Vom Patriarchen zum Wahlvater
Der Philosoph Dieter Thomä hat eine Kulturgeschichte der Vaterfigur vom Beginn der Moderne bis heute geschrieben. Er zeichnet darin den Niedergang des Patriarchats nach und stellt die vielen und oftmals problematischen Vaterfiguren und Vaterideale der letzten 300 Jahre dar. Er hat trotzdem ein Plädoyer für die Vaterschaft geschrieben.
Nicht alle Männer sind Väter – und gerade derzeit auch weniger, als es sich viele Demographen wünschen würden. Aber es gibt nach wie vor viele Väter – und vor allem auch viele verschiedene Arten von Vätern. Dass über die Vaterrolle nicht nur aktuell viel nachgedacht wird, sondern dass der Vater auch historisch eine wechselhafte Figur ist, das zeigt der Philosoph Dieter Thomä in seinem neuen Buch. Er zeichnet darin in einiger Breite die Kulturgeschichte und auch die politische Geschichte des Vaters nach.
Dazu gehört natürlich wesentlich die Geschichte jener politischen und sozialen Herrschaftsform, die auf der Macht des Vaters beruht, nämlich des Patriarchats. Dieses wurde im letzten Jahrhundert als Herrschaft des Mannes über die Frau vor allem von der Frauenbewegung scharf angegriffen und mehr oder weniger entmachtet. Thomä streift diesen Kampf nur am Rande; ihn interessiert das Patriarchat vor allem im Sinne der Herrschaft des Vaters über die Kinder. Seine Geschichte setzt am Ende des 17. Jahrhunderts ein mit der Kritik des politischen Philosophen John Locke an der alten patriarchalen Weltordnung und ihrer Legitimierung der absoluten Macht des Königs: wie Gott Vater über die Welt und seine Erdenkinder so herrscht der König über sein Volk und der Familienvater über seine Familie. Gegen diese metaphysischen drei Stufen patriarchaler Autorität setzte Locke in politischer Hinsicht die Idee eines Vertragsstaates, bei dem die Macht sich allein aus der Übereinkunft der Gemeinschaft legitimiert. Das Projekt der Moderne und der Emanzipation vom großen Vater hatte begonnen.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts und vor allem dann an dessen Ende mit der französischen Revolution verliert das politische Patriarchat weiter an Boden, alle Menschen werden "Brüder", der politische Vater wird geköpft und auch die Familienväter verlieren einen Teil ihrer politischen Macht über ihre Söhne (wenn auch noch nicht über ihre Frauen).
Im 19. Jahrhundert werden Väter folglich fehlbar, sie können sich irren; sie werden aber auch im Zuge der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrem privaten weiblichen Innenraum und ihren dem Mann zugedachten öffentlichen Aufgaben zunehmend abwesend und ziehen sich aus der Erziehung zurück – ein Entwicklung, die zum Beispiel der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi aktiv befürwortet, während Thomä keinen Zweifel daran lässt, dass sie verhängnisvoll war. Wenn Väter in den Familien noch auftauchen, dann als harte, strenge Hand – oft allerdings mit nur mehr geringem Erfolg oder gar mit tragischen Konsequenzen. Um 1900 lässt sich dann als Reaktion auf harte und abwesende Väter eine erneute Welle der Vater-Abschaffung feststellen, am sichtbarsten vielleicht in den Jugendbewegungen und den Männerbünden, deren großes Ideal wiederum die Brüderlichkeit war.
Für das 20. Jahrhundert schließlich diskutiert Thomä die Idee der Vaterschaft im Spannungsfeld der drei großen Ideologien Faschismus, Sozialismus und Kapitalismus, die er als alle mehr oder minder familienfeindlich sieht. Während der Nationalsozialismus ein Männerbild pflegte, das Vaterschaft kaum mehr vorsah, (der Mann sollte von der Familie losgelöst im Dienste des Staates stehen), experimentierte der Sozialismus der Sowjetunion von Anfang an mit der Abschaffung der Familie und Kollektivierung der Kindererziehung – Bewegungen, die allerdings im Zuge von Stalins "konservativer Wende" wieder zurückgenommen wurden. Was schließlich den Kapitalismus betrifft, so wurde und wird von seinen Theoretikern immer wieder darauf hingewiesen, dass ein reines Kosten-Nutzen-Kalkül weder Familienzusammenhalt herstellt noch für Kinder spricht.
