Vom Unterschied zwischen Fakten und Fiktionen
Was steht höher, die Freiheit der Kunst, der Literatur oder der Schutz der Persönlichkeit? Damit beschäftigte sich jetzt, am Beispiel von Maxim Billers "Esra", eine Tagung in Tutzing.
Rainer Dresen: "Ich glaube, nichts im Leben ist tatsächlich grenzenlos, und die Freiheit wird dort beeinträchtigt, wo die Freiheiten anderer von Bedeutung sein sollen, und Literaturfreiheit wird begrenzt von der Freiheit anderer, ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt zu wissen."
Rainer Dresen ist der Chefjustitiar des größten deutschen Verlagshauses, des Konzerns Bertelsmann/RandomHouse. Die Frage, was höher steht – die Freiheit der Kunst, der Literatur oder der Schutz der Persönlichkeit – ist für ihn eine immer aufs Neue zu prüfende Abwägungssache und nur im Einzelfall zu entscheiden, denn jeder Fall liegt anders.
Um es gar nicht erst zum Prozess kommen zu lassen, ist die gängige Praxis der Verlage nach den Erfahrungen mit dem "Fall Esra" mittlerweile die, vor der Veröffentlichung von Büchern, bei denen es wahrscheinlich ist, dass Persönlichkeitsrechte verletzt sein könnten, mit den Autoren zu sprechen.
" … um abzuwägen, ob nicht leichte, sanfte Eingriffe im Lektoratsstadium möglich sind, um diese Verletzungen schon im Vorfeld zu vermeiden."
Die Klagen gegen Maxim Billers Buch haben die deutschen Verlage vorsichtig werden lassen. Das weiß auch ein Autor wie der Berliner Alban Nikolai Herbst.
"Also, ich weiß aus einigen Verlagshäusern, dass dort gerade autobiographisch gefärbte Texte als Erstes mal in die Rechtsabteilung wandern."
Herbst ist – wie Biller - ein Betroffener. Per Gerichtsbeschluss wurde dem Schriftsteller 2003 untersagt, aus seinem Roman "Meere" öffentlich vorzulesen, nach der erfolgreichen Klage seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die sich in "Meere" wiedererkannt und durch die Darstellung privater Details in ihrer Intimsphäre, ihren Persönlichkeitsrechten verletzt gefühlt hatte. Auf die Frage, die über der Tutzinger Tagung stand - Was darf die Literatur, was kann sie? - antwortete Herbst knapp:
"Sie kann alles, sie darf möglicherweise nicht alles und muss deswegen auch das Risiko eingehen, dass sie in der ein oder anderen Form belangt wird."
Herbst war neben Fabienne Pakleppa und dem als Rechtsanwalt und Schriftsteller tätigen Georg M. Oswald einer der wenigen Autoren in Tutzing. Biller selbst, der Auslöser der ganzen juristischen Streitigkeiten, war nicht am Starnberger See zugegen. Man hatte ihn nicht eingeladen, wohl auch, weil man seinen Auftritt vor nun fast sieben Jahren noch bestens in Erinnerung hatte, als Biller engagiert gegen die "Schlappschwanzliteratur" wetterte und sich drei Tage lang alles in der Tutzinger Rotunde ausschließlich um ihn, Maxim, den Größten drehte. Diesmal ging es ohne ihn um ihn. Es wurden die alten, wohlbekannten Argumente ausgetauscht:
Helge Malchow: "Bei literarischen Texten insistiere ich und möchte ich auch weiter insistieren auf dem Kunstvorbehalt."
Das sagte Billers Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer und Witsch, der meinte, Biller habe seinen Roman "Esra" ohne jede "außerliterarische Absicht" geschrieben, auch die Rezensenten hätten den Kunstcharakter seines Buchs erkannt – nur diejenigen nicht, die darüber zu Gericht sitzen und urteilen.
"Es ist teilweise auch eine Hilflosigkeit in den Instanzen, die ich erlebt habe und eine Überforderung der Richter."
Der Aussage stimmte Rainer Dresen von Bertelsmann/RandomHouse zu.
