Vom Sponti zum Nazi
Vom SDS über die RAF in die NPD - Horst Mahler wechselte von einem politischen Extrem ins andere. Andere 68er-Aktivisten gingen ähnliche Wege. Anhand dieser Lebensläufe untersucht der Historiker Manuel Seitenbecher, wie viel rechtes Gedankengut in der sich als "links" verstehenden 68er-Bewegung steckte.
Eine Karriere quer durch das politische Spektrum der Bundesrepublik: Von der Burschenschaft in den 50er Jahren in die SPD, zum SDS, 1970 Gründungsfigur der RAF, von dort in die KPD, Annäherung an die FDP, die Grünen um dann schließlich kurzzeitig in die NPD einzutreten. Aber auch dort schert er rechts aus – inzwischen sitzt er wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung im Gefängnis. Die Rede ist vom Anwalt Horst Mahler, der einstigen Ikone der 68er-Bewegung, heute strammer Rechtsradikaler.
Auch Mahlers ehemaliger Berliner SDS-Kollege Bernd Rabehl scheint rechts angekommen zu sein. Im Jahr 1998 hielt er bei der Münchner Burschenschaft Danubia, die als rechtsradikal eingestuft wird, eine Rede, in der er die Aktivitäten von sich und seinem engen Vertrauten Rudi Dutschke um das Jahr 1968 als "nationalrevolutionär" bezeichnete. Auch von "Überfremdung" in Deutschland sprach er.
Es sind Lebenswege wie diese, die den Historiker Manuel Seitenbecher die Frage stellen lässt: Wie viel "rechts" steckte in der Bewegung von 1968, die ja immer als "links" wahrgenommen wird?
Eine wichtige Frage: Schließlich wurde auch von den Studenten 1968 heftig gegen Fremdherrschaft, gegen einen amerikanischen Imperialismus gewettert. Themen die auch auf der politischen Rechten anschlussfähig sind. Und nicht zu vergessen: 1969, am Jahrestag der Reichspogromnacht, ein nur knapp gescheiterter Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus - inklusive eines antisemitischen Bekennerschreibens – aus dem linken APO-Milieu.
Klären möchte Seitenbecher die Frage anhand der Biographien von mehreren 68er-Aktivisten, die sich, so Seitenbecher, auf der politischen Skala nach rechts bewegt haben. Dazu zählt er neben Horst Mahler und Bernd Rabehl etwa auch den ehemaligen Hamburger SDSler Reinhold Oberlercher. Und auch Rudi Dutschke schaut er sich näher an, da die "Deutsche Frage", die deutsche Teilung, ein zentrales Thema seiner Überlegungen war, so Seitenbecher.
Tatsächlich es gibt einiges freizuschaufeln, das zeigt Seitenbecher: Wie etwa die Studenten von 1968 den Topos der "Fremdherrschaft" über den Umweg der Befreiungsbewegungen und den Anti-Imperialismus in der "Dritten Welt" auf Deutschland übertragen und gegen die USA wenden. Die Unsensibilität, mit der sich die Aktivisten als "neue Juden" stilisierten, verfolgt von einem faschistischen Staat. Überhaupt der in der Zeit omnipräsente Faschismusvorwurf, der, so urteilt Seitenbecher treffend, zum Werturteil verkam. Eine wirkliche ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gab es nicht, Faschismus diente vor allem zur Delegitimierung des Jetzt.
Dennoch scheitert Seitenbecher mit seinem Versuch. Das liegt vornehmlich an seiner Grundlage – der Extremismustheorie. Letztendlich will er zeigen, dass "links" oder "rechts" am Ende, an den äußeren Enden nämlich, doch alle eins sind. Die Infragestellung und Ablehnung des "Status Quo" der Gesellschaft, für Seitenbecher ist es immer "Ideologie". Nur wenn sich einer der Aktivisten der politischen Mitte annähert, spricht er nicht mehr von "Ideologie".
