Vom Reiz der Fremde
Der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom hat sich als Reiseschriftsteller einen Namen gemacht. In Deutschland wurde er mit den "Berliner Notizen" bekannt. Der neue Band bündelt bereits erschienene Texte, die Erlebnisse von Spanien bis Brasilien spiegeln.
Eine Hand, die Zigarre zwischen den Fingern, auf einem aufgeschlagenen Notizbuch. Die Seiten unleserlich beschriftet. Neben den Notizen eine Tasse Kaffee und ein Glas Sherry: Wir sehen den Schriftsteller bei der Arbeit - so, wie es dem Klischee entspricht. Hat der Mann es gut!
Der niederländische Romancier Cees Nooteboom hat sich vor allem als Reiseschriftsteller einen Namen gemacht. In Deutschland wurde er spätestens seit seinen berühmten "Berliner Notizen" zum literarischen Star. Durch einen glücklichen Zufall war Nooteboom mit einem Stipendium zur rechten Zeit am rechten Ort, als die Mauer fiel und das Land die wohl dramatischsten Ereignisse seit Kriegsende durchlebte.
Der neue Band "Die Kunst des Reisens" stellt Texte zusammen, die zumeist schon an anderer Stelle erschienen sind, einige aber finden sich hier zum ersten Mal auf Deutsch. Wir können das Buch also gleichsam als Präsentation eines Lebenswerkes sehen. Mit den üblichen Höhen und Tiefen.
"Der große Journalist Nooteboom", wie er sich selbstironisch nennt, stolpert durch eine brasilianische Elendssiedlung und muss feststellen, dass seine Pariser Hochglanzschuhe fehl am Platz sind. Und das im Jahr 1967, in einer Zeit, die er gern noch mit radikalen politischen Bemerkungen kommentiert.
Auf vielen seiner Reisen wurde Nooteboom von dem Fotografen Eddy Posthuma de Boer begleitet. De Boer ist ein ergreifender Gestalter von Bildern. Ein Foto aus dem vordigitalen Jahr 1967 zeigt den Hafen von Salvador da Bahia. Es könnte ebenso aus dem Jahr 1667 oder 1767 oder 1867 stammen. Segler und Mulis sind die Transportmittel - es gibt keinerlei moderne Technik. Wir sehen die weißen Segel der Lastkähne vor schwarzblauem Himmel. In der Ferne türmt sich eine Wolkenbank auf. Im Vordergrund liegen ein paar Säcke gestapelt, drei gelbe Melonen sind exakt in der Bildmitte platziert. Daneben Menschen von so dunkler Hautfarbe, dass sie sich mit der des Strandes vermischt. Ihre weißen Hemden leuchten vor dem Erdbraun des Strandes wie die Segel vor den dunklen Wolken. Man nimmt es wahr, und plötzlich ist das, was man vor sich sieht, das dramatische Licht- und Farbenspiel eines alten holländischen Meisters. Für solche Aufzeichnungen gibt es – anders als für Texte - kein Verfallsdatum.
Was macht den Charme des Reisens aus?, fragt Nooteboom und antwortet: "Dass sämtliche Erhaltungssysteme, über die man normalerweise verfügt, versagen." Und daraus entstehe ihm ein Gefühl metaphysischer Gelassenheit. Seine Mönchsklause ist das Hotelzimmer, geschwiegen, meint er, wird hier mindestens so viel wie in einem Kloster.
In Spanien reist Cees Nooteboom auf den Spuren von Don Quichotte – und hier – finde ich – liest er sich am schönsten. Es gibt zwar ein kleines, überspintisiertes Gedeutel "hilfreicher Seelen", die die "Ruta de Don Quijote" mit Hinweisschildern ausstatten – das sind, wie man weiß, nicht "hilfreiche Seelen", sondern handfeste Arbeiter des Tourismusministeriums - aber abgesehen von solchen Wolkigkeiten ist dies ein grundehrlicher, intimer Text eines Schriftstellers, der sich über die Jahrhunderte hinweg einem anderen, geliebten, genialen Kollegen zuneigt. Nooteboom besucht die Gefängniszelle, in der Cervantes wegen einer Schuldgeschichte einsaß und wo er das erste Kapitel seines "Don Quichotte" geschrieben haben soll. Nooteboom setzt sich an den kargen Tisch, nimmt die Feder in Hand und denkt sich in die Welt, in der Cervantes Dichtung schuf, die zum Erbe der Menschheit gehört. Und hier erzeugen Literatur und Bild wunderbar stimmig eine Atmosphäre, die die eigentliche Schönheit des Reisens erläutert – so etwas kann niemand zu Hause erleben.
