Vom Powerpoint-Vortrag bis zum Guckkasten-Theater
"Visionauten" lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe im Maxim Gorki Theater. Ein Kessel Buntes aus Theater, Expertenvorträgen und Befragungen zum Thema: Was hoffen wir? Was fürchten wir? Dramaturg Ludwig Haugk begibt sich auf eine Reise zu den Utopie-Inseln der Berliner.
"Wir sind hier im Foyer des Studios. Wir haben versucht den Raum umzubauen zu einem Schiff, der Visionautica. Wir haben die Assoziation eines Schiffs genommen, weil wir uns als Schiff fühlen mitten in Berlin und uns auf eine Reise begeben wollen."
Auf eine Reise zu den unbekannte Utopie-Inseln und Inselchen der Durchschnitts-Berliner. Dramaturg Ludwig Haugk ist quasi der Bootsingenieur des Unternehmens "Visionauten".
"Und das ist im Grunde der Kernpunkt von den zwei Monaten, die wir hier im Studio machen, dass wir auf die Suche gehen und sammeln. Wir haben keine eigene Vision, die wir verkünden können. Die Idee ist eher, dass wir versuchen, diese viele Millionen Einzelvisionen, die jeder in der Stadt hat, von einer Zukunft, vielleicht auch Schreckensvisionen, dass wir erst mal sammeln."
Und die im Schiffsbauch gebunkert werden: Statt Bullaugen kleben Marmeladengläser im Vorraum angefüllt mit allerlei Alltagsdingen vom Yogi-Teebeutel zum Quietsche-Entchen.
"Und vielleicht ergibt sich aus dieser Sammlung eine neue Topographie, eine visionäre Topographie der Stadt, ganz unkommentiert, ob das eine positive Vision, oder ob das vielleicht auch Albträume sind. Beides soll sich hier abbilden und das in den verschiedensten Möglichkeiten, die Theater zur Verfügung stellt."
Die reichen vom Powerpoint-Vortrag bis zum Guckkasten-Theater. Der konventionellste Programmpunkt im Visionauten-Programm ist "Leaving Marzahn" ein Stück - pardon Stückentwicklung - von Simon Sollberg. Stückentwicklung, weil es zu Probenbeginn weder einen Text noch einen Stoff gab.
"Und das Projekt bestand daraus zu schauen, was entsteht, wenn man die zwei Schauspieler mit einem Regisseur zusammenführt und in den sechs Wochen an den Erfahrungen und Bildern ihrer eigenen Geschichten arbeiten und versuchen aus diesen Erfahrungen einen fiktiven Text zusammenzubauen, eine Geschichte zu erfinden. Und das ganze aber reagieren lässt auf Probleme und Fragestellungen dieser Zeit. Also was hat die Erfahrung Ost zu Globalisierung zu sagen, was hat die Sozialisierung West dazu zu sagen."
"Konto aufgelöst? Keine Krankenkasse mehr? Ich ergebe mich! "
Smarte Frau West trifft in ihrer gerade angemieteten Wohnung den Vormieter an, der gar nicht daran denkt auszuziehen. Der Mann Ost hat schon längst vor der westdeutschen Bürokratie kapituliert. Die Ämterpost inklusive Kündigung stapelt sich ungeöffnet. Die Erkenntnis:
"Wir wurden beide von einer Institution hinters Licht geführt worden!"
setzt eine Menge visionäre Energie frei:
"Und jetzt heißt es aufgepasst und mitgemacht. Nutzen sie doch einfach ihre Alubutterschale zum CD-Klau. In diesen Zeiten muss keiner allein sein? Heiraten sie doch einen Asylanten für eine gemeinsame Zukunft in Deutschland."
In "Leaving Marzahn" präsentieren Anika Baumann und Andreas Leupold Konservationstheater mit anarchistischem Charme. Im Projekt des Künstler-Kollektivs "Kulturmaßnahmen" kommt das Publikum direkt zu Wort. 30 "Probanden" sollten ihre tägliche Prognosen für die vierte Kalenderwoche abgeben.
"Die Leute haben aufgeschrieben, wie sie sich jeden Tag vorstellen, was macht ihnen Angst, worauf freuen sie sich usw. Und dann haben sie eine Woche Protokoll geführt, was tatsächlich passiert ist und jetzt wird eine Woche ausgewertet, wie ist die Differenz zwischen Prognose und Realität."
Prognose-Erfasser Thorsten Schwarz sitzt Probantin Beatrix Schnippenkötter an einem Bürotisch gegenüber.
"Was war ein Flop? Was war ein Erfolg?"