Bis heute wird darum häufig die Familie als antiökonomisches Bollwerk idealisiert – eine oft konservative und selten realistische Einschätzung. Dass der kapitalistische Geist im ökonomischen Individualismus der Gegenwart noch sehr wirksam ist, ist klar; häufig hört man derzeit das Argument, dass sich Kinderkriegen ökonomisch nicht rechnet, dass man dafür auf andere Annehmlichkeiten verzichten müsse. Dagegen setzt Thomä die simple Überzeugung, dass Kinder überhaupt nicht in ein ökonomisches Kalkül passen, dass sich nicht umrechnen und schon gar nicht vergleichen lässt, wie viele Maßeinheiten Glück aus einem neuen Auto oder aber aus einem Kind entstehen.
Thomä lässt die immer wieder wechselnden Vater- und Familienbilder anschaulich und mit großer schreiberischer Leichtigkeit Revue passieren, er zeigt, wie sich gewisse Muster und Ideen immer wiederholen – vom strengen Vater zum abwesenden Vater zum gar-nicht-Vater zum Wunschvater und zurück. Dabei kann er nicht nur klassische Philosophen und Schriftsteller zitieren, sondern auch die Zeitschrift "Gala" und den Rapper Snoop Dogg.
Durch das ganze Buch zieht sich trotz der Darstellung so vieler problematischer und schwieriger Vaterideale ein unaufgeregtes Plädoyer für die Vaterschaft und die Vaterrolle hindurch, das selbst ohne große idealistische Schwünge auskommt. Mit lockeren Handgriffen und angenehm gesundem Menschenverstand rückt Thomä immer wieder vor dem historischen Hintergrund die hoch aufgeladenen zeitgenössischen Debatten um Elternschaft, Väter, Mütter und Kinder gerade, benennt die Angst vor Kinderkrippen als "bornierte Panikmache" oder lässt mit mildem Spott die Reden von der "guten alten Kleinfamilie" an den geschichtlichen Tatsachen zerschellen. Thomä findet weder, dass Männer wieder "Männer" werden müssen, noch dass eine ausgeglichene Verteilung von Kindererziehung und Haushaltsaufgaben zur "Verweiblichung" des Mannes führen muss oder soll. Der Vater als Herrscher ist längst von der Geschichte abgeschafft; der Vater als Erzieher, als Vorbild und als Träger von Autorität für seine Kinder, ist immer noch eine Herausforderung an jeden Einzelnen. Aber dass es schön ist, Vater zu sein, daran besteht für Thomä kein Zweifel.
Rezensiert von Catherine Newmark
Dieter Thomä, Väter. Eine moderne Heldengeschichte,
Carl Hanser Verlag, München 2008, 368 Seiten, 24,90 Euro
Dazu gehört natürlich wesentlich die Geschichte jener politischen und sozialen Herrschaftsform, die auf der Macht des Vaters beruht, nämlich des Patriarchats. Dieses wurde im letzten Jahrhundert als Herrschaft des Mannes über die Frau vor allem von der Frauenbewegung scharf angegriffen und mehr oder weniger entmachtet. Thomä streift diesen Kampf nur am Rande; ihn interessiert das Patriarchat vor allem im Sinne der Herrschaft des Vaters über die Kinder. Seine Geschichte setzt am Ende des 17. Jahrhunderts ein mit der Kritik des politischen Philosophen John Locke an der alten patriarchalen Weltordnung und ihrer Legitimierung der absoluten Macht des Königs: wie Gott Vater über die Welt und seine Erdenkinder so herrscht der König über sein Volk und der Familienvater über seine Familie. Gegen diese metaphysischen drei Stufen patriarchaler Autorität setzte Locke in politischer Hinsicht die Idee eines Vertragsstaates, bei dem die Macht sich allein aus der Übereinkunft der Gemeinschaft legitimiert. Das Projekt der Moderne und der Emanzipation vom großen Vater hatte begonnen.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts und vor allem dann an dessen Ende mit der französischen Revolution verliert das politische Patriarchat weiter an Boden, alle Menschen werden "Brüder", der politische Vater wird geköpft und auch die Familienväter verlieren einen Teil ihrer politischen Macht über ihre Söhne (wenn auch noch nicht über ihre Frauen).
