Vom Stromimporteur zum reichen Land am Hindukusch?

Von Sabina Matthay · 15.12.2011
Gold und Kupfer, Lithium und Kohle könnten Afghanistan reich machen - doch erst dann, wenn die Vetternwirtschaft ausgerottet ist, genügend Ingenieure ausgebildet sind und das Land sich selbst verteidigen kann. Bisher ist Afghanistan auf den Import von Strom und Zement angewiesen.
Mitten in der Steppe von Jawsjan ein surrealer Anblick: ein rostiger Bohrarm ragt aus der kargen Ebene, montiert auf einen alten Laster, betrieben von einer Handvoll Techniker.

Es ist die erste neue Gaserkundung in der nordafghanischen Provinz, die einheimische Ingenieure ohne ausländische Hilfe bewältigt haben.

Mit dem Gas, das hier gefördert wird, verdient der Staat jeden Tag 385.000 Afghani, erzählt Bohrmeister Ramazan stolz. - Das sind nicht mal 6.000 Euro. Aber viel Geld für einen Mann, der nach fast fünfzig Jahren beim staatlichen afghanischen Gasunternehmen gerade mal 150 Euro im Monat verdient.

Für harte Arbeit unter widrigen Bedingungen: Dem eisigen Wind, der unerbittlich über die Ebene zieht, trotzen der Bohrmeister und seine Kollegen mit Anoraks ohne Futter, einige haben sich Plastiksäcke gegen den Schneeregen umgeknotet. Statt Schutzhelmen tragen sie Tücher um den Kopf. Nicht mal einen Unterstand gibt es, in dem die Männer Schutz und Wärme finden könnten. Doch verzagt sind sie nicht:

Unsere Arbeit ist wichtig, sagt der knorrige Ramazan und seine Kollegen nicken. Mit dem Gas, das hier gefördert wird, wird eine Düngerfabrik betrieben. Ohne die hier gewonnene Energie hätte sie längst schließen müssen, wären mehrere tausend Menschen arbeitslos in einem Land, in dem offiziell mehr als ein Drittel der Erwerbsfähigen keinen bezahlten Job haben und die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte.
In Nordafghanistan werden große Vorkommen von Kohle, Öl und Gas vermutet. 500 Lagerstätten soll es geben. Einige wurden schon früher entdeckt und ausgebeutet.

Sali Mohammad Fazli, der Regionalchef des staatlichen Energieversorgers Afghan Gas, führt durch eine verlassene Gas-Aufbereitungsanlage; es sind Bauten der Sowjets, die die Erschließung der Rohstoffvorkommen im Norden des Landes während der Besatzung in den 80er Jahren in großem Stil vorantrieben. Gasexporte in die UdSSR brachten damals Geld nach Afghanistan.

"Die vier Gasfelder, die die Sowjets hier in Jawsjan vor vierzig Jahren entdeckt hatten, gehen jetzt zur Neige. Wir haben aber fünf neue Lagerstätten ausgemacht."

Doch mangelt es den Afghanen an moderner Technologie und vor allem an Kapital, um die Rohstoffe auszubeuten und die nötige Infrastruktur aufzubauen.

Deshalb will die afghanische Regierung die neu entdeckten Gasfelder nun zur Erschließung durch internationale Unternehmen ausschreiben.

Auch wir brauchen das Gas dringend, wir importieren ja sogar, weil es für uns nicht reicht, sagt ein Restaurantbesitzer in Sheberghan. Die Gasheizungen in der Provinzhauptstadt von Jawsjan funktionieren nur stundenweise, das Gas selbst ist oft von schlechter Qualität. Auch Nazer Rahimi, der Leiter der Öl- und Gasbehörde in der Nordregion, knüpft Hoffnungen an die Ausbeutung der hiesigen Vorkommen:

"In Sheberghan wollen wir in den nächsten fünf Jahren ein Gasturbinenkraftwerk mit 400 Megawatt Leistung bauen. In Mazar e-Sharif, der Hauptstadt der Nachbarprovinz, soll ein Kraftwerk mit 200 Megawatt Leistung entstehen. Dann wären wir im Norden Selbstversorger."

Bisher importiert Afghanistan Strom aus den Nachbarländern. Trotzdem gehören Ausfälle zum Alltag.

Vom Einstieg ausländischer Investoren in die Erschließung von Rohstoffen erhoffen sich die Menschen in Jawsjan Licht und Wärme rund um die Uhr. Darüber hinaus soll die Privatisierung des staatlichen Energieversorgers auch Arbeitsplätze und Wohlstand bringen.

"Wer hier investieren will, der ist auf Fachleute angewiesen. Also auf qualifizierte Ingenieure wie mich."

