Vom Türsteher zum Fotograf
Von Tobias Wenzel · 19.03.2009
Einmal Türsteher, immer Türsteher - so heißt es in der Clubszene. Aber der Mannheimer Luigi Toscano hat den Absprung geschafft. Der 36-Jährige ist nun ein aufstrebender Fotograf. Seinen Durchbruch erzielte er mit dem "72 Stunden"-Projekt. Drei Tage am Stück fotografierte er in Mannheim, Istanbul, Shanghai, Teheran und New York.
"Ich musste ziemlich schnell an der Tür Menschen einschätzen, wie sie drauf sein könnten. Das geschieht in Bruchteilen von Sekunden, dass ich einfach spür: Wie ist der Mensch jetzt drauf? Diese Fähigkeit habe ich irgendwie mitgebracht, sei es von der Straße oder wie auch immer."
Luigi Toscano, ein kräftig gebauter Mann mit zum Pferdeschwanz gebundenen schwarzen Haaren, sitzt auf einer Bank in einem Mannheimer Park. Der 36-jährige Fotograf hat nicht nur ein Auge für Menschen, sondern auch für den großen Ahorn-Baum direkt vor ihm:
"Ich würde ihn vielleicht von der Bodenperspektive aus fotografieren, um eine gewisse Spannung aufzubauen in dem Bild."
Luigi Toscano führt seine selbstgedrehte Zigarette an seine vollen Lippen. Der Ärmel seines blauen Pullovers mit der Aufschrift "Super Dry Warriors" rutscht zurück und bringt das Ende eines tätowierten Motivs zum Vorschein: zwei markante Zacken am Handgelenk. Schnell wird klar: Dies ist kein intellektueller Fotograf einer Kunsthochschule, sondern jemand, der viel erlebt hat.
Als Sohn einer italienischen Gastarbeiter-Großfamilie wurde er 1972 in einem Dorf bei Mainz geboren, lebte in Heimen und auf der Straße, wurde heroinabhängig. Abgebrochene Entzugsversuche. Bis zu jenem Tag, als er mal wieder in eine Klinik eingeliefert wurde:
"Die damalige Krankenschwester, die war so nett, eine ältere, fast schon eine Mutter, die hat mich rasiert. Ich konnte mich ja kaum bewegen. 'Gucken Sie mal, Herr Toscano, wie schön das rasiert ist!' Da habe ich in den Spiegel geguckt und da war ich so was von erschrocken vor mir selber, dass ich irgendwie geahnt habe: So, wenn ich jetzt so weiter mache, dann bin ich weg vom Fenster."
Er lässt sich in die Psychiatrie einweisen und macht erfolgreich einen Entzug. Das war vor 13 Jahren. Seitdem hat er weder Drogen noch Alkohol angerührt. Die Wende seines Lebens. Er wird Vater einer Tochter, geht nach Mannheim, und arbeitet als Dachdecker, Straßenbauer, Fensterputzer und Türsteher. Bald darauf wird er zum beliebtesten Türstehers Deutschlands gewählt. Charme statt Gewalt ist seine Waffe:
"Ich habe manchmal, wenn ich gut drauf war, den Menschen einfach so ein Bonbon in die Hand gedrückt, als Begrüßung sozusagen. Hab mich einfach gefreut, dass sie da sind. Ich habe auch nicht auf Sakko und son Kram gestanden. Im Gegenteil: Ich glaube, ich war der einzige Türsteher auf der Welt, der mit Flipflops gearbeitet hat."
Und vielleicht auch der einzige Fotograf, den der Zufall zu dem gemacht hat, der er heute ist: Luigi Toscano sah in dem Schaufenster eines Mannheimer Elektroladens die Werbung für eine Spiegelreflexkamera:
"Da bin ich ferngesteuert rein, hab mir das Ding gekauft, hab mir dann auch Filme gekauft. Und ich hatte es gerade geschafft, einen Film einzulegen. Aber weiter hatte ich keinen Plan gehabt von der Geschichte."
Der erste entwickelte Film war für den Papierkorb. Wenigstens scharfe Bilder wollte er machen. Da half nur eins: ein zweiwöchiger Volkshochschulkurs:
"Ich saß dann da mit zehn Hausfrauen. Und der Dozent hat uns dann die Grundlagen der Fotografie beigebracht. Zu mir meinte er nur: 'Hey Toscano, du scheinst ein Talent zu sein.' Also ich war schon misstrauisch. Ich dachte, er schaut, wie er seinen nächsten Kurs voll kriegt und versucht jetzt schon son bisschen die Leute zu motivieren."
