diese Absicht eigentlich ganz deutlich. Dieses Evangelium, ein ganz normaler Sammelbegriff für diese vielen Schriften, die so etwa um 100 nach Christus entstanden sind, die sollen ja erklären, was es mit diesem Jesus von Nazareth nun wirklich auf sich hat. Und eines dieser Evangelien ist nun entstanden in einer Situation, in der man sich von der jüdischen Gemeinde besonders absetzen wollte. Man wollte einfach deutlich machen, was sind diese Christen für Menschen, was unterscheidet sie von den Juden, und da wurde den Juden sozusagen die ganze Schuld zugeschrieben, Judas sozusagen hat den Juden, den Herrn, ausgeliefert.
Wuttke: Was ist denn darüber bekannt, wer der Verfasser oder die Verfasser dieses so genannten Evangeliums des Judas waren? In diesem Zusammenhang fiel, habe ich bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch gelesen, der Name Irenäus von Lyon. Wer war das?
Gornik: Also Irenäus von Lyon, der war Bischof um 170 nach Christus, und der hat schon gewarnt damals in einer ganz aufsehenerregenden Schrift gegen die Ungläubigen, gegen die Häretiker. Er hat gesagt, eine Schrift hat er genannt "Überführung und Widerlegung der zu Unrecht so genannten Erkenntnis", und da läuten jetzt alle Glocken eigentlich, denn Erkenntnis, das war eine christliche Richtung im Christentum, nicht gerade der Mainstream, aber sehr deutlich und virulent, das waren Leute, Gnosis, die die Erkenntnis in den Vordergrund stellten.
Also grundsätzlich ist Gott erkennbar, zweites Moment, es gibt eine starke Unterscheidung, klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, dem Reich der Finsternis und dem Reich des Guten, und - jetzt für unseren Zusammenhang ganz wichtig - die Seele ist das Entscheidende beim Menschen, die Seele ist eingesperrt in dem Körper und die muss befreit werden, und das hat Folgerungen für das Gottesbild und das Jesusbild, denn die sahen jetzt Jesus nicht wie der Mainstream der Christen als gleichzeitig Gott und Mensch, sondern sie sahen ihn nur als Gott. Ein solcher Gott kann nicht gekreuzigt werden, das ist nicht so schlimm, da entledigt sich sozusagen die göttliche Seele nur der leiblichen, der irdischen Gestalt.
Das ist natürlich ein ganz großer Unterschied, ob ich sage, Jesus, dieser Jesus von Nazareth, Gottes Sohn, der war auch richtiger Mensch, der ist auch richtig gestorben, richtig gestorben. Am Karfreitagabend da scheint keine Ostersonne, da ist alles zu Ende, da weiß man noch nicht, dass die Geschichte mit Jesus weitergeht.
Also, diese Gnostiker behaupteten das, und in dieser Tradition ist so etwa um 150 nach Christus ein Text entstanden, ein unbekannter ägyptischer Christ hat diesen Text geschrieben, wir wissen nicht mal, ob er ihn in Griechisch geschrieben hat oder in der ägyptischen Sprache Koptisch. Die jetzige Abschrift aus so etwa um 300, das ist wohl verbürgt, die ist in Koptisch geschrieben, und in diesem Text wird nun sehr deutlich, dass Jesus von Nazareth ja seiner Bestimmung zugeführt werden musste, also im Alten Testament, damals überhaupt die Bibel, es gab ja kein Neues Testament, da steht ja drin, irgendwann wird Gottes Sohn kommen, und er wird den Menschen überantwortet werden, er wird die Sünden der Welt auf sich nehmen, er wird sterben.
Dieser Messias darf nach jüdischem Verständnis aber nicht den Finger hoch zeigen und sagen, hallo, ich bin der Messias, und guckt mich nur an, entweder glaubt ihr an mich oder nicht, friss Vogel oder stirb, sondern er muss bezeichnet werden - das ist ganz wichtig - von einem anderen, er darf nicht selber sagen, ich bin, er darf über sich nicht reden, und da braucht man natürlich einen Menschen, irgendeinen Menschen in diesem Heilsplan.
