Vom Reisen und Bleiben
Der Schweizer Autor Peter Weber, Jahrgang 1968, sorgte mit seinem Debüt "Der Wettermacher" für Aufsehen. In seinem neuen Roman "Die melodielosen Jahre" kommt seine Hauptfigur Oliver nicht los von Bahnhöfen, Hochgeschwindigkeitszügen und Zugrestaurants. Er ist gern unterwegs, weil ihn die Fremde interessiert. Schwer fällt ihm nur das Bleiben.
Der in Zürich lebende Autor Peter Weber, Jahrgang 1968, der mit "Der Wettermacher" (1993) debütierte, liebt sprachliche Verwirrspiele. Wenn er seine Finger auf den Buchstaben seiner Schreibmaschine tänzelnde Bewegungen vollführen lässt, entstehen Textmelodien. Seine Sätze klingen. Sie klingen noch bevor sie bedeuten, was die Gefahr mit sich bringt, dass eingefleischte Hermeneutiker im Umgang mit Webers Texten ins Straucheln geraten können.
Weber schreibt spielend und spielt schreibend. Er lockert im Prozess des Schreibens bestehende Sprachfesseln, sodass, wenn sein Sprachzug genügend Fahrt aufgenommen hat, er an Halt gebietenden Bedeutungssignalen vorbeifährt.
Diese Ignoranz ist Programm. Peter Weber, der sich in "Bahnhofsprosa" (2002) als passionierter Reisender zu erkennen gegeben hat, kommt auch in seinem neuen Roman "Die melodielosen Jahre" nicht los von Bahnhöfen, Hochgeschwindigkeitszügen und Zugrestaurants. Oliver, seine zentrale Figur, reist hin und her. Er steigt ein, weil er gern unterwegs ist, und er kommt gern an, weil ihn die Fremde interessiert. Schwer fällt ihm nur das Bleiben. Doch dieser Ruhelose fängt durch sein ständiges Unterwegssein Impressionen von Frankfurt am Main, Berlin, Leipzig, Dresden, Görlitz, Prag, London, Warschau und Zürich ein. Und das Überraschende an diesen Beobachtungen ist ihre surrealistische Eleganz.
Ein topographisches Zentrum hat dieser Roman nicht. Der zentrale Punkt, von dem alle Exkursionen ihren Anfang nehmen, und durch den sie in Bewegung gehalten werden, ist die Sprache. Für diesen Zug hat Peter Weber innerhalb der deutschsprachigen Literatur eine Karte 1. Klasse gelöst. Er bereist bevorzugt Grenzbereiche, Gebiete, in denen es Verschiebungen gegeben hat, denn an den Rändern finden seltsame Symbiosen statt, verschränken sich Beobachtungen mit Phantasmen und beginnen sich Bedeutungen aufzulösen. Diesen Zonen gehört Webers Aufmerksamkeit. Dort sucht er nach zu verschwinden drohenden Sprachresten und findet neue Sprachfügungen, die seine Phantasie beflügeln.
Wie dieses Gefühl für das Material Sprache geweckt wurde, beschreibt Weber im Kapitel "Die Grillen", das sich in dem neuen Roman findet. Zur Voraussetzung für ein verändertes Sprachempfinden wird die Absage an eine Diktatur sprachlicher Vorschriften. Die Befreiung aus dem Korsett sprachlicher Regelungen schaffte den Sprachgelenken einen Freiraum, den der Autor Peter Weber benötigt, um seine Wahrnehmungen in eine ihm gemäße Sprache übersetzen zu können. Auch deshalb heißt die Katze von Peter Weber, die immer mal wieder das Textrevier inspiziert, nicht wie die von Uwe Johnson Erinnerung, sondern Vergessen.
Webers Schreiben setzt das Vergessen von Vorschriften voraus. Er reitet sein "Phantasieross" ohne Sprachzügel, wodurch es ihm gelingt, in Gebiete vorzustoßen, die traditionellen Erzählern verschlossen bleiben.
Rezensiert von Michael Opitz
Peter Weber: Die melodielosen Jahre. Roman.
Suhrkamp Verlag. Franfurt am Main 2007.
191 Seiten. 16.80 Euro.
Weber schreibt spielend und spielt schreibend. Er lockert im Prozess des Schreibens bestehende Sprachfesseln, sodass, wenn sein Sprachzug genügend Fahrt aufgenommen hat, er an Halt gebietenden Bedeutungssignalen vorbeifährt.
Diese Ignoranz ist Programm. Peter Weber, der sich in "Bahnhofsprosa" (2002) als passionierter Reisender zu erkennen gegeben hat, kommt auch in seinem neuen Roman "Die melodielosen Jahre" nicht los von Bahnhöfen, Hochgeschwindigkeitszügen und Zugrestaurants. Oliver, seine zentrale Figur, reist hin und her. Er steigt ein, weil er gern unterwegs ist, und er kommt gern an, weil ihn die Fremde interessiert. Schwer fällt ihm nur das Bleiben. Doch dieser Ruhelose fängt durch sein ständiges Unterwegssein Impressionen von Frankfurt am Main, Berlin, Leipzig, Dresden, Görlitz, Prag, London, Warschau und Zürich ein. Und das Überraschende an diesen Beobachtungen ist ihre surrealistische Eleganz.
Ein topographisches Zentrum hat dieser Roman nicht. Der zentrale Punkt, von dem alle Exkursionen ihren Anfang nehmen, und durch den sie in Bewegung gehalten werden, ist die Sprache. Für diesen Zug hat Peter Weber innerhalb der deutschsprachigen Literatur eine Karte 1. Klasse gelöst. Er bereist bevorzugt Grenzbereiche, Gebiete, in denen es Verschiebungen gegeben hat, denn an den Rändern finden seltsame Symbiosen statt, verschränken sich Beobachtungen mit Phantasmen und beginnen sich Bedeutungen aufzulösen. Diesen Zonen gehört Webers Aufmerksamkeit. Dort sucht er nach zu verschwinden drohenden Sprachresten und findet neue Sprachfügungen, die seine Phantasie beflügeln.
Wie dieses Gefühl für das Material Sprache geweckt wurde, beschreibt Weber im Kapitel "Die Grillen", das sich in dem neuen Roman findet. Zur Voraussetzung für ein verändertes Sprachempfinden wird die Absage an eine Diktatur sprachlicher Vorschriften. Die Befreiung aus dem Korsett sprachlicher Regelungen schaffte den Sprachgelenken einen Freiraum, den der Autor Peter Weber benötigt, um seine Wahrnehmungen in eine ihm gemäße Sprache übersetzen zu können. Auch deshalb heißt die Katze von Peter Weber, die immer mal wieder das Textrevier inspiziert, nicht wie die von Uwe Johnson Erinnerung, sondern Vergessen.
Webers Schreiben setzt das Vergessen von Vorschriften voraus. Er reitet sein "Phantasieross" ohne Sprachzügel, wodurch es ihm gelingt, in Gebiete vorzustoßen, die traditionellen Erzählern verschlossen bleiben.
Rezensiert von Michael Opitz
Peter Weber: Die melodielosen Jahre. Roman.
Suhrkamp Verlag. Franfurt am Main 2007.
191 Seiten. 16.80 Euro.