"Ich bin ziemlich sicher, dass die Gerichte dieses Problem als ein Problem sehen, das eigentlich außerhalb ihrer eigenen Beurteilungsfähigkeit steht. Es wird zwar immer formelhaft die Kunstfreiheit zitiert und auch als berücksichtigt abgehandelt, aber meines Erachtens nicht mit der Tiefe, die vielleicht aus Sicht der Literaturwissenschaftler nötig wäre. Sicherlich könnte man Gutachten einfordern und einholen, aber auch da ist es schwer zu sagen, wer hat jetzt das letztendlich verbindliche Gutachten erstellt. Da gibt’s welche, die pro sind, andere sind contra. Deshalb versuchen Juristen so etwas zu vermeiden und ihre eigenen Erwägungen stattdessen anzustellen. Nur da wird sicherlich der Schwerpunkt eher in der Juristerei als in der Kunstbetrachtung liegen, und das ist sicherlich ein Fehler all dieser Urteile."
Der Grundsatz "in dubio pro arte" – im Zweifel für die Kunst – dürfe dennoch nicht gelten, darauf bestand die Münchner Rechtsanwältin Eva Inés Obergfell, die in Tutzing das Kernproblem bei der Auseinandersetzung benannte: Es könne, so Obergfell, wohl kaum angehen, dass jeder, der wie Biller Beleidigungen in Form einer Fiktion, eines Romans begehe, sich freisprechen könne von aller Schuld durch den Hinweis darauf, er habe diese Beleidigungen in ein Kunstwerk verpackt, und Kunstwerke seien bekanntlich geschützt. Die Kunstfreiheit sein nicht schrankenlos.
Alban Nikolai Herbst: "Nein, sie ist nicht schrankenlos, sie ist beschränkt, aber sie wird diese Freiheit übertreten. Ich glaube, dass ein wesentliches Merkmal von Kunst genau das ist, was Foucault mit Überschreitung gemeint hat. Dass die Übertretung von etwas ein der Kunstbewegung eingeschriebenes Moment ist, und dass es deswegen immer zu Konflikten führen wird, das hat es seit jeher getan und das wird auch so bleiben. Ich glaube auch umgekehrt, dass jetzt eine absolute Kunstfreiheit zu fordern für die Kunst das Gefährlichste wäre, was es gibt. Stellen Sie sich das vor wie bei der antiautoritären Beziehung: Ein Kind, das antiautoritär erzogen wird, wird völlig verloren sein später. Denn es gehört zur Entwicklung einer Person und auch eines Kunstwerkes, eines Kunstideologems dazu, dass man sich an Widerständen reibt. Dass man Widerstände übertritt und möglicherweise auch die Folgen davon zu tragen hat."
Alban Nikolai Herbst hat die Konsequenzen getragen dafür, dass er, wie er sagt, jemandem "Schmerzen zugefügt" hat. Allein, er erklärte in Tutzing, er hätte "ästhetisch nicht anders gekonnt" damals und würde es vermutlich so wieder tun. Ein wie schwieriges Themenfeld man in Tutzing beackerte, das zeigte sich an dem wiewohl ehrlichen, aber aus juristischer Sicht haarsträubenden Satz des Germanisten Michael Ansel, wenn ein Kunstwerk "ästhetisch überzeugend" sei, , müssten "die Persönlichkeitsrechte zurückstehen".
Immerhin konnte Ansel zeigen, dass schon Thomas Mann sich beklagt hatte, viele Leser würden das, was man in Literatur mühsam verwandle, als bloße "Ausplauderei und sensationellen Klatsch" missverstehen. Es sei schlechte "Publikumssitte", so Mann bereits 1906, in Büchern "nach Persönlichem zu schnüffeln". Dass das Persönlichkeitsrecht längst nicht mehr zeitgemäß ist und einer Reform bedarf, darauf konnte man sich in Tutzing einigen. Denn sonst, so Helge Malchow, würde eine bedenkliche Entwicklung voranschreiten.
"Nämlich die, dass ich von Autoren während ihrer Arbeit an Romanen angerufen werde, um Rat zu bekommen darüber, über welche Themen, Personen oder Ereignisse sie schreiben dürfen und über welche nicht und wie sie darüber schreiben, wie sie’s verfremden oder nicht tun sollen. Das ist ein bedrohliches Phänomen von Selbstzensur, das die Konsequenz ist aus den laufenden Verhandlungen und Gerichtsprozesse, die gelaufen sind, und das ist einer der Gründe dafür, dass wir zum Bundesverfassungsgericht gehen, um den Bereich der Kunstfreiheit zu verteidigen und möglicherweise auch noch auszubauen."