Stets radikale Positionen als "Ideologie" zu bezeichnen und den Mainstream und die politische Mitte als legitim gelten zu lassen, ist analytisch kurzsichtig und voreingenommen. Das Problem dabei: Ideologie ist ein unwissenschaftlicher Kampfbegriff, der negativ wertet, eigentlich nur eine etwas schönere Formulierung für "gefährlicher Irrglaube", zur trennscharfen Analyse taugt er nicht.
Um sich das Denken der Aktivisten mit Erkenntnisgewinn anzuschauen, wäre es besser, wertfrei von "Weltbild" oder "Ideengerüst" zu sprechen. Auch ist Seitenbecher ständig bemüht um Kategorien. Ist diese oder jene Position nun "links" oder "rechts" und wenn ja, so radikal, dass schon "extremistisch"?
Da bleibt der wirkliche Erkenntnisgewinn hinter zufallenden Schubladen zurück.
In der Analyse der Flugblätter, Pamphlete und theoretischen Schriften seiner Protagonisten folgt er zu stark den oberflächlichen Argumentationsketten, ohne in die Tiefe einzudringen. Er ordnet nicht selbstständig, liest nicht quer, sondern folgt häufig recht einfach den zeitgenössischen Debatten, folgt der Selbstverortung der Aktivisten im politischen Spektrum. Wenn Bezug auf "linke" Theoretiker genommen wird, ob Mao oder Marx, Luxemburg oder Lenin, dann ist das für Seitenbecher auch mehrmals der Beweis, dass die ausgeführten Gedanken nicht "rechts" sind. Damit macht er es sich zu einfach.
Er reagiert eher auf Signalwörter, arbeitet keine Gedankenfiguren heraus. Vor allem referiert er nur seitenweise, durchaus kenntnisreich und detailliert, die Positionen in den unterschiedlichen Lebensabschnitten. So bleibt wenig neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnis übrig.
Dass der inzwischen stramm rechte Horst Mahler in den 80er-Jahren als Musterbeispiel eines geläuterten und "staatsloyalen" Ex-Terroristen galt, wie Seitenbecher schreibt, nur weil er eben mal nicht den bundesrepublikanischen Status Quo in Frage stellte, hätte ein Hinweis für den Autor sein können, seine extremismustheoretischen Ansätze zu hinterfragen.
Besprochen von Philipp Schnee
Auch Mahlers ehemaliger Berliner SDS-Kollege Bernd Rabehl scheint rechts angekommen zu sein. Im Jahr 1998 hielt er bei der Münchner Burschenschaft Danubia, die als rechtsradikal eingestuft wird, eine Rede, in der er die Aktivitäten von sich und seinem engen Vertrauten Rudi Dutschke um das Jahr 1968 als "nationalrevolutionär" bezeichnete. Auch von "Überfremdung" in Deutschland sprach er.
Es sind Lebenswege wie diese, die den Historiker Manuel Seitenbecher die Frage stellen lässt: Wie viel "rechts" steckte in der Bewegung von 1968, die ja immer als "links" wahrgenommen wird?
Eine wichtige Frage: Schließlich wurde auch von den Studenten 1968 heftig gegen Fremdherrschaft, gegen einen amerikanischen Imperialismus gewettert. Themen die auch auf der politischen Rechten anschlussfähig sind. Und nicht zu vergessen: 1969, am Jahrestag der Reichspogromnacht, ein nur knapp gescheiterter Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus - inklusive eines antisemitischen Bekennerschreibens – aus dem linken APO-Milieu.
Klären möchte Seitenbecher die Frage anhand der Biographien von mehreren 68er-Aktivisten, die sich, so Seitenbecher, auf der politischen Skala nach rechts bewegt haben. Dazu zählt er neben Horst Mahler und Bernd Rabehl etwa auch den ehemaligen Hamburger SDSler Reinhold Oberlercher. Und auch Rudi Dutschke schaut er sich näher an, da die "Deutsche Frage", die deutsche Teilung, ein zentrales Thema seiner Überlegungen war, so Seitenbecher.