Als Regionalchef des staatlichen Unternehmens verdient er 500 Dollar, der Wechsel in die Privatwirtschaft könnte ihm leicht 10.000 Dollar im Monat einbringen, glaubt Mohammed Fazli von Afghan Gas.

Mehr als der Hälfte der Belegschaft droht seiner Einschätzung zufolge dagegen die Arbeitslosigkeit, weil sie nach veralteten Methoden arbeitet.

Männer wie Ramazan und seine Kollegen. Doch der Bohrmeister draußen in der Steppe von Jawzjan ist nicht ängstlich: Die Unternehmen werden uns brauchen, davon ist auch er überzeugt.

"Wir sind doch Profis, wir kennen die Gegend. Und mit neuen Maschinen könnten wir noch besser arbeiten."

Der deutsche Geologe Joe Seegers, der den Afghanischen Geologischen Dienst berät, warnt jedoch vor überzogenem Optimismus:

"Öl- und Gasvorkommen liefern an sich weniger Arbeitsplätze als die im Metallbergbau."

Nazer Rahimi von der Öl- und Gasbehörde verweist auf die Schwierigkeiten des Umfelds:

"Big Problem! 2009 sollte ein türkisches Unternehmen in Auftrag des amerikanischen Entwicklungsdienstes USAID die Wirtschaftlichkeit eines Gaskraftwerks in Jawsjan untersuchen. Doch die Analyse wurde nie fertig gestellt. Wegen Schwierigkeiten mit dem afghanischen Zoll und aus Sicherheitsbedenken."

Ohne Sicherheit keine Arbeit, gibt Nazer Rahimi zu Bedenken.

Aufstand und Kriminalität sind nicht die einzigen Nachteile des Investitionsstandorts Afghanistan: Korruption und Vetternwirtschaft, mangelnde Rechtssicherheit und ein inadäquates Transportnetz kommen hinzu. Bergbauminister Wahidullah Shahrani bemüht sich immer wieder, solche Bedenken zu zerstreuen.

Offenbar mit Erfolg. Anfang Dezember erhielt ein indisches Konsortium den Zuschlag für die Erkundung des möglicherweise größten afghanischen Kohlefeldes in Hajigak. Bereits 2007 erwarb ein chinesischer Konzern die Abbaurechte für die Kupfermine Mes Aynak nahe Kabul. Gerade hat die afghanische Regierung die Erschließung von weiteren Gold- und Kupferminen ausgeschrieben.

Ein bis drei Billionen Dollar seien Afghanistans Bodenschätze wert, verkündete Bergbauminister Shahrani vor einer Investorenkonferenz im letzten Jahr und bestätigte damit Jubelmeldungen amerikanischer Medien.

Fachleute lasen die Berichte mit Erstaunen: bis heute gibt es keine seriösen Erkundungsdaten, sind die wenigsten Lagerstätten untersucht und bewertet.

Joe Seegers, seit vier Jahren in Afghanistan, rät deshalb zu Zurückhaltung:

"Wir schlagen dem Ministerium vor, eine vorsichtigere Schätzung anzugehen."

Zwar sind nach Einschätzung des deutschen Mineralogen tatsächlich große Funde zu erwarten, doch müssten enorme Arbeiten vorgenommen werden, sind beträchtliche Investitionen nötig, um diese Vorkommen zu bestätigen und auszubeuten.

Doch die Erschließung drängt und damit auch die Suche nach Investoren. Denn Afghanistans Wirtschaft ist fast völlig abhängig vom ausländischen Militär und von internationalen Organisationen. Der Abzug der Kampftruppen 2014 und die zu erwartende Reduzierung von Hilfsprojekten dürfte nicht nur Bau- und Transportfirmen schwer treffen. Der Wirtschaftskollaps droht. Das Land braucht also dringend eine Alternative: Bodenschätze und Rohstoffe bieten sich an.
Das Bergbauministerium wirbt vor allem mit schlagzeilenträchtigen Großprojekten. Deutlich mehr Arbeitsplätze in kürzerer Zeit versprechen dagegen kleine und mittlere Minen.

Vor allem für jene Rohstoffe, die für die Baumaterialien nötig sind, die Afghanistan bisher überwiegend einführt, meint Joe Seegers:

"Typische Messlatte für die Entwicklung eines Landes - wie viel Zement wird hergestellt."

Auch auf dieser Skala rangiert Afghanistan ganz unten. Fast der gesamte Zementbedarf wird importiert. Obwohl das Land über die Mineralien für die Produktion des Baustoffs verfügt. Trotz eines Baubooms, der jedes Jahr 6 Millionen Tonnen Zement frisst.

"Rund 15.000 Tonnen Zement werden hier täglich verbraucht. Aber wir decken nicht mal ein Prozent davon!"