Rainer Dresen ist der Chefjustitiar des größten deutschen Verlagshauses, des Konzerns Bertelsmann/RandomHouse. Die Frage, was höher steht – die Freiheit der Kunst, der Literatur oder der Schutz der Persönlichkeit – ist für ihn eine immer aufs Neue zu prüfende Abwägungssache und nur im Einzelfall zu entscheiden, denn jeder Fall liegt anders.
Um es gar nicht erst zum Prozess kommen zu lassen, ist die gängige Praxis der Verlage nach den Erfahrungen mit dem "Fall Esra" mittlerweile die, vor der Veröffentlichung von Büchern, bei denen es wahrscheinlich ist, dass Persönlichkeitsrechte verletzt sein könnten, mit den Autoren zu sprechen.
" … um abzuwägen, ob nicht leichte, sanfte Eingriffe im Lektoratsstadium möglich sind, um diese Verletzungen schon im Vorfeld zu vermeiden."
Die Klagen gegen Maxim Billers Buch haben die deutschen Verlage vorsichtig werden lassen. Das weiß auch ein Autor wie der Berliner Alban Nikolai Herbst.
"Also, ich weiß aus einigen Verlagshäusern, dass dort gerade autobiographisch gefärbte Texte als Erstes mal in die Rechtsabteilung wandern."
Herbst ist – wie Biller - ein Betroffener. Per Gerichtsbeschluss wurde dem Schriftsteller 2003 untersagt, aus seinem Roman "Meere" öffentlich vorzulesen, nach der erfolgreichen Klage seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die sich in "Meere" wiedererkannt und durch die Darstellung privater Details in ihrer Intimsphäre, ihren Persönlichkeitsrechten verletzt gefühlt hatte. Auf die Frage, die über der Tutzinger Tagung stand - Was darf die Literatur, was kann sie? - antwortete Herbst knapp:
"Sie kann alles, sie darf möglicherweise nicht alles und muss deswegen auch das Risiko eingehen, dass sie in der ein oder anderen Form belangt wird."
Herbst war neben Fabienne Pakleppa und dem als Rechtsanwalt und Schriftsteller tätigen Georg M. Oswald einer der wenigen Autoren in Tutzing. Biller selbst, der Auslöser der ganzen juristischen Streitigkeiten, war nicht am Starnberger See zugegen. Man hatte ihn nicht eingeladen, wohl auch, weil man seinen Auftritt vor nun fast sieben Jahren noch bestens in Erinnerung hatte, als Biller engagiert gegen die "Schlappschwanzliteratur" wetterte und sich drei Tage lang alles in der Tutzinger Rotunde ausschließlich um ihn, Maxim, den Größten drehte. Diesmal ging es ohne ihn um ihn. Es wurden die alten, wohlbekannten Argumente ausgetauscht:
Helge Malchow: "Bei literarischen Texten insistiere ich und möchte ich auch weiter insistieren auf dem Kunstvorbehalt."
Das sagte Billers Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer und Witsch, der meinte, Biller habe seinen Roman "Esra" ohne jede "außerliterarische Absicht" geschrieben, auch die Rezensenten hätten den Kunstcharakter seines Buchs erkannt – nur diejenigen nicht, die darüber zu Gericht sitzen und urteilen.
"Es ist teilweise auch eine Hilflosigkeit in den Instanzen, die ich erlebt habe und eine Überforderung der Richter."
Der Aussage stimmte Rainer Dresen von Bertelsmann/RandomHouse zu.
