Vom Teufel geritten

Von Joachim Walther |
Die Brandenburger SPD ist wild entschlossen, die SED-Nachfolgepartei an die Teilhabe der Macht zu hieven. Doch statt nach dem bundesweiten Stimmenverlust die Flucht nach vorn anzutreten, sollten sich die Sozialdemokraten auf die wohlbegründete Differenz zu den Kommunisten besinnen.
Es droht Rot-Rot im Lande Brandenburg. Fatalerweise leb ich da, und die Perspektive ist mehr als unerfreulich. Vor 20 Jahren hielt ich es für völlig ausgeschlossen, jemals wieder von den Nachfahren der Einheitspartei regiert oder mitregiert zu werden. Für mich, für viele, die diesen Staat als Diktatur erlebt haben und auch heute so bezeichnen, war und bleibt das der demokratische Lackmustest. Nun ist das Papier im Reagenzglas Brandenburg wieder rot, dunkelrot.

Ministerpräsident Platzeck und die Brandenburger SPD sind wild entschlossen, die SED-Nachfolgepartei an die Teilhabe der Macht zu hieven. Der Teufel, der sie dabei reitet, ist der bundesweite Stimmen- und Bedeutungsverlust der SPD, den die sozialdemokratischen Linken stoppen möchten durch ein Kuschelvorspiel und eine schlussendliche Vereinigung mit der postkommunistischen Linken. Statt panisch die Flucht nach vorn anzutreten, sollten sich die Sozialdemokraten auf die inhaltlich wie historisch wohlbegründete Differenz zu den Kommunisten besinnen, haben sie doch ihre Erfahrungen mit denen gemacht: in der Weimarer Republik, bei der Zwangsvereinigung, den Verfolgungen danach, der Demontage Willy Brandts, um nur einiges zu nennen. Alles vergessen und vergeben?

Vergessen auch die Vorgänge nach der deutschen Einheit: das trickreiche Mauscheln mit dem SED-Vermögen, der hinhaltende Widerstand gegen die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur, der Stimmenfang mit populistischem Schalmeienspiel und all die andere unglaubwürdige Anpassungsakrobatik?

Vergessen, wer da in Brandenburg zur Machtteilhabe drängt? Der taktische Verzicht der singenden Prinzipalin Kerstin Kaiser auf ein Ministeramt ist so durchsichtig wie peinlich, wenngleich der Grund wenig überraschend ist: Auch sie diente der Staatssicherheit einst als Spitzel. Die anderen inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter an der Linkenspitze scheinen da nicht mehr zu zählen: der Landesvorsitzende Thomas Nord, die Landtagsabgeordneten Henschke und Scharfenberg und so weiter.

Auch dass die Mehrheit der linken Landtagsfraktion selbstverständlich früher schon Genosse war, stört nicht. Jedenfalls nicht im Lande Brandenburg, das der vormalige Ministerpräsident und einst als IM "Sekretär" geführte Manfred Stolpe launisch als "kleine DDR" bezeichnete. So ganz daneben lag und liegt er dabei nicht. Nach 15 Jahren Brandenburg-Erfahrung habe ich den Eindruck, nirgendwo sonst in Deutschland geht es derart ideologisch zu, nirgendwo sonst ist die Stimmung so politisch polarisiert, nirgendwo sonst gefällt man sich so in Geschichtsvergessenheit und nostalgischer Rückwendung, nirgendwo sonst wird die Demokratie so massiv geschmäht und die gewonnene Freiheit verschmäht wie hier.

Und nicht zufällig installierte Brandenburg als letztes neues Bundesland einen Stasi-Beauftragten. Neulich sagte eine Buchhändlerin eine vereinbarte Lesung mit der Begründung ab, sie wolle keinen Ärger bekommen mit ihrer Hauptkundschaft. So weit sind wir gekommen. Stolpes langer Schlagschatten liegt noch immer über dem Land. Der gegenwärtige und zukünftige Ministerpräsident ist dessen politischer Ziehsohn, hielt ihm die Hand in schweren Tagen und meint nun, auch der Linken die Hand reichen zu müssen.

Die zwei Hände im Emblem, das kennen wir schon. Und falls es an einem Parteinamen für die finale Fusion mangelt, so habe ich einen politisch probaten Vorschlag parat. Wie wäre es denn mit: Sozialistische Einheitspartei Deutschland? Kurz und bündig: SED.

Joachim Walther, geboren 1943 in Chemnitz (Sachsen), studierte an der Humboldt-Universität Berlin Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Er war seit 1968 beim Ost-Berliner Buchverlag "Der Morgen" als Lektor und Herausgeber tätig und arbeitetet für die Wochenzeitschrift "Die Weltbühne"; später dann als Redakteur für die Literaturzeitschrift "Temperamente". Seit 1983 ist Walther als freiberuflicher Schriftsteller tätig. In seinen Werken setzte er sich immer wieder mit Fragen auseinander, die das starre DDR-Regime für ihn aufwarf. Werke u.a. "Risse im Eis" (1989), "Protokoll eines Tribunals" (1991), "Verlassenes Ufer" (1994) und "Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der DDR" (1996).