Cees Nooteboom. Die Kunst des Reisens
Aus dem Niederländ. übers. von Helga van Beuningen
Mit Fotografien von Eddy Posthuma de Boer
Verlag Schirmer/Mosel 2005
148 Seiten, 29,80 €
Der niederländische Romancier Cees Nooteboom hat sich vor allem als Reiseschriftsteller einen Namen gemacht. In Deutschland wurde er spätestens seit seinen berühmten "Berliner Notizen" zum literarischen Star. Durch einen glücklichen Zufall war Nooteboom mit einem Stipendium zur rechten Zeit am rechten Ort, als die Mauer fiel und das Land die wohl dramatischsten Ereignisse seit Kriegsende durchlebte.
Der neue Band "Die Kunst des Reisens" stellt Texte zusammen, die zumeist schon an anderer Stelle erschienen sind, einige aber finden sich hier zum ersten Mal auf Deutsch. Wir können das Buch also gleichsam als Präsentation eines Lebenswerkes sehen. Mit den üblichen Höhen und Tiefen.
"Der große Journalist Nooteboom", wie er sich selbstironisch nennt, stolpert durch eine brasilianische Elendssiedlung und muss feststellen, dass seine Pariser Hochglanzschuhe fehl am Platz sind. Und das im Jahr 1967, in einer Zeit, die er gern noch mit radikalen politischen Bemerkungen kommentiert.
Auf vielen seiner Reisen wurde Nooteboom von dem Fotografen Eddy Posthuma de Boer begleitet. De Boer ist ein ergreifender Gestalter von Bildern. Ein Foto aus dem vordigitalen Jahr 1967 zeigt den Hafen von Salvador da Bahia. Es könnte ebenso aus dem Jahr 1667 oder 1767 oder 1867 stammen. Segler und Mulis sind die Transportmittel - es gibt keinerlei moderne Technik. Wir sehen die weißen Segel der Lastkähne vor schwarzblauem Himmel. In der Ferne türmt sich eine Wolkenbank auf. Im Vordergrund liegen ein paar Säcke gestapelt, drei gelbe Melonen sind exakt in der Bildmitte platziert. Daneben Menschen von so dunkler Hautfarbe, dass sie sich mit der des Strandes vermischt. Ihre weißen Hemden leuchten vor dem Erdbraun des Strandes wie die Segel vor den dunklen Wolken. Man nimmt es wahr, und plötzlich ist das, was man vor sich sieht, das dramatische Licht- und Farbenspiel eines alten holländischen Meisters. Für solche Aufzeichnungen gibt es – anders als für Texte - kein Verfallsdatum.
Was macht den Charme des Reisens aus?, fragt Nooteboom und antwortet: "Dass sämtliche Erhaltungssysteme, über die man normalerweise verfügt, versagen." Und daraus entstehe ihm ein Gefühl metaphysischer Gelassenheit. Seine Mönchsklause ist das Hotelzimmer, geschwiegen, meint er, wird hier mindestens so viel wie in einem Kloster.
In Spanien reist Cees Nooteboom auf den Spuren von Don Quichotte – und hier – finde ich – liest er sich am schönsten. Es gibt zwar ein kleines, überspintisiertes Gedeutel "hilfreicher Seelen", die die "Ruta de Don Quijote" mit Hinweisschildern ausstatten – das sind, wie man weiß, nicht "hilfreiche Seelen", sondern handfeste Arbeiter des Tourismusministeriums - aber abgesehen von solchen Wolkigkeiten ist dies ein grundehrlicher, intimer Text eines Schriftstellers, der sich über die Jahrhunderte hinweg einem anderen, geliebten, genialen Kollegen zuneigt. Nooteboom besucht die Gefängniszelle, in der Cervantes wegen einer Schuldgeschichte einsaß und wo er das erste Kapitel seines "Don Quichotte" geschrieben haben soll. Nooteboom setzt sich an den kargen Tisch, nimmt die Feder in Hand und denkt sich in die Welt, in der Cervantes Dichtung schuf, die zum Erbe der Menschheit gehört. Und hier erzeugen Literatur und Bild wunderbar stimmig eine Atmosphäre, die die eigentliche Schönheit des Reisens erläutert – so etwas kann niemand zu Hause erleben.
Cees Nooteboom. Die Kunst des Reisens
Aus dem Niederländ. übers. von Helga van Beuningen
Mit Fotografien von Eddy Posthuma de Boer
Verlag Schirmer/Mosel 2005
148 Seiten, 29,80 €