Den Folgekurs belegte Luigi Toscano nicht. Dafür probierte er sich selbst aus. Learning by doing. Er zeigte Freunden und Bekannten seine Fotos.
"Und zufälligerweise hat's der Bodo gesehen. Der Bodo ist der damalige Barchef gewesen im Odeon-Café, wo ich auch die Fenster geputzt habe. Und der Bodo war total fasziniert und meinte: 'Hey, lass uns ne Ausstellung machen!' Und ich: 'Super! Was ist ne Ausstellung?'"
Das lernte Toscano dann recht schnell. Aber war er wirklich ein richtiger Fotograf? Und wollte er es sein? Eine Reise nach Prag sollte es zeigen. Es zog ihn zurück in jene Stadt, in der einst eine dramatische Liebesgeschichte hatte. Aufgewühlt zog er mit seiner Kamera durch die Stadt und fotografierte wie ein Besessener. Drei Tage lang, ohne zu schlafen. Ein Projekt war entstanden. Er nannte es "72 Stunden" und arbeitete auch in Mannheim, Istanbul, Shanghai, Teheran und New York jeweils drei Tage am Stück. Bis kurz vorm Nervenzusammenbruch:
"Irgendwann tun dir einfach die Füße weh. Und du hast keinen Bock, weil du abgenervt bist. Und ich schrei dann wirklich mit mir rum. Ich habe wirklich im Central Park gehockt und habe rumgeschrien: 'Du Idiot! Warum nennst Du das Ding <72 Stunden>?! Warum kannst Du es nicht <12 Stunden> nennen?!'"
Das 72-Stunden-Projekt war sein Durchbruch. Mit dem Fotoapparat hat er den türkischen Comedian Bülent Ceylan auf seiner Tour begleitet. Er hat einige Bands in seiner Wahlheimat Mannheim für ihr CD-Cover porträtiert und einen Film über das Tanzen gedreht. Heute kann Toscano, der mit einer Journalistin zusammen ist, sein Glück kaum fassen. Er hat, erzählt er, während er sich eine neue Zigarette dreht, die richtigen Leute im richtigen Moment kennen gelernt:
"Weil sonst wäre ich weg vom Fenster: entweder wäre ich im Knast oder würde irgendwo auf dem Friedhof liegen."
Luigi Toscano, ein kräftig gebauter Mann mit zum Pferdeschwanz gebundenen schwarzen Haaren, sitzt auf einer Bank in einem Mannheimer Park. Der 36-jährige Fotograf hat nicht nur ein Auge für Menschen, sondern auch für den großen Ahorn-Baum direkt vor ihm:
"Ich würde ihn vielleicht von der Bodenperspektive aus fotografieren, um eine gewisse Spannung aufzubauen in dem Bild."
Luigi Toscano führt seine selbstgedrehte Zigarette an seine vollen Lippen. Der Ärmel seines blauen Pullovers mit der Aufschrift "Super Dry Warriors" rutscht zurück und bringt das Ende eines tätowierten Motivs zum Vorschein: zwei markante Zacken am Handgelenk. Schnell wird klar: Dies ist kein intellektueller Fotograf einer Kunsthochschule, sondern jemand, der viel erlebt hat.
Als Sohn einer italienischen Gastarbeiter-Großfamilie wurde er 1972 in einem Dorf bei Mainz geboren, lebte in Heimen und auf der Straße, wurde heroinabhängig. Abgebrochene Entzugsversuche. Bis zu jenem Tag, als er mal wieder in eine Klinik eingeliefert wurde:
"Die damalige Krankenschwester, die war so nett, eine ältere, fast schon eine Mutter, die hat mich rasiert. Ich konnte mich ja kaum bewegen. 'Gucken Sie mal, Herr Toscano, wie schön das rasiert ist!' Da habe ich in den Spiegel geguckt und da war ich so was von erschrocken vor mir selber, dass ich irgendwie geahnt habe: So, wenn ich jetzt so weiter mache, dann bin ich weg vom Fenster."