Und jetzt wird zurückgeblickt und wird gesagt, Judas aus dem Kreis derer, der hat ihn bezeichnet vor den Hohepriestern, er hat ihn sozusagen seiner wahren Bestimmung zugeführt, und das ist natürlich, wie man sich denken kann, jetzt in diesem Verständnis nichts Schlechtes, sondern, wenn er das nicht getan hätte, dann wäre dieser Jesus von Nazareth gar nicht als Messias anerkannt worden.
Wuttke: Sie haben gesagt, hier in diesem Falle handelt es sich um eine Abschrift. Der ursprüngliche Text, von wem er verfasst wurde, ist nicht bekannt. Wir kennen auch nicht die Sprache, in der er verfasst wurde. Stellt sich die Frage, was ist hier eigentlich echt, echt im Sinne der Zeit, aus der der Text stammt, wer ihn verfasst hat, echt auch, was die Botschaft des Verfassers angeht?
Gornik: Also, durch diesen Irenäus, den Sie schon zitiert haben, weiß man, dass es einen Text gegeben haben muss, der sehr einflussreich war. Das war sozusagen die kleine Bibel dieser Gnostiker. Da wurde schon von einem Judas-Evangelium geredet, die haben, diese Leute, sagt er, eine Geschichte erschaffen, die sie das Evangelium des Judas nennen. Also es ist schon seit langem bekannt. Dieser Text wurde abgewehrt. Klar, wenn Sie in unsere heute Bibel gucken, die damals schon sozusagen zusammengestellt wurde, Irenäus hat da die vier Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas und Johannes schon gekannt. Dann sind so um 367 andere Texte noch dazugekommen, aber im Wesentlichen waren es die Evangelien, da hat man gesagt, das ist der Mainstream, das ist sozusagen unser Glaubensbekenntnis.
So, was ist jetzt echt? Echt ist erstmal, und das ist natürlich, wollen wir es nicht ganz zurücknehmen, eine Sensation, etwas ganz Außergewöhnliches, dass wir wieder einen Text haben, der so alt ist und der auf einen noch älteren zurückgeht. Dieser Text kommt, ist so etwa um 300 entstanden und er sagt uns, wenn wir ihn denn dann entziffert haben und übersetzt haben, natürlich sehr viel über die Vielfalt im jungen Christentum. Es war keineswegs so, dass die alle einer Ansicht waren.
Man muss sich das ja so vorstellen, als Jesus gestorben ist, hat ja kein Mensch daran gedacht, die Geschichte aufzuschreiben. Es hat ja keiner daneben gestanden und protokolliert, sondern man dachte ja, das werden wir alle noch erleben, dass wir nun, nachdem der Herr gestorben ist und auferstanden ist, auch sozusagen in das Paradies eingehen werden. Als die ersten, die ihn kannten, aber gestorben sind und sich das nicht erfüllt hat, da bestand ja die Notwendigkeit für die anderen, das nun zu überliefern, was man mit diesem Menschen, der zugleich Gottes Sohn ist, erlebt hat. So entstanden die Evangelien ganz simpel, und in der Rückschau gab es dann verschiedene Traditionen und Theologien.
Da war erst die Theologie der Mutter Gottes Maria in Tabga, das kann man auch archäologisch nachweisen, da spielte Petrus eine besondere Rolle, nachher der große Missionar Paulus, der hatte es übrigens furchtbar schwer, sich durchzusetzen mit seinem eher, heute würde man sagen, eher weltlichen Zugriff auf das Christentum. Petrus sozusagen die große Symbolfigur, die wollte natürlich, sozusagen am Fuße des Leuchtturms ist kein Licht, die wollte keinen anderen neben sich haben, und viele andere haben auch ihre Deutung der Geschichte geboten, und eine Deutung war diese gnostische Deutung, und die hat den Jüngern eine besondere Funktion zugebilligt, also Judas sozusagen war derjenige, der eigentlich Jesus ganz nahe war und hat ihm sozusagen erst dieses Messiastum ermöglicht.