Im 19. Jahrhundert werden Väter folglich fehlbar, sie können sich irren; sie werden aber auch im Zuge der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrem privaten weiblichen Innenraum und ihren dem Mann zugedachten öffentlichen Aufgaben zunehmend abwesend und ziehen sich aus der Erziehung zurück – ein Entwicklung, die zum Beispiel der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi aktiv befürwortet, während Thomä keinen Zweifel daran lässt, dass sie verhängnisvoll war. Wenn Väter in den Familien noch auftauchen, dann als harte, strenge Hand – oft allerdings mit nur mehr geringem Erfolg oder gar mit tragischen Konsequenzen. Um 1900 lässt sich dann als Reaktion auf harte und abwesende Väter eine erneute Welle der Vater-Abschaffung feststellen, am sichtbarsten vielleicht in den Jugendbewegungen und den Männerbünden, deren großes Ideal wiederum die Brüderlichkeit war.
Für das 20. Jahrhundert schließlich diskutiert Thomä die Idee der Vaterschaft im Spannungsfeld der drei großen Ideologien Faschismus, Sozialismus und Kapitalismus, die er als alle mehr oder minder familienfeindlich sieht. Während der Nationalsozialismus ein Männerbild pflegte, das Vaterschaft kaum mehr vorsah, (der Mann sollte von der Familie losgelöst im Dienste des Staates stehen), experimentierte der Sozialismus der Sowjetunion von Anfang an mit der Abschaffung der Familie und Kollektivierung der Kindererziehung – Bewegungen, die allerdings im Zuge von Stalins "konservativer Wende" wieder zurückgenommen wurden. Was schließlich den Kapitalismus betrifft, so wurde und wird von seinen Theoretikern immer wieder darauf hingewiesen, dass ein reines Kosten-Nutzen-Kalkül weder Familienzusammenhalt herstellt noch für Kinder spricht.
Bis heute wird darum häufig die Familie als antiökonomisches Bollwerk idealisiert – eine oft konservative und selten realistische Einschätzung. Dass der kapitalistische Geist im ökonomischen Individualismus der Gegenwart noch sehr wirksam ist, ist klar; häufig hört man derzeit das Argument, dass sich Kinderkriegen ökonomisch nicht rechnet, dass man dafür auf andere Annehmlichkeiten verzichten müsse. Dagegen setzt Thomä die simple Überzeugung, dass Kinder überhaupt nicht in ein ökonomisches Kalkül passen, dass sich nicht umrechnen und schon gar nicht vergleichen lässt, wie viele Maßeinheiten Glück aus einem neuen Auto oder aber aus einem Kind entstehen.
Thomä lässt die immer wieder wechselnden Vater- und Familienbilder anschaulich und mit großer schreiberischer Leichtigkeit Revue passieren, er zeigt, wie sich gewisse Muster und Ideen immer wiederholen – vom strengen Vater zum abwesenden Vater zum gar-nicht-Vater zum Wunschvater und zurück. Dabei kann er nicht nur klassische Philosophen und Schriftsteller zitieren, sondern auch die Zeitschrift "Gala" und den Rapper Snoop Dogg.
Durch das ganze Buch zieht sich trotz der Darstellung so vieler problematischer und schwieriger Vaterideale ein unaufgeregtes Plädoyer für die Vaterschaft und die Vaterrolle hindurch, das selbst ohne große idealistische Schwünge auskommt. Mit lockeren Handgriffen und angenehm gesundem Menschenverstand rückt Thomä immer wieder vor dem historischen Hintergrund die hoch aufgeladenen zeitgenössischen Debatten um Elternschaft, Väter, Mütter und Kinder gerade, benennt die Angst vor Kinderkrippen als "bornierte Panikmache" oder lässt mit mildem Spott die Reden von der "guten alten Kleinfamilie" an den geschichtlichen Tatsachen zerschellen. Thomä findet weder, dass Männer wieder "Männer" werden müssen, noch dass eine ausgeglichene Verteilung von Kindererziehung und Haushaltsaufgaben zur "Verweiblichung" des Mannes führen muss oder soll. Der Vater als Herrscher ist längst von der Geschichte abgeschafft; der Vater als Erzieher, als Vorbild und als Träger von Autorität für seine Kinder, ist immer noch eine Herausforderung an jeden Einzelnen. Aber dass es schön ist, Vater zu sein, daran besteht für Thomä kein Zweifel.
Rezensiert von Catherine Newmark
Dieter Thomä, Väter. Eine moderne Heldengeschichte,
Carl Hanser Verlag, München 2008, 368 Seiten, 24,90 Euro