Vom unbekannten Sportsmann zum Ausnahmeläufer

Von Eduard Hoffmann · 08.11.2013
Als er im Zweiten Weltkrieg fiel, gehörte Rudolf Harbig bereits zu den berühmtesten Athleten der Welt, dominierte die Mittelstrecken. Dabei war der Dresdener Gasableser erst 1934 beim "Tag des unbekannten Sportsmannes" entdeckt worden.
"Harbig spurtet mit langen Schritten, wunderbar, wie dieser Mann läuft, zweieinhalb, drei Meter und hinter ihm verzweifelter Kampf, aber Harbig hat sicher gewonnen mit zwei, drei Metern Vorsprung, der erste deutsche Sieg über die halbe Meile."

Das war im August 1937 beim Länderkampf gegen England in London. Nach dem Rennen stand der 23-jährige Rudolf Harbig dem Reporter Rede und Antwort.

"”Die Zeit auf der Bahn beträgt 1,54,8, die ich meinem Kamerad Mertens, der mir n Teil das Tempo gemacht hat, zu verdanken habe.""

Immer bescheiden und freundlich, so beschreiben alle Freunde den am 8. November 1913 in Dresden geborenen Rudolf Harbig. Der vorbildliche Sportler, der zunächst Handball spielte, war bei den städtischen Gaswerken als Kassierer angestellt.

1934 hatte Reichstrainer Woldemar Gerschler das läuferische Talent Harbigs entdeckt. Das war am Tag des unbekannten Sportsmannes, vom Reichsbund für Leibesübungen organisiert, um Talente für die Olympischen Spiele 1936 ausfindig zu machen.

"Und da war einer drunter, der uns auffiel durch seine Qualität, obwohl er gar nicht trainiert oder gar nicht bekannt war. Ich bin dann hinterher zu ihm hingegangen und habe gesagt, wissen Sie, Herr Harbig, ich glaube, Sie würden gut tun, wenn Sie zu uns in den Dresdener Sport Club kämen."

Fortan kümmerte sich Gerschler um Harbig, baute das große Lauftalent behutsam auf und führte es an die Weltspitze heran. Gerschler gilt als Pionier des Intervalltrainings, bei dem kürzere Strecken wiederholt in schnellem Tempo gelaufen werden. Für die harte Trainingsarbeit nutzte er stets auch die neuesten sportmedizinischen Erkenntnisse.

"Wir konnten so arbeiten, weil ich damals schon in engster Verbindung mit der Universität Freiburg, mit Professor Reindell, alle Athleten von ihm untersuchen ließ, und so war ich immer orientiert, wie man eine solche Anstrengung organisch verkraftet."

Harbigs Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Bei den Olympischen Spielen 1936 schied er zwar über 800 Meter im Vorlauf aus, holte aber mit der 4-mal-400-Meter-Staffel die Bronzemedaille. 1938 wurde der ehrgeizige und willensstarke Kämpfer dann Doppeleuropameister, mit der 4-mal-400-Meter-Staffel und über 800 Meter.

Ein Jahr später, am 15. Juli 1939, trat der Dresdner in Mailand über 800 Meter gegen seinen ewigen Rivalen Mario Lanzi an. Die italienischen Zuschauer feuerten ihren Landsmann begeistert an. Der lag vom Start an in Führung. Doch aus der letzten Kurve heraus zog Harbig den Spurt an, ging an Lanzi vorbei und gewann das Rennen in unglaublicher Weltrekordzeit. Unvergesslich für Trainer Woldemar Gerschler.

"Als ich auf meine Uhr schaute, und 1’46’6 las, da hab ich gar nicht geglaubt, dass das stimmt, und erst als der Lautsprecher dann das brachte, da war uns natürlich bewusst erst geworden, was wir in diesen einer Minute 46,6 Sekunden erlebt hatten."

Die internationale Fachpresse sprach von "einer Revolution im Mittelstreckenlauf". 16 Jahre lang hielt der Weltrekord. Am 12. August 1939 kassierte Harbig in Frankfurt am Main mit 46,0 Sekunden auch den 400-Meter-Weltrekord. Acht Tage später war er erneut über die Stadionrunde am Start, beim Länderkampf gegen England in Köln.

"Harbig ist noch weit zurück, jetzt muss der berühmte Endspurt kommen über 400 Meter, der Schritt wird länger, der Leib spannt sich, Harbig kommt, Harbig geht leichtfüßig an ihnen vorbei, Harbig siegt, gegen Wind und Wetter und gegen Brown, England, mit etwa zwei Metern, die er auf den letzten 20 Metern noch herausholen konnte."

Auch über 1000 Meter lief der Ausnahmeathlet aus Dresden Weltrekord und bleibt bis heute der Einzige, der über die drei Mittelstrecken Weltbestzeit gelaufen ist.

Der Traum von olympischem Gold jedoch blieb unerfüllt. Harbig musste in den Krieg. Aus Polen schrieb er an seinen Trainingsfreund Hans Beger.

"In Gedanken bin ich oft bei euren Trainingsstunden, ja es ist eben alles großer Mist. Man hat nun die ganze Zeit an seinem großen Ziel gearbeitet, und vor allem danach gelebt, und jetzt ist alles vorbei, so ein Mist, alles Schluss."

Am 5. März 1944 fiel der Ehemann und Vater einer Tochter gerade mal 30-jährig in der Ukraine.
Briefmarke zeigt Rudolf Harbig.
Rudolf Harbig auf einer Briefmarke der Bundespost von 1968.© Stock.XCHNG
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