Vom "Sparen" und anderen destruktiven Freuden

Von Burkhard Müller-Ullrich |
Der neue Chef des ESM überwacht Milliardensummen, vergibt gigantische Kredite und soll gleichzeitig auf Sparsamkeit dringen. Beim Sparen geht es aber heute eigentlich nur darum, zu kürzen, was geht. Wie das kam, weiß Burkhard Müller-Ullrich.
Seitdem die schwäbische Hausfrau zu einer Figur des politischen Diskurses geworden ist, steht die Welt auf dem Kopf. Denn von Sparsamkeit kann bei unserer und den meisten anderen Regierungen keine Rede sein; der Begriff des Sparens wird durch den vielbeschworenen Sparzwang ins Gegenteil verkehrt. Sparen bedeutet, vorhandene Mittel für später aufheben, nicht darben, weil keine Mittel mehr da sind. Sparen ist eine auf die Zukunft zielende Maßnahme, eine Umverteilung auf der Zeitachse, welche die Wertbeständigkeit des zu Sparenden voraussetzt. Insofern steckt im Sparen ein prinzipielles Grundvertrauen in die Verhältnisse, obwohl das Sparen als Vorsichtsmaßnahme zugleich auch von Misstrauen geprägt ist.

Dieser Widerspruch ist für die Psychologie des Sparens charakteristisch. Einerseits gehört es zur Lebensklugheit, sich nicht völlig zu verausgaben. Andererseits erscheint Sparsamkeit auch als negativer Wesenszug. In der Extremgestalt des Geizigen wird der Sparsame nicht nur in Molières Komödie zum Gespött, sondern auch in der berühmten Bilderzählung aus Entenhausen.

Freud sah im Geiz eine Art seelischer Darmstörung, eine neurotische Verstopfung, da Geld psychoanalytisch mit Kot zu verbinden sei. Wer spart, ist also analfixiert. Die Vorstellung vom dreckigen Geld findet sich tatsächlich überall: man wäscht sich übertrieben die Hände, wenn man Banknoten oder Münzen angefasst hat; man spricht von "stinkreich", man sagt "ein Geschäft erledigen", und es heißt, dass der Teufel auf den größten Haufen scheißt.

Vor allem verbindet man das Sparen symbolisch mit dem Schwein, jenem unreinen Tier, das nicht nur den Muslimen ein besonderer Gräuel ist. Viele Banken haben deshalb aufgehört, Sparschweine auszugeben.

Das Bild des Schweins in dem Zusammenhang hat eine lange Tradition. Schon im späten Mittelalter gab es dieses tierische Symbol für die Umwandlung von Resten in zusätzliche Werte, nämlich Ferkel, beziehungsweise Zinsen. Letztere sind natürlich das Ziel aller Sparanstrengungen schlechthin: Sie sind die Belohnung für den Triebverzicht, der Ausgleich für die entgangene Befriedigung der Kauflust.

Ohne den kapitalistischen Grundbaustein der Verzinsung würde sich niemand veranlasst fühlen, eine Geldausgabe freiwillig aufzuschieben und den Betrag eben zu sparen. Das ist eine beachtliche Kulturleistung, die auf einer bestimmten Genuss-Strategie - nach der Devise "je später, desto mehr" - beruht.

Schon Kinder heben sich manchmal vom Essensteller das, was sie am liebsten mögen, bis zum Ende auf. Dieser Gedanke der Genusserhöhung durch Verzögerung ist weitverbreitet und wirkt bis in religiöse Paradiesvorstellungen hinein. Offenbar liegt darin auch eine Art Selbstrepräsentation menschlicher Vernunft; durch Verschiebung des Genusses auf später beglückt man sich mit dem Beweis der Zeitsouveränität. So wird das Sparen zu einer geradezu metaphysischen Anstrengung und zu einem Inbegriff der Conditio Humana: Der Mensch ist das Wesen, das spart.

Im Diesseits unserer Lebenswelt sieht es aber anders aus. Der vertraute muffige Geruch der 60er-Jahre, der dem Ideal der Sparsamkeit anhaftet, hat etwas mit der Kleinteiligkeit der Mini-Sümmchen zu tun, um die es damals ging. Brav legte man ein bisschen auf die Hohe Kante und nannte das "Vermögensbildung". Das Wort war, wie wir später feststellen mussten, Volksbetrug. Denn richtige Vermögen werden nicht erspart. Der Spruch: "Wir haben's vom Behalten" verschleiert bloß, wie viel von Anfang an da war.

Und so erhoben wir uns über die spießigen Sparanstrengungen der kleinen Leute und gaben uns dem Rausch des Konsumierens hin. Euroscheck und Dispokredit traten beflügelnd hinzu. Wir - das waren auch unsere Politiker, der Staat, das ganze System. Auf diese Weise kehrte sich das Sparen um. Jetzt ist die Schuldenlast so drückend, dass Sparen nicht für die Erweiterung von Handlungsoptionen in der Zukunft sorgt, sondern nur noch Züchtigung bedeutet.

Die absolute, unweigerliche Notwendigkeit des Kürzens wirkt allerdings auch als intellektuelles Aufputschmittel. Der Bereich des Denkbaren erweitert sich unter dem Druck der Mittelknappheit ungemein. Es macht sich sogar eine Art nihilistischer Fröhlichkeit breit, denn - wie Walter Benjamin so schön über den "destruktiven Charakter" schrieb - "Zerstören heitert auf."

Burkhard Müller-Ullrich, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie. Schreibt für alle deutschsprachigen Rundfunkanstalten und viele Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er war Redakteur beim Abendstudio des Schweizer Radios, beim Schweizer Buchmagazin "Bücherpick" und Leiter der Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk. Mitglied der Autorengruppe "Achse des Guten", deren Website www.achgut.de laufend aktuelle Texte publiziert.
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