Vom Rad bis zum Computer

04.03.2008
Mit der Zähmung des Feuers vor rund 800.000 Jahren machte die Menschheit einen gewaltigen Entwicklungssprung. Ähnliche Bedeutung hatten das Rad oder der Buchdruck. Bernd Flessner fasst in seinem Buch "Geniale Denker und clevere Tüftler" 20 bahnbrechende Erfindungen der Menschheit zusammen.
Vor 800.000 Jahren in Ostafrika hat sie begonnen, die Geschichte der großen Erfindungen. Damals zähmte der Mensch das Feuer. Über die genauen Umstände lässt sich nur spekulieren - oder eine schöne Geschichte erzählen, wie es Bernd Flessner in seinem neuen Jugendbuch "Geniale Denker und clevere Tüftler. 20 bahnbrechende Erfindungen der Menschheit" tut: Ein Urmensch pirscht sich auf der Jagd an einen Affen heran, steigt ihm sogar auf einen Baum hinterher. Plötzlich rutscht er ab - den ganzen Baumstamm hinunter. Dabei werden seine Hände flammend heiß - fast als hätte er sie ins Feuer gehalten. Neugierig probiert er aus, ob sich wohl Funken schlagen lassen, wenn man zwei Holzstücke aneinander reibt. War es so? Möglicherweise. Auf jeden Fall hat die Zähmung des Feuers das Leben der frühen Menschen revolutioniert: Feuer machte die Nahrung zarter und leichter bekömmlich. Es vertrieb angreifende Tiere. Es spendete Licht in der Dunkelheit. Wer Feuer hatte, schreibt Flessner, hatte die Macht.

In einer Sammlung der 20 bahnbrechenden Erfindungen der Menschheit müssen natürlich die "großen Klassiker" auftauchen: das Feuermachen, das Rad, der Kompass, der Buchdruck. Sie alle brachten epochale Veränderungen mit sich - und wurzelten ihrerseits in gesellschaftlichen Umbrüchen, ohne die sie sich nicht hätten durchsetzen können. Auch die großen Erfindungen der Moderne fehlen in Flessners Buch natürlich nicht: die Dampfkraft, das elektrische Licht, die Kernspaltung, der Computer. Aber Bernd Flessner gibt auch weniger spektakulären Erfindungen die Ehre, in seinen "Top 20" zu erscheinen: den Lesestein etwa, dem die Brille folgte. Auf einmal konnten auch ältere Menschen, die zur Weitsichtigkeit neigen, noch immer lesen und schreiben und ihren wertvollen Erfahrungsschatz an andere weitergeben - ein immenser Fortschritt für die Akkumulation von Wissen zunächst in der arabischen Kultur und später auch im Abendland, das von den arabischen Kulturleistungen profitierte. Auch die Erfindung des Gummis würde man vielleicht nicht in einer Aufzählung der 20 wichtigsten Erfindungen vermuten. Flessner präsentiert Charles Goodyear, der in jahrelangen Forschungsarbeiten die "Vulkanisation" erfand: Dabei sorgen Hitze und Druck dafür, dass Kautschuk und Schwefel sich fest miteinander verbinden und zu Gummi werden.

Danach macht sich der Autor auf einen spannenden Streifzug durch die Erfindungsgeschichte anderer künstlicher Stoffe: Schellack für Schallplatten, Schmelzöfen und Kühlanlagen zur industriellen Produktion von Glas, Hochöfen, in denen sich Stahl herstellen lässt - dem Rohstoff für das Industriezeitalter. Da darf ein Foto vom Eiffelturm natürlich nicht fehlen. Auch die Kommunikation kommt in diesem Jungendbuch zu ihrem Recht - schließlich änderten Telefon und Rundfunk den ganz persönlichen Alltag von Millarden von Menschen. Dasselbe gilt für andere große Alltagsgegenstände: Kühlschrank, Bügeleisen, Waschmaschine.

Bernd Flessner, Universitätsdozent, Zukunftsforscher und Autor von Spielen, Büchern und Sendungen für Kinder schreibt anschaulich, lebendig und in kurzen Sätzen. So kann er seine Zielgruppe der ab Zehnjährigen mühelos erreichen. Die vielen bunten Zeichnungen, Fotografien und Infokästen, die Zeitleiste der Erfindungen und ein Register im Anhang tragen ihren Teil zur Lesefreundlichkeit bei. Trotz seiner lockeren Darbietungsweise bietet der Autor ein erstaunliches inhaltliches Niveau. Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem Jugend-Brockhaus und lässt Naturwissenschaft und Gesellschaftskunde nahtlos ineinanderfließen. Flessner erklärt, wie Menschen lebten, als eine bedeutsame Erfindung gemacht wurde. Er erläutert, welches Wissen den Tüftlern zur Verfügung stand. Und er macht die Zwiespältigkeit vieler Erfindungen deutlich. Ein schönes Beispiel dafür ist das Auto: Um 1900 waren in den Straßen New York rund 200.000 Wagen unterwegs, gezogen von schwer arbeitenden Gäulen, die pro Tag über tausend Tonnen Mist und 270.000 Liter Urin produzierten. Ihre Ausscheidungen trockneten an der Luft und legten sich als Fäkal-Staub auf die Lungenbläschen der New Yorker. Cholera, Tuberkulose und Typhus waren die Folge. Die Lösung bot das Auto - der heutige Umweltsünder rettete am Anfang seiner Karriere die Städte vor dem Kot-Kollaps.

Rezensiert von Susanne Billig

Bernd Flessner: Geniale Denker und clevere Tüftler. 20 bahnbrechende Erfindungen der Menschheit
Beltz & Gelberg Verlag
176 Seiten, 16,95 Euro