Also das ist natürlich spannend. Es ist ein Sensatiönchen, weil es ja schon lange in der Kirchengeschichte und Theologiegeschichte bekannt ist. Dennoch, muss man sagen, wir haben einen solchen Text, zweitens sagt uns der Text etwas über die Vielzahl der Einstellungen im Christentum und drittens ist es natürlich furchtbar spannend, einfach mal zu überlegen, das ist jetzt wieder eine Bestätigung, dass man nicht einfach so einen Antijudaismus übernehmen darf im Neuen Testament. Also Judas, sozusagen der Verräter, lässt sich nicht benutzen für einen Antisemitismus und Antijudaismus.
Wuttke: Herbert A. Gornik, eine kurze Antwort. Glauben Sie, dass durch das, was Sie gerade geschildert haben, eine neue Diskussion angestoßen wird, oder wird es irgendwann in kürzerer Zeit doch so sein, dass diese Sensation, die Sie zum Schluss eben gerade genannt haben, dann doch als Papier in einer Glasvitrine landet?
Gornik: Weder noch. Es wird etwas Drittes passieren. Eine neue Diskussion wird nicht angestoßen, sondern eine alte wird wieder belebt und mit neuem, interessantem Material.
Wuttke: Eine alte Schrift über das Verhältnis von Judas zu Jesus. Was davon zu halten ist, Sensation und Sensatiönchen, dazu Herbert A. Gornik im Radiofeuilleton. Vielen Dank.
Gornik: Man muss unterscheiden zwischen der gefühlten Sensation und der tatsächlichen. Also sie ist erst mal aufregend natürlich auf den ersten Blick, die gefühlte Sensation ist beträchtlich, da entpuppt sich der Verräter als bester Freund, und der sprichwörtliche Denunziant und Geldgeile, der tut etwas aus Liebe zu Gott, damit sich die biblischen Weissagungen erfüllen.
Aber die wirkliche Sensation ist ein Sensatiönchen, denn das ist schon länger bekannt und wird auch von Theologen seit Hunderten von Jahren so interpretiert, dass nicht Judas sozusagen die Inkarnation alles Bösen ist und nun er selber den Herrn verraten hat, und dieses Evangelium, um das es geht, von dem ist jetzt eine Abschrift gefunden worden, etwa um 300 entstanden, das ist schon seit 1700 Jahren bekannt, nur hat es sozusagen keiner von den modernen Menschen - uns eingeschlossen - in der Hand gehabt und gelesen.
Man merkt diese Absicht eigentlich ganz deutlich. Dieses Evangelium, ein ganz normaler Sammelbegriff für diese vielen Schriften, die so etwa um 100 nach Christus entstanden sind, die sollen ja erklären, was es mit diesem Jesus von Nazareth nun wirklich auf sich hat. Und eines dieser Evangelien ist nun entstanden in einer Situation, in der man sich von der jüdischen Gemeinde besonders absetzen wollte. Man wollte einfach deutlich machen, was sind diese Christen für Menschen, was unterscheidet sie von den Juden, und da wurde den Juden sozusagen die ganze Schuld zugeschrieben, Judas sozusagen hat den Juden, den Herrn, ausgeliefert.
Wuttke: Was ist denn darüber bekannt, wer der Verfasser oder die Verfasser dieses so genannten Evangeliums des Judas waren? In diesem Zusammenhang fiel, habe ich bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch gelesen, der Name Irenäus von Lyon. Wer war das?
Gornik: Also Irenäus von Lyon, der war Bischof um 170 nach Christus, und der hat schon gewarnt damals in einer ganz aufsehenerregenden Schrift gegen die Ungläubigen, gegen die Häretiker. Er hat gesagt, eine Schrift hat er genannt "Überführung und Widerlegung der zu Unrecht so genannten Erkenntnis", und da läuten jetzt alle Glocken eigentlich, denn Erkenntnis, das war eine christliche Richtung im Christentum, nicht gerade der Mainstream, aber sehr deutlich und virulent, das waren Leute, Gnosis, die die Erkenntnis in den Vordergrund stellten.
