Vom Politbarden zum Poeten

Moderation: Shelly Kupferberg |
Auch für politisch bewegte Menschen ist Liebe das Wichtigste, sie ist Grundlage dafür, sich überhaupt in den Streit der Welt einzumischen - das meint zumindest Liedermacher Wolf Biermann und hat daher die Liebesgedichte von William Shakespeare übersetzt und vertont.
Kupferberg: Herr Biermann, warum haben Sie sich mit Shakespeare beschäftigt?

Biermann: Weil sich alle mit ihm beschäftigen. Das ist das Unoriginellste, was man auf der Welt tun kann. Shakespeare ist nicht nur der größte Dramatiker - das weiß ja jeder Piesel -, sondern er hat auch die schönsten Gedichte geschrieben, die Liebesgedichte, die Sonette, an denen sich schon mancher versucht hat und die Zähne ausgebissen hat. Also habe ich diejenigen, die ich für die schönsten davon halte, ins Deutsche gebracht und auch vertont. Es sind Lieder daraus geworden, die ich jetzt vortrage. Morgen hat meine Frau mich vermietet an die Philharmonie in Essen, und da werde ich dann öffentlich diese schönen neuen Lieder von Shakespeare üben vor lebendigen Menschen.

Kupferberg: Sie sind mit diesem Shakespeare-Sonettenprogramm auf Tour durch Deutschland. Die Tourdaten werden wir in Deutschlandradio Kultur ein wenig später noch durchgeben. Im Jahr 1609 erschien in London dieser schmale Band mit 154 Liebesgedichten von William Shakespeare. Was war denn damals das Besondere, vielleicht sogar das Revolutionäre an diesen Sonetten?

Biermann: Die Sonettform wurde 250 Jahre vorher von Petrarca populär gemacht, aber er dichtete er immer eine Laura an, die er nie im Bett hatte, die er nie angefasst hat. Es fand alles nur im Himmel der Poesie statt. Shakespeare zieht diese Dinge runter auf die Erde, nicht etwa in den Schmutz, aber doch auf die platte Erde, auf der wir wirklich leben. So schildert er in seinen Sonetten das, was uns im Grunde am meisten interessiert, was Brecht in seinem Jargon das Spiel der Geschlechter nannte.

Kupferberg: "Verflucht der Tag", konnten wir da eben von Ihnen hören.

Biermann: Warum haben Sie denn das gerade ausgewählt?

Kupferberg: Warum nicht?

Biermann: Hat das was mit Ihnen zu tun?

Kupferberg: Das hat nichts mit mir zu tun. Das hat etwas mit uns allen, die wir an der Sendung gearbeitet haben, zu tun. Finden Sie es nicht schön?

Biermann: Doch, ich gebe selbstkritisch zu, das ist gut. Es ist sehr bewegend. Auch für politisch bewegte Menschen ist die Liebe das Wichtigste, aber aus einem anderen Grund als vielleicht mancher denkt. Ich habe in der DDR, als ich dort noch als Drachentöter wirkte mit meinem Holzschwert, allerdings mit den sechs klingenden Saiten drauf, einige Jahre gebraucht, bis ich kapierte, dass die Liebe zu einem einzelnen Menschenexemplar die Basis dafür ist, dass man sich überhaupt in den Streit der Welt einmischen kann. Wer nicht ruht in der Liebe zu diesem einen Menschen, der hat im Streit der Welt überhaupt keine Chance, der ist schon verloren, bevor er überhaupt angefangen hat, und das hat dieser Shakespeare schon vor 400 Jahren im Grunde tiefer begriffen als wir kleinen Anfänger damals.

Kupferberg: Ist das etwas, was Sie jetzt im Nachhinein über Shakespeare herausgefunden haben, oder hat Sie das vielleicht bewegt, diese Übersetzungen zu unternehmen?

Biermann: Na ja, es sind einfach Gedichte, an denen man auch, wenn man schon so viel verstanden hat, etwas Neues lernen kann. Übrigens habe ich bei der Gelegenheit auch erfahren, dass diese Sonette in Shakespeares Zeit selbst auch von jungen Leuten, von Damen zum Beispiel, die ja auch wissen wollten, wie das mit den Männern und den Frauen ist, gelesen wurden als eine Art, heute würde man sagen, Sexaufklärung, damit man lernt, wie kompliziert es ist, wie verrückt, wie verdreht, wie wunderbar und wie schrecklich es ist im Spiel der Geschlechter.

Kupferberg: Die Übersetzung stelle ich mir auch etwas komplizierter vor. Es haben sich schon viele sehr namhafte Menschen daran versucht, darunter Schlegel und Tieck.

Biermann: Halt, halt, halt, Schlegel und Tieck haben die Sonette nie gemacht. Sie haben die Stücke übersetzt, aber ich verstehe schon, im 19. Jahrhundert wurde Shakespeare übersetzt, und zwar im Stil der damaligen Zeit. Das heißt, die Gipfel wurden eingeebnet und die Täler wurden zugeschüttet.

Kupferberg: Und wie haben Sie sich herangetastet?

Biermann: Na ja, ich hatte auf jeden Fall den Ehrgeiz, es besser sowieso als jeder andere zu machen. Aber ich hatte den großen Ehrgeiz, es treuer zu machen als die anderen, und treuer heißt im Fall von Shakespeare, er ist viel unanständiger, er ist viel säuischer als wir dachten, und er ist auch viel erhabener, viel höher, viel nobler, im Hohen wie im Tiefen extremer als ich dachte.

Kupferberg: Und worin lagen für Sie die größten Schwierigkeiten?

Biermann: Dass ich nicht genug Deutsch kann. Das bisschen Englisch ist doch nicht das Problem. Die Kinder und die Laien, die noch nie darüber nachgedacht haben, die bilden sich ja im ersten Schreck ein, es ist eine Frage der englischen Sprache oder des alten Shakespeare-Englisch, das auch die heutigen Engländer nur unvollkommen verstehen. Nein, das ist nicht das Problem. Das Problem ist immer und ausschließlich die eigene Sprache, in die man übersetzt, in die man ein Gedicht bringen will. Man muss nämlich das Kunststück fertig bringen, das eigentlich gar nicht geht. So eine Nachdichtung und Übersetzung soll ja beides sein: Sie soll authentisch sein, das heißt, sie soll uns immer das liefern, was Shakespeare, der größte Dichter der Menschheit, uns geliefert hat, und gleichzeitig soll so eine Nachdichtung auch autark sein, das heißt, sie soll auf beiden Beinen auf die Welt kommen, ohne dass man Entschuldigungen hinzufügt, aber es ist ja nur eine Übersetzung. Es soll ein starkes, lebendiges deutsches Gedicht sein.

Kupferberg: Herzlichen Dank für das Gespräch.