Zur Präsentation von KW 4 im Studio des Maxim Gorki-Theaters sitzt Beatrix in der ersten Reihe:
"Was wird geschehen, und wie wird es mir dabei ergehen? Aus Prognose wird Realität. Dokumentationen und Prognosen werden abgeglichen, und bewertet."
Thorsten Schwarz ist in die Rolle eines Fernsehmoderators geschlüpft. In Anzug und Sandalen steht er vor einem verwirrenden Fadenbild, dass prognostizierte und real empfundene Glücksgefühle anzeigt.
"Sind Freiberufler pessimistischer? Hat das Wetter Einfluss? Sind Rentner glücklicher als Studenten? Einblicke und Antworten erhalten sie jetzt. Analyse und Talk."
In einer Mischung aus Parodie und Pseudowissenschaft erfährt das Publikum alles über die großen und vor allem über die kleinen Träume der Teilnehmer. Die pessimistische Probandin wird vorgestellt (Soziologie-Studentin, 30) und der optimistischste Teilnehmer (Künstler , 42):
"Sieht man in der Prognose 3 plus? Warum? Weil er ausgehen wollte, saufen. Aber er war nicht weg, deshalb ging es ihm schlecht."
Hinterher werden die Fadenbilder und Dokumentationsbögen abgehängt. Aber was bleibt? Das Theater als Ort von Katharsis, Läuterung, als Erziehungsanstalt des Menschengeschlechts oder Instrument der Aufklärung - von den eigenen Visionen des Theaters haben sich die "Visionauten" verabschiedet. Aber die Hoffnung stirbt auch auf der Bühne zuletzt. Eine letzte Frage an Dramaturg Stefan Haugk: Wird die Welt am Ende des Projekt ihrer Rettung ein Stück näher gekommen sein? Haugk lacht:
"Das würde ich nie behaupten wollen, aber Wirklichkeit wird schon dadurch verändert indem ich sie mit künstlerischen Mitteln erzähle, weil ich nie 1 zu 1 erzähle, weil ich einen Schritt weiter gehe, selbst wenn ich eine total fatalistische Perspektive schildere. In dem Moment wo ein Schauspieler sie mit Leben füllt, entsteht eine neue Dimension, entsteht ein kleiner Schritt der eine Veränderung darstellt, ob das die Rettung ist, das weiß kein Mensch."
Am Ende ihrer Performance ziehen die drei Prognose-Experten von "Kulturmaßnahmen" immerhin eine tröstliche Bilanz. Auf der Werteskala von minus vier bis plus eins gibt die Durchschnittskurve wenigstens Anlass zur Hoffnung.
"Alle fühlen sich eins, oder besser und das ist doch ein beruhigender Durchschnitt. Egal was wir machen wir sind einfach plus eins."
Auf eine Reise zu den unbekannte Utopie-Inseln und Inselchen der Durchschnitts-Berliner. Dramaturg Ludwig Haugk ist quasi der Bootsingenieur des Unternehmens "Visionauten".
"Und das ist im Grunde der Kernpunkt von den zwei Monaten, die wir hier im Studio machen, dass wir auf die Suche gehen und sammeln. Wir haben keine eigene Vision, die wir verkünden können. Die Idee ist eher, dass wir versuchen, diese viele Millionen Einzelvisionen, die jeder in der Stadt hat, von einer Zukunft, vielleicht auch Schreckensvisionen, dass wir erst mal sammeln."
Und die im Schiffsbauch gebunkert werden: Statt Bullaugen kleben Marmeladengläser im Vorraum angefüllt mit allerlei Alltagsdingen vom Yogi-Teebeutel zum Quietsche-Entchen.
"Und vielleicht ergibt sich aus dieser Sammlung eine neue Topographie, eine visionäre Topographie der Stadt, ganz unkommentiert, ob das eine positive Vision, oder ob das vielleicht auch Albträume sind. Beides soll sich hier abbilden und das in den verschiedensten Möglichkeiten, die Theater zur Verfügung stellt."
Die reichen vom Powerpoint-Vortrag bis zum Guckkasten-Theater. Der konventionellste Programmpunkt im Visionauten-Programm ist "Leaving Marzahn" ein Stück - pardon Stückentwicklung - von Simon Sollberg. Stückentwicklung, weil es zu Probenbeginn weder einen Text noch einen Stoff gab.
"Und das Projekt bestand daraus zu schauen, was entsteht, wenn man die zwei Schauspieler mit einem Regisseur zusammenführt und in den sechs Wochen an den Erfahrungen und Bildern ihrer eigenen Geschichten arbeiten und versuchen aus diesen Erfahrungen einen fiktiven Text zusammenzubauen, eine Geschichte zu erfinden. Und das ganze aber reagieren lässt auf Probleme und Fragestellungen dieser Zeit. Also was hat die Erfahrung Ost zu Globalisierung zu sagen, was hat die Sozialisierung West dazu zu sagen."
