Vom Sinn der Kreuzigung
War die Kreuzigung Jesu ein blutiger Rechtshandel zur Ehrenrettung Gottes? Ein Opfertod, um die Sünden der Menschheit zu sühnen? Oder gar völlig sinnlos? Es gibt nicht die eine normativ richtige Deutung des Todes Jesu, meint Helmut Fischer in seinem Buch "Musste Jesus für uns sterben?"
"Christ ist erschienen, uns zu versühnen", singen Millionen Deutsche am Weihnachtsfest mit Inbrunst. In dieselbe Richtung zielt die Glaubensformel "Jesus Christus ist für uns und unsere Sünden gestorben". Sie löst bei vielen Menschen Skepsis aus.
Wie kann der historisch verbürgte Kreuzestod des Wanderpredigers aus Nazareth für mich von Relevanz sein? Vor allem: Was hat die Hinrichtung vor den Mauern Jerusalems mit meinem Lebenswandel, mit meinen Sünden zu tun?
In Helmut Fischers Augen steht die nackte Kurzformel "gestorben für uns und unsere Sünden" für einen vielschichtigen Akkord, der im Laufe einer langen Deutungs- und Theologiegeschichte auf- und ausgebaut wurde. Dessen einzelne Stimmen sowie der Generalbass sind "dem Zeitgenossen nicht mehr bekannt".
Am Beginn des achtzig Seiten umfassenden Büchleins mit der Titelfrage "Musste Jesus für uns sterben?" skizziert der Autor zunächst die historischen Fakten rund um Jesu Kreuzigung. Dann beschreibt er kurz die anfangs hoffnungslose Lage der Jünger: Der galiläische Frühling, die begeisternde Jesusbewegung, endete in Jerusalem mit einem Desaster.
Schließlich lassen die Erfahrung des Auferstandenen und die damit einhergehende Verwandlung seiner Anhänger das irdische Leben Jesu sowie dessen Sterben und Tod in einem anderen Licht erscheinen.
Um dieses andere Licht, um die Vielfalt neuer und unterschiedlicher Perspektiven auf Jesu Wirken und Sterben geht es auf den restlichen knapp fünfzig Seiten. Daher der Untertitel "Deutungen des Todes Jesu". Für Paulus und die Evangelisten etwa stand als Verstehenshilfe vor allem die Bibel zur Verfügung, sprich: das Welt- und Menschenverständnis des Alten Testaments.
Zwei Beispiele: Die Erzählung vom Pascha-Lamm, dessen Schlachtung und Blut die Errettung Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten einleitete, erweist sich für Paulus ebenso als wirkungsvolle Deutungsfolie für Jesu Sterben und Auferstehung wie etwa das vierte Lied vom Gottesknecht im Buch des Propheten Jesaja.
"Das Interpretationsmodell des Sühnetods und der Opferung war für jüdisches Denken ebenso plausibel wie für Menschen, denen die griechischen Opfermythen und die Mysterienkulte der hellenistischen Welt vertraut waren."
Je nach Adressaten der Verkündigung gilt es eine entsprechende Sprache zu finden, Analogien, Metaphern und Symbole. Im Denkrahmen der germanischen Rechtsordnung etwa ist die Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury durchaus plausibel: Durch seinen Tod leistet Jesus die stellvertretende juristische Wiedergutmachung der verletzten Ehre Gottes. Jesu Tod als blutiger Rechtshandel. Mit dieser Deutung geht zugleich ein verhängnisvoller, "qualitativer Sprung von der symbolischen Sprache zur Faktensprache" einher.
Helmut Fischer, lange Zeit in der Pfarrer- und Lehrerausbildung tätig, legt ein gut lesbares Buch vor, das dank kurzer, prägnanter und anschaulicher Ausführungen den vielstimmigen Akkord zum Klingen bringt, der hinter der Kurzformel "gestorben für uns und unsere Sünden" verstummt ist. Er schult das Gehör, damit es ein Mehr an Klängen und Nuancen wahrnehmen kann - sei es im Tonsatz, sei es in der musikalischen Interpretation.
Dabei kommen auch Deutungen des Todes Jesu zum Zuge, die nicht im jüdisch-hellenistischen Sühneopfer-Denken befangen sind. Fischer verweist hier vor allem auf das Johannes-Evangelium. Denn schon innerhalb der ersten Christengenerationen gab es nicht die normativ richtige Deutung des Todes Jesu.
"Legitim und angemessen ist jede Deutung des Todes Jesu, die im Einklang mit jener unbedingten Liebe Gottes steht, die uns in Jesus als menschliche Lebenswirklichkeit begegnet, und die uns - sofern wir uns ihr öffnen - den Horizont für ein neues Menschsein und Leben aufschließt."
