Vom Recht auf Selbstverteidigung zum Waffenfetischismus

Von Rolf Büllmann · 17.12.2012
Der Besitz einer Waffe hat in den USA eine andere Bedeutung als in Deutschland. Doch diese Tradition ist im Laufe der Zeit pervertiert worden, meint Rolf Büllmann. Es werde höchste Zeit für schärfere Waffengesetze.
CNN-Moderator Piers Morgan behandelt seine Gesprächsgäste normalerweise recht zuvorkommend. Bei der Sendung am Abend des Massakers von Newtown aber hat er die Contenance verloren: Als einer seiner Gäste ernsthaft die These vertreten hat, noch mehr Waffen würden zu weniger Verbrechen führen, hat er ihn angeschrien: "Wann ist es genug? Wann ist es endlich genug?!" Und ich habe mich dabei ertappt, wie ich das selbe getan habe: Ich habe wütend und fassungslos meinen Bildschirm angeschrien angesichts der Verbohrtheit und Borniertheit mancher Menschen.

Der Amoklauf von Newtown ist so unfassbar grausam und so herzzerreißend tragisch, dass sogar im oft zynischen Amerika etwas zu geschehen scheint. Die Menschen reden wieder über Gun Control, über schärfere Waffengesetze. Und das ist ungewöhnlich, denn das Problem, dass die USA mit den rund 300 Millionen Schusswaffen haben, die hierzulande im Umlauf sind, wird normalerweise totgeschwiegen. Die Brady Campaign, eine Organisation, die schärfere Gesetze fordert, rechnet vor, dass in den USA in einem Jahr fast 100.000 Menschen durch Schusswaffen getötet oder verletzt werden - bei Überfällen und Angriffen, bei Selbstmorden, Unfällen und Polizeieinsätzen.

Als Europäer ist man angesichts solcher Zahlen schnell dabei zu rufen: "Alles verbieten"! Doch damit wird man der Sache nicht gerecht. Denn der Besitz einer Waffe ist in den USA etwas anderes als zum Beispiel in Deutschland. Man darf nicht vergessen: Die Vereinigten Staaten sind entstanden nach einem blutigen Unabhängigkeitskrieg, den bewaffnete Milizen gegen die verhassten Engländer geführt haben. Die schier unendlichen Weiten des Kontinents wurden von Männern und Frauen erschlossen, die mit der Waffe in der Hand losgezogen sind, die Wildnis zu erschließen.

Und nicht zuletzt: Die Verfassung garantiert das Recht, eine Waffe zu besitzen. Doch diese Tradition und dieses Recht sind im Laufe der Zeit pervertiert worden. Gut organisierte und gut finanzierte Interessengruppen machen aus jedem Versuch der Reglementierung einen Angriff auf die Freiheit als Ganzes. Und viel zu lange haben viel zu viele Politiker viel zu viel Angst gehabt, diesen Kampf anzunehmen.

Dabei ist so offensichtlich: Niemand - wirklich niemand außerhalb des Militärs und der Polizei - braucht halbautomatische Sturmgewehre und Schnellfeuerwaffen. Wer den Zugang zu bestimmten Waffen verbietet und den Waffenkauf insgesamt erschwert, greift eben nicht die Freiheit der Menschen an, sondern lässt gesunden Menschenverstand walten. Wer; wie die Waffenlobby; behauptet, dass nicht Waffen Menschen töten, sondern dass Menschen Menschen töten, sagt bestenfalls die Halbwahrheit: Denn erst hochgerüstete Mordmaschinen wie die, die der Amokläufer in Newtown genutzt hat, machen derartige Massenmorde möglich.

Mit einem Messer hätte der Täter nicht binnen weniger Minuten 26 Menschen ermorden können - dafür brauchte er sein halbautomatisches Gewehr. Und, um noch auf ein letztes Argument der Waffenlobby einzugehen, der Satz "Wenn Waffen verboten werden, haben nur noch Verbrecher Waffen" fordert ja geradezu die Frage heraus: Wozu bitte gibt es denn die Polizei in den USA ?

Es wird Zeit, die Waffengesetze zu verschärfen, allerhöchste Zeit. Für die Familien von 20 kleinen Kinder ist es sogar schon zu spät. Doch ich habe meine Zweifel, dass es dazu kommen wird. Ich fürchte, die Empörung wird abebben, und das Thema wird bis zum nächsten Amoklauf wieder vergessen, so wie es viel zu oft schon passiert ist. Und beim nächsten Mal, bei nächsten Amoklauf, wird dann irgendein Waffenlobbyist wieder sagen: "Wenn doch nur eines der Opfer eine Waffe gehabt hätte, dann wäre das alles gar nicht passiert". Und ich - ich werde wieder meinen Bildschirm anschreien.