Vom Politischen zum Heiligen

10.10.2008
Für Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Berlin-Brandenburgischen Kirche, ist ein Leben ohne Glauben leer. Auch die Kirche sei weiter wichtig, argumentiert Huber in seinem Buch "Der christliche Glaube". Allerdings habe sich ihr Schwerpunkt von der sozialen und politischen Aktion hin zur Suche nach geistlicher Kommunikation verschoben.
Die Katholiken haben den Papst, die Protestanten haben ihre Freiheit. Aber sie sprechen über sie in so vielen Stimmen, dass - scheinbar - jede Position ihr Recht hat. So könnte man etwas salopp den Eindruck zusammenfassen, wenn man fragt: Woran glauben die Christen eigentlich? Eine verschwommene Vielstimmigkeit, ein solches Bild kann natürlich nicht im Interesse der evangelischen Kirche liegen, und so versucht sie seit einiger Zeit, ihr Profil zu schärfen, wie das so schön im Managerdeutsch heißt.

Sicher auch in diesem Rahmen ist das Buch zu lesen, das Deutschlands höchster Protestant jetzt veröffentlicht hat: Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Berlin-Brandenburgischen Kirche, will eine "evangelische Orientierung" geben unter dem selbstbewussten Titel "Der christliche Glaube".

Huber bezieht sich immer wieder auf Ratzinger und sein höchst erfolgreiches Jesus-Buch. Der Papst ist sein Gegenüber auf katholischer Seite. Aber Huber hat keinen Anti-Ratzinger geschrieben. Er lehnt sich eher an die Tradition des Katechismus an, also der kompakten Glaubensunterweisung. Nicht in der traditionellen Form eines strengen Frage-Antwort-Schemas, wie das Martin Luther in seinem Großem Katechismus vorgemacht hat.

Auch nicht mit einem unhinterfragbaren Anspruch. In der evangelischen Kirche gibt es kein Lehramt, das abschließende Richtigkeiten verkündet, und daran hält sich Huber genauestens. Das wird vor allem deutlich - darin sicher ein bewusster Gegenpart zu Ratzingers Auseinandersetzung mit der Jesus-Überlieferung des Neuen Testaments - in den Kapiteln, die sich mit Überlieferungsgeschichte und Wahrheitsanspruch der biblischen Jesus-Überlieferung beschäftigen.

Aber: Wolfgang Huber will durchaus das vermitteln, was er als evangelischen Konsens in Glaubensdingen versteht. Sowohl die überlieferten Lehren, vom Sündenfall bis hin zum Jüngsten Gericht, als auch aktuelle Konflikte und Debatten.

Zum Beispiel verhandelt er sehr ausführlich die Kontroverse um Schöpfungslehre kontra Evolutionstheorie. Huber lehnt die amerikanischen evangelischen Fundamentalisten ab, die Darwin verdammen und nur die Bibel gelten lassen wollen, er lehnt auch deren modernisierte Theorie des "Intelligent Design" ab - er verwehrt sich aber auch gegen den neuen Atheismus eines Richard Dawkins, der Glauben nur als Gotteswahn verstehen will.

Beide, fundamentalistischer Schöpfungsglaube wie auch bedingungslose Wissenschaftsgläubigkeit, verfehlen ein produktives Verhältnis von Glaube und Vernunft, so Huber. Glaubenssätze werden in den Rang wissenschaftlicher Wahrheiten gehoben und so nicht nur von Gott zu gering gedacht, sondern auch von der Wissenschaft.

Wolfgang Huber hat die erklärte Absicht, wissenschaftlichen Erklärungen, einer unabhängigen Vernunft den ihr zukommenden Rang zukommen zu lassen. Man kann sich durch Vernunft in der Welt orientieren. Aber gleichzeitig ist er fest davon überzeugt: Ohne Glauben bleibt ein solches Leben leer. Erst der Verweis auf ein Unbedingtes außerhalb menschlicher Verfügung, und mehr noch, auf ein dem Menschen persönlich zugewandtes und erkennbares Unbedingtes gibt dem Leben Grund, Perspektive und Hoffnung.

Wolfgang Huber schreibt dabei vor dem Hintergrund einer Struktur- und Finanzkrise, die alle Kirchen in Deutschland erfasst hat, auch die evangelische. Sein Buch muss auch gelesen werden vor dem Hintergrund des Reformprozesses, den er in der evangelischen Kirche angestoßen hat und unumkehrbar machen will. Kirche ist weiter wichtig, so interpretiert Huber das in den letzten Jahren gestiegene Interesse an religiösen Themen. Deswegen muss sie auch wissen, wofür sie steht.

Deswegen finden sich Schlüsselworte aus evangelischen Positionspapieren und Denkschriften über das ganze Buch erwähnt. Deswegen auch liegen Huber merklich die Kapitel über Spiritualität und Mission besonders am Herzen. Die evangelische Kirche in Deutschland soll selbstbewusst konkrete Inhalte vertreten und nicht ein vages Gutmenschentum, das nur religiös klingt, aber Gott eigentlich nicht braucht. Das ist mehr als Kosmetik: Wolfgang Huber vertritt eine grundlegend veränderte Kirche, er nennt die Richtung selber:

"Seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stand im Mittelpunkt der Wahrnehmung zumindest in der Evangelischen Kirche die politische und soziale Verantwortung. (…) Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Prioritäten verschoben. Nun werden geistliche Kommunikationsmöglichkeiten gesucht. (…) Die politisch-soziale Aktion ist nicht in den Hintergrund getreten; aber es ist sichtbar geworden, dass sie eine Basis braucht. Diese wurde vernachlässigt; man lebte von der Substanz."

Vom Politischen zum Heiligen - ob man Wolfgang Hubers Grundlegung gerne liest oder nicht, entscheidet sich daran, ob man diesen Wechsel kirchlicher Prioritäten für gelungen hält oder nicht.

Rezensiert von Kirsten Dietrich

Wolfgang Huber: Der christliche Glaube. Eine evangelische Orientierung
Gütersloher Verlagshaus 2008
288 Seiten, 19,95 Euro