Rezensiert von Thomas Kroll
Helmut Fischer: Musste Jesus für uns sterben?
Deutungen des Todes Jesu
Theologischer Verlag, Zürich 2008
78 Seiten, 9,80 Euro
Wie kann der historisch verbürgte Kreuzestod des Wanderpredigers aus Nazareth für mich von Relevanz sein? Vor allem: Was hat die Hinrichtung vor den Mauern Jerusalems mit meinem Lebenswandel, mit meinen Sünden zu tun?
In Helmut Fischers Augen steht die nackte Kurzformel "gestorben für uns und unsere Sünden" für einen vielschichtigen Akkord, der im Laufe einer langen Deutungs- und Theologiegeschichte auf- und ausgebaut wurde. Dessen einzelne Stimmen sowie der Generalbass sind "dem Zeitgenossen nicht mehr bekannt".
Am Beginn des achtzig Seiten umfassenden Büchleins mit der Titelfrage "Musste Jesus für uns sterben?" skizziert der Autor zunächst die historischen Fakten rund um Jesu Kreuzigung. Dann beschreibt er kurz die anfangs hoffnungslose Lage der Jünger: Der galiläische Frühling, die begeisternde Jesusbewegung, endete in Jerusalem mit einem Desaster.
Schließlich lassen die Erfahrung des Auferstandenen und die damit einhergehende Verwandlung seiner Anhänger das irdische Leben Jesu sowie dessen Sterben und Tod in einem anderen Licht erscheinen.
Um dieses andere Licht, um die Vielfalt neuer und unterschiedlicher Perspektiven auf Jesu Wirken und Sterben geht es auf den restlichen knapp fünfzig Seiten. Daher der Untertitel "Deutungen des Todes Jesu". Für Paulus und die Evangelisten etwa stand als Verstehenshilfe vor allem die Bibel zur Verfügung, sprich: das Welt- und Menschenverständnis des Alten Testaments.
Zwei Beispiele: Die Erzählung vom Pascha-Lamm, dessen Schlachtung und Blut die Errettung Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten einleitete, erweist sich für Paulus ebenso als wirkungsvolle Deutungsfolie für Jesu Sterben und Auferstehung wie etwa das vierte Lied vom Gottesknecht im Buch des Propheten Jesaja.
"Das Interpretationsmodell des Sühnetods und der Opferung war für jüdisches Denken ebenso plausibel wie für Menschen, denen die griechischen Opfermythen und die Mysterienkulte der hellenistischen Welt vertraut waren."
Je nach Adressaten der Verkündigung gilt es eine entsprechende Sprache zu finden, Analogien, Metaphern und Symbole. Im Denkrahmen der germanischen Rechtsordnung etwa ist die Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury durchaus plausibel: Durch seinen Tod leistet Jesus die stellvertretende juristische Wiedergutmachung der verletzten Ehre Gottes. Jesu Tod als blutiger Rechtshandel. Mit dieser Deutung geht zugleich ein verhängnisvoller, "qualitativer Sprung von der symbolischen Sprache zur Faktensprache" einher.
Helmut Fischer, lange Zeit in der Pfarrer- und Lehrerausbildung tätig, legt ein gut lesbares Buch vor, das dank kurzer, prägnanter und anschaulicher Ausführungen den vielstimmigen Akkord zum Klingen bringt, der hinter der Kurzformel "gestorben für uns und unsere Sünden" verstummt ist. Er schult das Gehör, damit es ein Mehr an Klängen und Nuancen wahrnehmen kann - sei es im Tonsatz, sei es in der musikalischen Interpretation.
Dabei kommen auch Deutungen des Todes Jesu zum Zuge, die nicht im jüdisch-hellenistischen Sühneopfer-Denken befangen sind. Fischer verweist hier vor allem auf das Johannes-Evangelium. Denn schon innerhalb der ersten Christengenerationen gab es nicht die normativ richtige Deutung des Todes Jesu.
"Legitim und angemessen ist jede Deutung des Todes Jesu, die im Einklang mit jener unbedingten Liebe Gottes steht, die uns in Jesus als menschliche Lebenswirklichkeit begegnet, und die uns - sofern wir uns ihr öffnen - den Horizont für ein neues Menschsein und Leben aufschließt."
Rezensiert von Thomas Kroll
Helmut Fischer: Musste Jesus für uns sterben?
Deutungen des Todes Jesu
Theologischer Verlag, Zürich 2008
78 Seiten, 9,80 Euro