"Konto aufgelöst? Keine Krankenkasse mehr? Ich ergebe mich! "
Smarte Frau West trifft in ihrer gerade angemieteten Wohnung den Vormieter an, der gar nicht daran denkt auszuziehen. Der Mann Ost hat schon längst vor der westdeutschen Bürokratie kapituliert. Die Ämterpost inklusive Kündigung stapelt sich ungeöffnet. Die Erkenntnis:
"Wir wurden beide von einer Institution hinters Licht geführt worden!"
setzt eine Menge visionäre Energie frei:
"Und jetzt heißt es aufgepasst und mitgemacht. Nutzen sie doch einfach ihre Alubutterschale zum CD-Klau. In diesen Zeiten muss keiner allein sein? Heiraten sie doch einen Asylanten für eine gemeinsame Zukunft in Deutschland."
In "Leaving Marzahn" präsentieren Anika Baumann und Andreas Leupold Konservationstheater mit anarchistischem Charme. Im Projekt des Künstler-Kollektivs "Kulturmaßnahmen" kommt das Publikum direkt zu Wort. 30 "Probanden" sollten ihre tägliche Prognosen für die vierte Kalenderwoche abgeben.
"Die Leute haben aufgeschrieben, wie sie sich jeden Tag vorstellen, was macht ihnen Angst, worauf freuen sie sich usw. Und dann haben sie eine Woche Protokoll geführt, was tatsächlich passiert ist und jetzt wird eine Woche ausgewertet, wie ist die Differenz zwischen Prognose und Realität."
Prognose-Erfasser Thorsten Schwarz sitzt Probantin Beatrix Schnippenkötter an einem Bürotisch gegenüber.
"Was war ein Flop? Was war ein Erfolg?"
Zur Präsentation von KW 4 im Studio des Maxim Gorki-Theaters sitzt Beatrix in der ersten Reihe:
"Was wird geschehen, und wie wird es mir dabei ergehen? Aus Prognose wird Realität. Dokumentationen und Prognosen werden abgeglichen, und bewertet."
Thorsten Schwarz ist in die Rolle eines Fernsehmoderators geschlüpft. In Anzug und Sandalen steht er vor einem verwirrenden Fadenbild, dass prognostizierte und real empfundene Glücksgefühle anzeigt.
"Sind Freiberufler pessimistischer? Hat das Wetter Einfluss? Sind Rentner glücklicher als Studenten? Einblicke und Antworten erhalten sie jetzt. Analyse und Talk."
In einer Mischung aus Parodie und Pseudowissenschaft erfährt das Publikum alles über die großen und vor allem über die kleinen Träume der Teilnehmer. Die pessimistische Probandin wird vorgestellt (Soziologie-Studentin, 30) und der optimistischste Teilnehmer (Künstler , 42):
"Sieht man in der Prognose 3 plus? Warum? Weil er ausgehen wollte, saufen. Aber er war nicht weg, deshalb ging es ihm schlecht."
Hinterher werden die Fadenbilder und Dokumentationsbögen abgehängt. Aber was bleibt? Das Theater als Ort von Katharsis, Läuterung, als Erziehungsanstalt des Menschengeschlechts oder Instrument der Aufklärung - von den eigenen Visionen des Theaters haben sich die "Visionauten" verabschiedet. Aber die Hoffnung stirbt auch auf der Bühne zuletzt. Eine letzte Frage an Dramaturg Stefan Haugk: Wird die Welt am Ende des Projekt ihrer Rettung ein Stück näher gekommen sein? Haugk lacht:
"Das würde ich nie behaupten wollen, aber Wirklichkeit wird schon dadurch verändert indem ich sie mit künstlerischen Mitteln erzähle, weil ich nie 1 zu 1 erzähle, weil ich einen Schritt weiter gehe, selbst wenn ich eine total fatalistische Perspektive schildere. In dem Moment wo ein Schauspieler sie mit Leben füllt, entsteht eine neue Dimension, entsteht ein kleiner Schritt der eine Veränderung darstellt, ob das die Rettung ist, das weiß kein Mensch."
Am Ende ihrer Performance ziehen die drei Prognose-Experten von "Kulturmaßnahmen" immerhin eine tröstliche Bilanz. Auf der Werteskala von minus vier bis plus eins gibt die Durchschnittskurve wenigstens Anlass zur Hoffnung.
"Alle fühlen sich eins, oder besser und das ist doch ein beruhigender Durchschnitt. Egal was wir machen wir sind einfach plus eins."