Also grundsätzlich ist Gott erkennbar, zweites Moment, es gibt eine starke Unterscheidung, klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, dem Reich der Finsternis und dem Reich des Guten, und - jetzt für unseren Zusammenhang ganz wichtig - die Seele ist das Entscheidende beim Menschen, die Seele ist eingesperrt in dem Körper und die muss befreit werden, und das hat Folgerungen für das Gottesbild und das Jesusbild, denn die sahen jetzt Jesus nicht wie der Mainstream der Christen als gleichzeitig Gott und Mensch, sondern sie sahen ihn nur als Gott. Ein solcher Gott kann nicht gekreuzigt werden, das ist nicht so schlimm, da entledigt sich sozusagen die göttliche Seele nur der leiblichen, der irdischen Gestalt.
Das ist natürlich ein ganz großer Unterschied, ob ich sage, Jesus, dieser Jesus von Nazareth, Gottes Sohn, der war auch richtiger Mensch, der ist auch richtig gestorben, richtig gestorben. Am Karfreitagabend da scheint keine Ostersonne, da ist alles zu Ende, da weiß man noch nicht, dass die Geschichte mit Jesus weitergeht.
Also, diese Gnostiker behaupteten das, und in dieser Tradition ist so etwa um 150 nach Christus ein Text entstanden, ein unbekannter ägyptischer Christ hat diesen Text geschrieben, wir wissen nicht mal, ob er ihn in Griechisch geschrieben hat oder in der ägyptischen Sprache Koptisch. Die jetzige Abschrift aus so etwa um 300, das ist wohl verbürgt, die ist in Koptisch geschrieben, und in diesem Text wird nun sehr deutlich, dass Jesus von Nazareth ja seiner Bestimmung zugeführt werden musste, also im Alten Testament, damals überhaupt die Bibel, es gab ja kein Neues Testament, da steht ja drin, irgendwann wird Gottes Sohn kommen, und er wird den Menschen überantwortet werden, er wird die Sünden der Welt auf sich nehmen, er wird sterben.
Dieser Messias darf nach jüdischem Verständnis aber nicht den Finger hoch zeigen und sagen, hallo, ich bin der Messias, und guckt mich nur an, entweder glaubt ihr an mich oder nicht, friss Vogel oder stirb, sondern er muss bezeichnet werden - das ist ganz wichtig - von einem anderen, er darf nicht selber sagen, ich bin, er darf über sich nicht reden, und da braucht man natürlich einen Menschen, irgendeinen Menschen in diesem Heilsplan.
Und jetzt wird zurückgeblickt und wird gesagt, Judas aus dem Kreis derer, der hat ihn bezeichnet vor den Hohepriestern, er hat ihn sozusagen seiner wahren Bestimmung zugeführt, und das ist natürlich, wie man sich denken kann, jetzt in diesem Verständnis nichts Schlechtes, sondern, wenn er das nicht getan hätte, dann wäre dieser Jesus von Nazareth gar nicht als Messias anerkannt worden.
Wuttke: Sie haben gesagt, hier in diesem Falle handelt es sich um eine Abschrift. Der ursprüngliche Text, von wem er verfasst wurde, ist nicht bekannt. Wir kennen auch nicht die Sprache, in der er verfasst wurde. Stellt sich die Frage, was ist hier eigentlich echt, echt im Sinne der Zeit, aus der der Text stammt, wer ihn verfasst hat, echt auch, was die Botschaft des Verfassers angeht?
Gornik: Also, durch diesen Irenäus, den Sie schon zitiert haben, weiß man, dass es einen Text gegeben haben muss, der sehr einflussreich war. Das war sozusagen die kleine Bibel dieser Gnostiker. Da wurde schon von einem Judas-Evangelium geredet, die haben, diese Leute, sagt er, eine Geschichte erschaffen, die sie das Evangelium des Judas nennen. Also es ist schon seit langem bekannt. Dieser Text wurde abgewehrt. Klar, wenn Sie in unsere heute Bibel gucken, die damals schon sozusagen zusammengestellt wurde, Irenäus hat da die vier Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas und Johannes schon gekannt. Dann sind so um 367 andere Texte noch dazugekommen, aber im Wesentlichen waren es die Evangelien, da hat man gesagt, das ist der Mainstream, das ist sozusagen unser Glaubensbekenntnis.