Tatsächlich es gibt einiges freizuschaufeln, das zeigt Seitenbecher: Wie etwa die Studenten von 1968 den Topos der "Fremdherrschaft" über den Umweg der Befreiungsbewegungen und den Anti-Imperialismus in der "Dritten Welt" auf Deutschland übertragen und gegen die USA wenden. Die Unsensibilität, mit der sich die Aktivisten als "neue Juden" stilisierten, verfolgt von einem faschistischen Staat. Überhaupt der in der Zeit omnipräsente Faschismusvorwurf, der, so urteilt Seitenbecher treffend, zum Werturteil verkam. Eine wirkliche ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gab es nicht, Faschismus diente vor allem zur Delegitimierung des Jetzt.
Dennoch scheitert Seitenbecher mit seinem Versuch. Das liegt vornehmlich an seiner Grundlage – der Extremismustheorie. Letztendlich will er zeigen, dass "links" oder "rechts" am Ende, an den äußeren Enden nämlich, doch alle eins sind. Die Infragestellung und Ablehnung des "Status Quo" der Gesellschaft, für Seitenbecher ist es immer "Ideologie". Nur wenn sich einer der Aktivisten der politischen Mitte annähert, spricht er nicht mehr von "Ideologie".
Stets radikale Positionen als "Ideologie" zu bezeichnen und den Mainstream und die politische Mitte als legitim gelten zu lassen, ist analytisch kurzsichtig und voreingenommen. Das Problem dabei: Ideologie ist ein unwissenschaftlicher Kampfbegriff, der negativ wertet, eigentlich nur eine etwas schönere Formulierung für "gefährlicher Irrglaube", zur trennscharfen Analyse taugt er nicht.
Um sich das Denken der Aktivisten mit Erkenntnisgewinn anzuschauen, wäre es besser, wertfrei von "Weltbild" oder "Ideengerüst" zu sprechen. Auch ist Seitenbecher ständig bemüht um Kategorien. Ist diese oder jene Position nun "links" oder "rechts" und wenn ja, so radikal, dass schon "extremistisch"?
Da bleibt der wirkliche Erkenntnisgewinn hinter zufallenden Schubladen zurück.
In der Analyse der Flugblätter, Pamphlete und theoretischen Schriften seiner Protagonisten folgt er zu stark den oberflächlichen Argumentationsketten, ohne in die Tiefe einzudringen. Er ordnet nicht selbstständig, liest nicht quer, sondern folgt häufig recht einfach den zeitgenössischen Debatten, folgt der Selbstverortung der Aktivisten im politischen Spektrum. Wenn Bezug auf "linke" Theoretiker genommen wird, ob Mao oder Marx, Luxemburg oder Lenin, dann ist das für Seitenbecher auch mehrmals der Beweis, dass die ausgeführten Gedanken nicht "rechts" sind. Damit macht er es sich zu einfach.
Er reagiert eher auf Signalwörter, arbeitet keine Gedankenfiguren heraus. Vor allem referiert er nur seitenweise, durchaus kenntnisreich und detailliert, die Positionen in den unterschiedlichen Lebensabschnitten. So bleibt wenig neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnis übrig.
Dass der inzwischen stramm rechte Horst Mahler in den 80er-Jahren als Musterbeispiel eines geläuterten und "staatsloyalen" Ex-Terroristen galt, wie Seitenbecher schreibt, nur weil er eben mal nicht den bundesrepublikanischen Status Quo in Frage stellte, hätte ein Hinweis für den Autor sein können, seine extremismustheoretischen Ansätze zu hinterfragen.
Besprochen von Philipp Schnee
Manuel Seitenbecher: Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?
Ferdinand Schöningh-Verlag, Paderborn 2013.
557 Seiten, 39,90 Euro
Ferdinand Schöningh-Verlag, Paderborn 2013.
557 Seiten, 39,90 Euro
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