"Ich bin ziemlich sicher, dass die Gerichte dieses Problem als ein Problem sehen, das eigentlich außerhalb ihrer eigenen Beurteilungsfähigkeit steht. Es wird zwar immer formelhaft die Kunstfreiheit zitiert und auch als berücksichtigt abgehandelt, aber meines Erachtens nicht mit der Tiefe, die vielleicht aus Sicht der Literaturwissenschaftler nötig wäre. Sicherlich könnte man Gutachten einfordern und einholen, aber auch da ist es schwer zu sagen, wer hat jetzt das letztendlich verbindliche Gutachten erstellt. Da gibt’s welche, die pro sind, andere sind contra. Deshalb versuchen Juristen so etwas zu vermeiden und ihre eigenen Erwägungen stattdessen anzustellen. Nur da wird sicherlich der Schwerpunkt eher in der Juristerei als in der Kunstbetrachtung liegen, und das ist sicherlich ein Fehler all dieser Urteile."
Der Grundsatz "in dubio pro arte" – im Zweifel für die Kunst – dürfe dennoch nicht gelten, darauf bestand die Münchner Rechtsanwältin Eva Inés Obergfell, die in Tutzing das Kernproblem bei der Auseinandersetzung benannte: Es könne, so Obergfell, wohl kaum angehen, dass jeder, der wie Biller Beleidigungen in Form einer Fiktion, eines Romans begehe, sich freisprechen könne von aller Schuld durch den Hinweis darauf, er habe diese Beleidigungen in ein Kunstwerk verpackt, und Kunstwerke seien bekanntlich geschützt. Die Kunstfreiheit sein nicht schrankenlos.
Alban Nikolai Herbst: "Nein, sie ist nicht schrankenlos, sie ist beschränkt, aber sie wird diese Freiheit übertreten. Ich glaube, dass ein wesentliches Merkmal von Kunst genau das ist, was Foucault mit Überschreitung gemeint hat. Dass die Übertretung von etwas ein der Kunstbewegung eingeschriebenes Moment ist, und dass es deswegen immer zu Konflikten führen wird, das hat es seit jeher getan und das wird auch so bleiben. Ich glaube auch umgekehrt, dass jetzt eine absolute Kunstfreiheit zu fordern für die Kunst das Gefährlichste wäre, was es gibt. Stellen Sie sich das vor wie bei der antiautoritären Beziehung: Ein Kind, das antiautoritär erzogen wird, wird völlig verloren sein später. Denn es gehört zur Entwicklung einer Person und auch eines Kunstwerkes, eines Kunstideologems dazu, dass man sich an Widerständen reibt. Dass man Widerstände übertritt und möglicherweise auch die Folgen davon zu tragen hat."
Alban Nikolai Herbst hat die Konsequenzen getragen dafür, dass er, wie er sagt, jemandem "Schmerzen zugefügt" hat. Allein, er erklärte in Tutzing, er hätte "ästhetisch nicht anders gekonnt" damals und würde es vermutlich so wieder tun. Ein wie schwieriges Themenfeld man in Tutzing beackerte, das zeigte sich an dem wiewohl ehrlichen, aber aus juristischer Sicht haarsträubenden Satz des Germanisten Michael Ansel, wenn ein Kunstwerk "ästhetisch überzeugend" sei, , müssten "die Persönlichkeitsrechte zurückstehen".
Immerhin konnte Ansel zeigen, dass schon Thomas Mann sich beklagt hatte, viele Leser würden das, was man in Literatur mühsam verwandle, als bloße "Ausplauderei und sensationellen Klatsch" missverstehen. Es sei schlechte "Publikumssitte", so Mann bereits 1906, in Büchern "nach Persönlichem zu schnüffeln". Dass das Persönlichkeitsrecht längst nicht mehr zeitgemäß ist und einer Reform bedarf, darauf konnte man sich in Tutzing einigen. Denn sonst, so Helge Malchow, würde eine bedenkliche Entwicklung voranschreiten.
"Nämlich die, dass ich von Autoren während ihrer Arbeit an Romanen angerufen werde, um Rat zu bekommen darüber, über welche Themen, Personen oder Ereignisse sie schreiben dürfen und über welche nicht und wie sie darüber schreiben, wie sie’s verfremden oder nicht tun sollen. Das ist ein bedrohliches Phänomen von Selbstzensur, das die Konsequenz ist aus den laufenden Verhandlungen und Gerichtsprozesse, die gelaufen sind, und das ist einer der Gründe dafür, dass wir zum Bundesverfassungsgericht gehen, um den Bereich der Kunstfreiheit zu verteidigen und möglicherweise auch noch auszubauen."