So, was ist jetzt echt? Echt ist erstmal, und das ist natürlich, wollen wir es nicht ganz zurücknehmen, eine Sensation, etwas ganz Außergewöhnliches, dass wir wieder einen Text haben, der so alt ist und der auf einen noch älteren zurückgeht. Dieser Text kommt, ist so etwa um 300 entstanden und er sagt uns, wenn wir ihn denn dann entziffert haben und übersetzt haben, natürlich sehr viel über die Vielfalt im jungen Christentum. Es war keineswegs so, dass die alle einer Ansicht waren.
Man muss sich das ja so vorstellen, als Jesus gestorben ist, hat ja kein Mensch daran gedacht, die Geschichte aufzuschreiben. Es hat ja keiner daneben gestanden und protokolliert, sondern man dachte ja, das werden wir alle noch erleben, dass wir nun, nachdem der Herr gestorben ist und auferstanden ist, auch sozusagen in das Paradies eingehen werden. Als die ersten, die ihn kannten, aber gestorben sind und sich das nicht erfüllt hat, da bestand ja die Notwendigkeit für die anderen, das nun zu überliefern, was man mit diesem Menschen, der zugleich Gottes Sohn ist, erlebt hat. So entstanden die Evangelien ganz simpel, und in der Rückschau gab es dann verschiedene Traditionen und Theologien.
Da war erst die Theologie der Mutter Gottes Maria in Tabga, das kann man auch archäologisch nachweisen, da spielte Petrus eine besondere Rolle, nachher der große Missionar Paulus, der hatte es übrigens furchtbar schwer, sich durchzusetzen mit seinem eher, heute würde man sagen, eher weltlichen Zugriff auf das Christentum. Petrus sozusagen die große Symbolfigur, die wollte natürlich, sozusagen am Fuße des Leuchtturms ist kein Licht, die wollte keinen anderen neben sich haben, und viele andere haben auch ihre Deutung der Geschichte geboten, und eine Deutung war diese gnostische Deutung, und die hat den Jüngern eine besondere Funktion zugebilligt, also Judas sozusagen war derjenige, der eigentlich Jesus ganz nahe war und hat ihm sozusagen erst dieses Messiastum ermöglicht.
Also das ist natürlich spannend. Es ist ein Sensatiönchen, weil es ja schon lange in der Kirchengeschichte und Theologiegeschichte bekannt ist. Dennoch, muss man sagen, wir haben einen solchen Text, zweitens sagt uns der Text etwas über die Vielzahl der Einstellungen im Christentum und drittens ist es natürlich furchtbar spannend, einfach mal zu überlegen, das ist jetzt wieder eine Bestätigung, dass man nicht einfach so einen Antijudaismus übernehmen darf im Neuen Testament. Also Judas, sozusagen der Verräter, lässt sich nicht benutzen für einen Antisemitismus und Antijudaismus.
Wuttke: Herbert A. Gornik, eine kurze Antwort. Glauben Sie, dass durch das, was Sie gerade geschildert haben, eine neue Diskussion angestoßen wird, oder wird es irgendwann in kürzerer Zeit doch so sein, dass diese Sensation, die Sie zum Schluss eben gerade genannt haben, dann doch als Papier in einer Glasvitrine landet?
Gornik: Weder noch. Es wird etwas Drittes passieren. Eine neue Diskussion wird nicht angestoßen, sondern eine alte wird wieder belebt und mit neuem, interessantem Material.
Wuttke: Eine alte Schrift über das Verhältnis von Judas zu Jesus. Was davon zu halten ist, Sensation und Sensatiönchen, dazu Herbert A. Gornik im Radiofeuilleton. Vielen Dank.