Er lässt sich in die Psychiatrie einweisen und macht erfolgreich einen Entzug. Das war vor 13 Jahren. Seitdem hat er weder Drogen noch Alkohol angerührt. Die Wende seines Lebens. Er wird Vater einer Tochter, geht nach Mannheim, und arbeitet als Dachdecker, Straßenbauer, Fensterputzer und Türsteher. Bald darauf wird er zum beliebtesten Türstehers Deutschlands gewählt. Charme statt Gewalt ist seine Waffe:
"Ich habe manchmal, wenn ich gut drauf war, den Menschen einfach so ein Bonbon in die Hand gedrückt, als Begrüßung sozusagen. Hab mich einfach gefreut, dass sie da sind. Ich habe auch nicht auf Sakko und son Kram gestanden. Im Gegenteil: Ich glaube, ich war der einzige Türsteher auf der Welt, der mit Flipflops gearbeitet hat."
Und vielleicht auch der einzige Fotograf, den der Zufall zu dem gemacht hat, der er heute ist: Luigi Toscano sah in dem Schaufenster eines Mannheimer Elektroladens die Werbung für eine Spiegelreflexkamera:
"Da bin ich ferngesteuert rein, hab mir das Ding gekauft, hab mir dann auch Filme gekauft. Und ich hatte es gerade geschafft, einen Film einzulegen. Aber weiter hatte ich keinen Plan gehabt von der Geschichte."
Der erste entwickelte Film war für den Papierkorb. Wenigstens scharfe Bilder wollte er machen. Da half nur eins: ein zweiwöchiger Volkshochschulkurs:
"Ich saß dann da mit zehn Hausfrauen. Und der Dozent hat uns dann die Grundlagen der Fotografie beigebracht. Zu mir meinte er nur: 'Hey Toscano, du scheinst ein Talent zu sein.' Also ich war schon misstrauisch. Ich dachte, er schaut, wie er seinen nächsten Kurs voll kriegt und versucht jetzt schon son bisschen die Leute zu motivieren."
Den Folgekurs belegte Luigi Toscano nicht. Dafür probierte er sich selbst aus. Learning by doing. Er zeigte Freunden und Bekannten seine Fotos.
"Und zufälligerweise hat's der Bodo gesehen. Der Bodo ist der damalige Barchef gewesen im Odeon-Café, wo ich auch die Fenster geputzt habe. Und der Bodo war total fasziniert und meinte: 'Hey, lass uns ne Ausstellung machen!' Und ich: 'Super! Was ist ne Ausstellung?'"
Das lernte Toscano dann recht schnell. Aber war er wirklich ein richtiger Fotograf? Und wollte er es sein? Eine Reise nach Prag sollte es zeigen. Es zog ihn zurück in jene Stadt, in der einst eine dramatische Liebesgeschichte hatte. Aufgewühlt zog er mit seiner Kamera durch die Stadt und fotografierte wie ein Besessener. Drei Tage lang, ohne zu schlafen. Ein Projekt war entstanden. Er nannte es "72 Stunden" und arbeitete auch in Mannheim, Istanbul, Shanghai, Teheran und New York jeweils drei Tage am Stück. Bis kurz vorm Nervenzusammenbruch:
"Irgendwann tun dir einfach die Füße weh. Und du hast keinen Bock, weil du abgenervt bist. Und ich schrei dann wirklich mit mir rum. Ich habe wirklich im Central Park gehockt und habe rumgeschrien: 'Du Idiot! Warum nennst Du das Ding <72 Stunden>?! Warum kannst Du es nicht <12 Stunden> nennen?!'"
Das 72-Stunden-Projekt war sein Durchbruch. Mit dem Fotoapparat hat er den türkischen Comedian Bülent Ceylan auf seiner Tour begleitet. Er hat einige Bands in seiner Wahlheimat Mannheim für ihr CD-Cover porträtiert und einen Film über das Tanzen gedreht. Heute kann Toscano, der mit einer Journalistin zusammen ist, sein Glück kaum fassen. Er hat, erzählt er, während er sich eine neue Zigarette dreht, die richtigen Leute im richtigen Moment kennen gelernt:
"Weil sonst wäre ich weg vom Fenster: entweder wäre ich im Knast oder würde irgendwo auf dem Friedhof liegen."