Vom Prügelspiel zum Kunstwerk

Von Susanne Nessler · 28.11.2011
Linker Haken, dann eine direkte Rechte – beim Computerspiel "Street Fighter II" gewinnt, wer am besten prügelt. Das Spiel sorgte 1991 für die ersten größeren Diskussionen über Gewalt in Computerspielen. Heute ist "Street Fighter II" ein Thema in der Kunst.
"Hier, der alte Super Nintendo, die alte Box mit Street Fighter II, ich schalte ihn jetzt an: ein schöner Röhrenfernseher … man hört die Startmelodie …."

Stefan Schwarzer, Kunststudent aus Halle kommt schnell ins Schwärmen, wenn er die Startmelodie des Computerspiels Street Fighter II hört. In seiner Kindheit hat er das Kampfspiel oft mit Freunden gespielt, stundenlang saßen sie gemeinsam vor dem Bildschirm und schlugen sich gegenseitig k.o. Stefan Schwarzer und Andreas Lange:

"Oh, wieder im Schwitzkasten - Keine Chance - Jetzt wird er mich besiegen - Das erste Mal nach 10 Runden…"

Das klingt brutaler als es tatsächlich ist. Denn die Figuren, die in dem 20 Jahre alten Computerspiel gegeneinander antreten, sehen aus wie Comichelden. Wird einer zu oft getroffen, fällt er einfach um.

Als das Spiel 1991 erschien, war es ein absoluter Knüller. Zum ersten Mal in der Geschichte des Computerspiels waren Spezialangriffe möglich, sogenannte Special Moves, die sich mit bestimmten Tastenkombinationen auf dem Joystick ausführen ließen. Vor "Street Fighter II" konnten die Spielfiguren nur schlagen und treten. Jetzt sprangen, würgten, kickten sie und nahmen den Gegner sogar in den Schwitzkasten, erklärt Andreas Lange, Direktor des Computerspielmuseums in Berlin:

"Es ist auf jeden Fall eines der Top 50 Meilensteine der Computerspiel Geschichte. Wir haben es auch hier in unserer Meilensteine Wand. Es ist kommerziell auch sehr interessant gewesen, hat alle Preise gewonnen, die es gab."

Acht Charaktere hat das Spiel, sieben Männer eine Frau – jeder hat seinen eigenen Kampfstil. Da gibt es den Sumoringer E. Honda, Blanka das Urwaldmonster oder Chuon Li, die mädchenhafte Karate Meisterin. In 204 Zeichnungen hat der Künstler Stefan Schwarzer ihre Kampfstellungen festgehalten. Das was während des Spiels flüchtig, nicht greifbar ist, hat er in einzelne, DIN A 5 große Zeichnungen aufgelöst. Der Yogameister Ryun in Verteidigungshaltung mit den Armen vor dem Gesicht, Sumoringer E. Honda in der Hocke mit geballten Fäusten, oder Ken, der amerikanische Boxer im roten Anzug, zu sehen mitten im Sprung. Stefan Schwarzer:

"Hinter dieser Arbeit steckt ein Konzept. 10 Zeichnungen pro Tag, dieses Konzept habe ich drei Wochen lang durchgezogen, jeden Tag acht Stunden gezeichnet und deswegen trägt die Arbeit auch den Namen "groggy", weil das ist so ein Erschöpfung, also so ein Erschöpfungszustand gesucht wurde."

Stefan Schwarzer hat jeden Tag mit dem Zeichenstift gekämpft, um die virtuellen Figuren in einen realen Raum zu bringen. Bunte Filzstifte hat er dafür benutzt, um besonders nah an der Ästhetik der Spielfiguren zu bleiben.

Im Computerspiele Museum in Berlin hängen diese Bilder jetzt alle an einer Wand, exakt neben- und untereinander aufgereiht, so dass die Fläche aus der Entfernung wie ein riesiger pixeliger Computerbildschirm wirkt. Erst wenn man näher herantritt, werden die einzelnen Bilder mit den verschiedenen Kämpfern sichtbar. Stefan Schwarzer:

"Jeder Kämpfer hat gewisse Eigenschaften, die Eigenschaften hängen mit seiner Herkunft zusammen. Der Sumokämpfer kann zum Beispiel sehr viel mit seinen Armen schlagen und ist sehr behäbig von der Bewegung her, die Karate Kämpfer natürlich sehr fit und agil – so sucht halt jeder Spieler den passenden Kämpfer für sich aus und das hat für mich wiederum so ein künstlerische Komponente, das drückt für mich auch eine Persönlichkeit aus. Man kann über die Leute was erzählen, was ist ihr Lieblingskämpfer, warum überhaupt, und das finde ich das spannend, dieses Künstlerische in dieses Spiel hineinzubringen."

Zusätzlich zu den Bildern hat der Künstler auch die Fenster im Museum genutzt, um die Helden seiner Kindheit zu zeigen. Die vier "Endbosse" genannten Superkämpfer, gegen die ein Spieler erst dann kämpfen kann, wenn er zuvor alle anderen besiegt hat, prangen riesengroß auf den Fenstern im Museum. So dass der Ausstellungsraum etwas von der sakraler Anmutung einer Kirche hat, zugleich aber auch an die bunte leuchtende Welt einer Spielhalle erinnert. Andreas Lange:


"Was mir dazu einfällt, dass hier eine große Nähe zur sogenannten Fan Art da ist. Das ist etwas, was sich um viele bekannte aber auch unbekanntere Computerspiele immer gebildet hat. Den Fans ist es nicht genug, nur das Spiel zu spielen, sondern sie hängen so emotional dran, dass sie anfangen, sich über das Spiel hinaus auch mit dem Spiel zu befassen, selber kreativ zu werden.

Es gibt im Netz eine Unmenge an Zeichnungen, aber auch Videos rund um diese Spiele. Stefan Schwarzer hat sich hier, wie ich finde, sehr schön an dieser Fan Art orientiert und hat die in einer ganz bestimmten Weise aufgegriffen und nochmal auf ein neues ästhetisches Level gehoben."

Stefan Schwarzer/Andreas Lange: "Okay, jetzt die Entscheidungsrunde - Lassen wir ihn mal wieder ein bisschen ran kommen, damit es spannend wird – Oh, verloren!"

Dass das einst umstrittene Prügelspiel Bilder und Zeichnungen generiert, die Platz im Museum finden, das hätten die Kritiker vor 20 Jahren bestimmt nicht möglich gehalten. Ebenso wenig, wie dass Spieler wie der Künstler Stefan Schwarzer auch nie besonders von den Kampfszenen fasziniert waren, sondern in dem Computerspiel damals, wie auch heute etwas ganz anders sehen. Stefan Schwarzer:

"Ich glaube diese Gewalt stand niemals im Mittelpunkt. Es war einfach dieser Spaß daran eine Rolle auszuführen und sich als Superheld zu fühlen oder gute Kräfte zu haben. Das war das Interessante, was ich versucht habe wieder hervorzurufen. Das ist ja in unserer Gesellschaft genauso, man muss sich durchsetzen. Und jeder kann ein Held sein. Jeder kann was Gutes und das möchte ich mit dieser Arbeit zeigen."

Link
Computerspielemuseum Berlin: Ausstellung Street Fighter II
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