Vom Underdog zum Staatssekretär

02.02.2012
Volker Reinhardt macht greifbar, wie in der Renaissance gelebt, gestorben, intrigiert, gemetzelt, gerafft und moralisiert wurde. Er öffnet Machiavellis Texte, indem er sie rückkoppelt an ihre individuellen und historischen Kontexte. Reinhardts Prosa ist dabei erfrischend - und nie anbiedernd.
Als Niccolò Machiavelli 1469 geboren wird, ist Florenz formal eine Republik. Die Staatsgeschäfte sind verteilt auf die zehnköpfige signoria und fünfzig weitere Spitzenposten, Wahlämter auf Zeit. Die Richtlinienkompetenz ist zudem verteilt auf mehrere Entscheidungsebenen. Deren Räte repräsentieren das florentinische Bürgertum. Informell liegt die Macht trotzdem bei wenigen primi: Patrizierfamilien, die die Republik als Privateigentum betrachten, in etwa agieren wie viel später in New York die Cosa-Nostra-Clans, Konkurrenz um den Sitz des capo dei capi eingeschlossen. Seit 1434 stellt den der Clan der Medici. Als 1492 der vorerst letzte stirbt, ist die Republik von innen zerstört durch Günstlingswirtschaft, Wahlfälschungen und teure, aber erfolglose Söldnerarmeen.

Im Mai 1498 wird der 29jährige Machiavelli zum Chef der Zweiten Kanzlei der signoria gewählt. Ein "Underdog", Sohn eines bibliomanischen Advokats mit Hang zum Bankrott, keiner der primi. Aber eben das entpuppt sich als Vorteil: Weil niemand Niccolò auf eine Karriere hin fördert und niemand ihm vorschreibt, wie er zu interpretieren hat, was er liest, lernt er, sich seinen eigenen Reim darauf zu machen. So unbegünstigt, also auch niemandem zu Dank und Treue verpflichtet, kann er seinen unorthodoxen Blick auf die Welt entwickeln. Und diesen gewissen arroganten Sarkasmus gegenüber inkompetenten Heuchlern und Schwätzern, für den er bei seinen Zeitgenossen bald auch berüchtigt ist.

Vierzehn Jahre lang ist Niccolò Machiavelli als Staatssekretär für Außenpolitik in Europa unterwegs und verhandelt mit den Mächtigen, vom geizigen französischen König über den grausamen Cesare Borgia und allerlei "Warlords" bis zum Vatikan. Seine Reports sind Meisterwerke diplomatischen Zwischen-den-Zeilen-Schreibens. Er enttarnt, was hinter verbalen (und anderen) Manövern steckt, ist Psychologe, Spion, Taktierer in einem. Er steckt zeitlebens im Dilemma, genau zu wissen, wie Macht funktioniert, und selbst keine zu haben. Aus all dem entwickelt er seine Ideen über Staatskunst und die ideale res publica. 1513 - die Medici sind zurück in Florenz - wird er verhaftet, gefoltert, aber bald amnestiert.

In den folgenden vierzehn Jahren bis zu seinem Tod 1527 entstehen die berühmten Werke DER FÜRST, die ISTORIE FIORENTINE, die DISCORSI, auch giftig-satirische Komödien und eine unglaublich reiche Korrespondenz. Machiavellis Analysen sind hellsichtig: "Filz", Politik, die von Finanziers bestimmt wird, Politiker, die keine Ahnung von Staatskunst haben, ruinieren die dem Wohl des Ganzen verpflichtete Republik. Sie treffen heute so ins Mark wie damals und haben ihm in allen Epochen mindestens mutwilliges Missverstandenwerden eingebrockt. Dabei kann man bei Machiavelli immens viel darüber lernen, wie die Welt tickt, und studieren, wie ein kluger Kopf politisches Denken entwickelt.

Wie dieses Denken selbst in der Realität geerdet ist, entfaltet Volker Reinhardt in seinem Buch. Er schildert - soweit belegt - die biographischen Stationen und macht greifbar, wie in der Renaissance gelebt, gestorben, intrigiert, gemetzelt, gerafft und moralisiert wurde. Er öffnet Machiavellis Texte, indem er sie rückkoppelt an ihre individuellen und historischen Kontexte, und verdichtet die umgekehrt durch Machiavellis Denken. Es macht Spaß, das zu lesen, nicht zuletzt weil Reinhardt eine erfrischend, nie anbiedernd "heutige" Prosa zu schreiben versteht.

Rezensiert von Pieke Biermann

Volker Reinhardt, Machiavelli oder: Die Kunst der Macht
Eine Biographie
Verlag C. H. Beck
München 2012
400 Seiten, gebunden
24,95 EUR
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