Vom Umgang mit der Sprache

Von Ulrike Gondorf |
Dass in der Oper dem Singen, dem kunstvollen und kontrollierten Umgang mit der Stimme eine zentrale Bedeutung zukommt, wird niemand in Zweifel ziehen. Im Schauspiel aber denkt man nicht immer an diesen klanglichen Aspekt gesprochener Sprache. Sprechen kann schließlich jeder, man hört vor allem auf den Inhalt und nicht auf die Musik der Worte. Das war einmal ganz anders. Der Deklamation, dem getragenen, rhetorisch angelegten, klingenden Vortrag des Darstellers wurde viel Beachtung geschenkt.
Dabei wird in der Berufsausbildung der Schauspieler nach wie vor viel Zeit auf die Ausbildung der Stimme, das Training klarer Artikulation und die Regeln korrekter Bühnenaussprache verwendet. Atemtechnik und Muskeltraining sollen eine "Stütze" erzeugen, die die Resonanz der Stimme so verstärkt, dass sie auch in großen Räumen ohne technische Unterstützung verständlich ist. Trotzdem sitzt in den Köpfen vieler Zuschauer ein Vorurteil fest: "Schauspieler können nicht mehr sprechen". Hinter dem veränderten Ton auf der Bühne steckt aber eine veränderte Intention: es soll realistischer, wahrhaftiger, aufrichtiger klingen.

Vor allem in Deutschland ist das nach dem großen Umbruch von 1945 weit vorangetrieben worden. Rhetorische, pathetische Sprache hatte durch den Missbrauch der NS-Propaganda jeden Kredit verloren. In anderen Ländern ist das bis heute anders. In Frankreich zum Beispiel ist die Tradition der Deklamation auf der Bühne bis heute unüberhörbar.

Lange Zeit wollte man überall dieses Kunstvolle, das Getragene, das rhetorisch Durchgestaltete hören. Bei weitem die längste Zeit unserer Theatergeschichte: von der Antike bis in die Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts wurde deklamiert auf der Bühne. Das Sprechen näherte sich dem Gesang an und entlieh sich dort auch Kunstgriffe und Stilmittel: das "r" wurde gerollt und die Vokale wurden gedehnt und aufgebläht, vielleicht sogar mit einem Vibrato versehen, Tempo und Lautstärke wurden moduliert wie bei einem Musikstück.

Auf alten Schallplatten kann man das an Theaterlegenden wie Joseph Kainz oder Tilla Durieux studieren. In Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" oder in Theaterkritiken aus dem 19. Jahrhundert liest man, das vor allem die Stimme, das "Organ" des Schauspielers, beachtet und bewertet wurde und seine Vortragsart über seine Karriere entschied. Bis in die Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts reichte diese Tradition, bis zu Größen wie Will Quadflieg oder Maria Wimmer, die auch ihre Fans um sich scharten, wenn sie gar nicht spielten, sondern "nur" rezitierten.

Mit den Stücken änderte sich die Sprache auf der Bühne. Versdramen und auch die sprachgewaltigen Werke des Expressionismus und des Symbolismus hatten die kunstvolle Bühnensprache hervorgebracht und am Leben gehalten – mit der neuen Dramatik der Nachkriegszeit kamen Alltagsmenschen auf die Bühne. Es ging um Handelsvertreter und Lagerhausangestellte, sie lebten in Hochhäusern, trafen sich in Büros und Cafés und kämpften gegen Versicherungen oder Autopannen. Ihre Alltagskonflikte beschrieben die Autoren in Alltagssprache. Der Siegeszug der modernen amerikanischen Dramatik im ersten Nachkriegsjahrzehnt änderte die Erwartungen des Publikums. Das dokumentarische und politische Theater der Sechzigerjahre stellte einen Aufklärungs- und Informationsanspruch, der sich nur in authentischer und direkter Sprache vermitteln ließ.

Dieser neue Umgang mit Sprache auf der Bühne färbte ab auf das klassische Repertoire. Das "Wegsprechen", das bewusste Unterlaufen von Versformen, rhetorischen Konstruktionen, Anklängen in den alten Texten war einer der großen Reibungspunkte zwischen dem Theater und seinem Publikum, vor allem den älteren Zuschauern. In der Behandlung der Sprache wurde kein oder kaum ein Unterschied gemacht zwischen Goethe und Jargon.

Da scheint sich eine Trendwende abzuzeichnen. In gelungenen Klassiker-Aufführungen findet man heute wieder eine Sensibilität für die Klanggestalt und die rhetorische Form des Textes und die Bereitschaft, sich diesen besonderen Herausforderungen der Stücke aus einer anderen Zeit zu stellen, ohne in museale Starre oder schönes Wortgeklingel abzugleiten. Es gibt eine neue Synthese aus Formbewusstsein und dem Bemühen um die Wahrhaftigkeit der inhaltlichen Aussage. Der Text wird scharf gedacht und entschieden gemeint, aber er klingt auch wieder und gewinnt so eine ästhetische Dimension zurück.

Auch im aktuellen dramatischen Schaffen zeichnet sich ein Aufschwung des Interesses an der Klangkomponente eines Theatertextes ab. Das war natürlich nie ganz verschüttet, man denke nur an Thomas Bernhard, einen der größten Theaterautoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Dialoge beginnen erst zu leben, manchmal erst verständlich zu werden, wenn man sie laut liest.

Mit der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und ihren oft vom Wortklang geprägten Bildern und dem norwegischen Autor Jon Fosse, dessen Texte fast lyrische Qualität haben und mit Pausen, Aussparungen und Wiederholungen arbeiten, sind derzeit zwei Autoren besonders erfolgreich auf den Spielplänen, die man unbedingt sprechen und hören muss, um sie wirklich kennen zu lernen.