Der Inder Shiv Shankar Sharma ist Finanzchef der Afghanistan Investment Company AIC, die in der nordafghanischen Provinz Baghlan das Werk Ghori betreibt.

2006 wurde die Fabrik mit den dazugehörenden Steinbrüchen und Kohleminen privatisiert. Da war die Marke längst ein Begriff: mit Ghori-Zement bauten die Sowjets einst den Salangtunnel durch den Hindukusch.

Die Gesellschafter hatten beste Verbindungen zu den größten Banken und Unternehmen Afghanistans, waren vernetzt bis an die Spitze der Regierung: Präsidentenbruder Machmood Karzai gehört zu den ursprünglich 34 Teilhabern, ebenso der damalige Chef der Kabul-Bank und viele potente Unternehmer.

"Vor sechs Jahren tat sich hier überhaupt nichts, jetzt berappeln wir uns"

,sagt ein Ingenieur bei der Führung über das Werksgelände in Pule Khumri. Doch die Zahlen sprechen gegen diese optimistische Schilderung: Ghori produziert nicht mal ein Fünfundzwanzigstel der Menge, zu der AIC sich 2006 verpflichtet hatte.

Finanzchef Sharma muss nach eigenen Worten am Ende eines jeden Monats alle Reserven zusammenkratzen um, Löhne und Gehälter und sonstige Verbindlichkeiten des Unternehmens zu begleichen.

Er macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung:

"Ghori könnte eines der ertragreichsten Unternehmen sein, die ich je gesehen haben, wenn wir nur unsere Produktionskapazität ausschöpfen könnten!"
Geschäftsführer Mirwais Siddik macht die Konkurrenz verantwortlich:

"Das Problem ist Pakistan: Deren Exporte werden subventioniert, die Firmen können deutlich bessere Konditionen bieten. Das ist dumping."

Importzölle könnten dem Absatz von Ghori-Zement aufhelfen, glaubt Siddik. Doch das geht am Problem vorbei: Die Anlage ist veraltet und baufällig, auch die Kohleminen müssten modernisiert werden, um genug Brennstoff für das Werk zu liefern.

Für Abdul Khaleq, den Chef der Kohlebehörde in Pule Khumri, ist die Privatisierung von Ghori längst gescheitert: 2009 hätten die vier Minen des Betriebs eine Million Tonnen Kohle pro Jahr fördern sollen, noch heute sind es nicht mal 30.000 Tonnen, sagt Khaleq.

"Die Anteilseigner haben einfach nicht genug in die Modernisierung der Anlagen investiert."

Nur 45 Millionen Dollar Anfangskapital hatten die Investoren zusammengelegt. Dabei wussten sie von einer Machbarkeitsanalyse, der zufolge rund eine halbe Milliarde Dollar für eine umfassende Modernisierung nötig sind. Ohne Modernisierung keine Rentabilität. Präsident Karzai genehmigte den Verkauf an das Konsortium trotzdem.

Damit das Unternehmen langfristig schwarze Zahlen schreibt, damit die rund 1000 Arbeitsplätze gesichert sind, sollen nun kapitalkräftige ausländische Investoren einspringen. Bisher war die Suche allerdings erfolglos.

Warum die afghanischen Gesellschafter, darunter einige der reichsten Männer des Landes, das nötige Geld nicht selbst aufbringen - Finanzchef Sharma zuckt mit den Schultern:

"Die Antwort darauf muss ich schuldig bleiben. Es ist einfach unlogisch."

Abdul Khaleq, der Chef der Kohlebehörde in Pule Khumri, glaubt die Antwort dagegen zu kennen: Die AIC-Gesellschafter hätten, typisch afghanisch, kurzfristig gedacht.

"Die haben vor allem in Sektoren investiert, wo sie schnellere Gewinne vermuteten."

In Immobilien in Dubai etwa, bevor der Markt zusammenbrach. Die Kabul Bank, an der die meisten AIC-Gesellschafter ebenfalls beteiligt waren, geriet auch wegen solcher Spekulationen in Schwierigkeiten.

Afghanistans Rohstoffvorkommen allein sind also keine Garantie für wirtschaftliche Unabhängigkeit, gar weit verbreiteten Wohlstand.

Gold und Kupfer, Lithium und Kohle, Pottasche und Kies können das Land am Hindukusch erst auf lange Sicht reich machen. Erst wenn die Vetternwirtschaft ausgerottet ist und genügend Ingenieure ausgebildet sind. Und wenn Afghanistan sich nach dem Abzug der internationalen Schutztruppe selbst verteidigen kann. So bleibt Afghanistan ein Investitionsstandort mit vielen Fragezeichen.