Vom Online-Casting auf die große Bühne

Von Tarik Ahmia · 23.11.2010
Es ist das einzige Orchester, bei dem man sich ausschließlich im Internet bewerben kann. Tausende Hobbymusiker und Profis versuchen ihr Glück. Nach der viel beachteten Premiere im vergangenen Jahr gibt es nun eine Neuauflage des Youtube Sinfonieorchesters.
"Mein Name ist Olaf Meininger, ich bin Solocellist bei den Berliner Philharmonikern und wir freuen uns unglaublich, dieses innovative Projekt 'Youtube Symphony Orchestra' unterstützen zu dürfen. Ich möchte Euch ermuntern, Teil dieses wundervollen Projektes zu werden."

Für die Neuauflage seines Online-Sinfonieorchesters fährt das Videoportal Youtube viele große Namen aus der Klassikwelt auf: Die Berliner Philharmoniker unterstützen das Projekt ebenso wie das London Symphony Orchestra. Prominente Musikerinnen wie Anne-Sophie Mutter und der Pianist Lang Lang rufen in Online-Videos Menschen aus der ganzen Welt dazu auf, sich für das ungewöhnliche Orchester zu bewerben. Solisten der Spitzenorchester haben für Bewerber auch eigene Videos mit Übungstipps online gestellt.

"Ihr müsst nichts weiter tun, als ins Internet zu gehen, Euch Euren jeweiligen Instrumentenpart herunter laden. Und dann üben, üben, üben. Legt alles hinein, was Ihr habt, alles an Emotionen, alles an Seele und Eurer ganzes Können. Ladet das Video wieder hoch und mit etwas Glück seid Ihr vielleicht dabei, wenn diese Uraufführung zum ersten Mal zu Gehör gebracht wird."

Im vergangenen Jahr haben sich über 3000 Musiker aus mehr als 70 Ländern für die knapp 100 Orchesterplätze beworben. Auch diesmal werden die Profis von den Berliner Philharmonikern und dem London Symphony Orchestra eine Vorauswahl von etwa 300 Bewerberinnen treffen. Im Dezember sind dann die Youtube-Nutzer dran, wenn sie aus den Vorschlägen ihre Favoriten küren. Das letzte Wort hat dann der US-Star-Dirigenten Michael Tilson Thomas. Er leitet im Hauptberuf das San Francisco Symphony Orchestra und hat bereits vor einem Jahr die Premiere des Youtube Orchesters in New York dirigiert.

"Normalerweise werden klassische Musikprojekte mindestens ein oder zwei Jahre im Voraus geplant und dann wissen Sie genau, mit wem Sie etwas machen und wo und wie. Ich habe noch nie bei einem Projekt mitgemacht, bei dem alle sagten: Wir wissen nicht genau, was es ist und wer mitmachen wir, aber es findet in vier Monaten statt."

Diesmal werden die besten Musikerinnen zu einer Reise nach Australien eingeladen. Innerhalb einer Woche werden sie dort ein großes Konzert vorbereiten und es in der berühmten Sydney Opera aufführen. Vor einem Jahr konnte sich der Düsseldorfer Maurice Maurer als einziger Deutscher für das Youtube-Orchester qualifizieren. Für den studierten Geiger war die Reise nach New York ein nachhaltig positives Erlebnis.

"Was ich interessant fand war, dass viele verschiedene Menschen da waren. Es waren ja nicht nur alles professionelle Musiker, so wie ich das bin, sondern es gab einen Schönheitschirurgen, der mit mir in der ersten Geige saß oder auch in der Cellogruppe einen professionellen Pokerspieler. Es war ganz bunt gemischt… Diese Probentage waren relativ anstrengend, die waren zwar auch schön und ich habe viel erlebt, aber sie waren auch wirklich anstrengend, weil wir diese drei Tage wirklich komplett geprobt haben – von morgens bis spät abends.

Ich hatte das Gefühl beim Konzert, dass wirklich jeder da saß und wirklich mal zeigen wollte, wo es langgeht. Und jeder sein Bestes gegeben hat… Ich saß schon mit dem Gefühl da: Wir sind gut aufeinander eingestimmt, wir haben gut geprobt. Jetzt kann es mal richtig los gehen. Und Michael Tilson Thomas hat das so gut zusammengefasst, dass es hinterher ein wirklich einheitlicher Klang war."

Das Youtube-Erlebnis wirkt für Maurice Maurer, der mittlerweile mit seinem eigenen Quartett auftritt, bis heute nach. Wenn er etwa neue Engagements für sein Quartett verhandelt, bekommt er immer wieder zu hören:

"Ach, Herr Maurer, ich kenne Sie doch aus dem Fernsehen oder Internet. Sie brauchen mir doch überhaupt nichts zu erklären."

Wer nun für das neue Youtube Symphony Orchestra per Video vorspielen möchte, hat für sein Online-Casting noch bis Ende November Zeit. Dafür gibt es eine Auswahl mit Werken von Brahms, Berlioz, Schubert, Richard Strauss und Igor Stravinsky, die auch in Sidney aufgeführt werden. Für den Dirigenten Michael Tilson Thomas geht es bei dem Repertoire nicht nur um Kurzweiligkeit.

"Das Repertoire spiegelt die Geschichte der Musik, aber auch die vielen Länder, die wir im Projekt haben, die Altersstufen und Interessen."

Der deutsche Geiger Maurice Maurer rät potenziellen Bewerbern vor allem:

"Unbedingt mitmachen!"

Für das Vorspiel hat er noch zwei Tipps auf Lager:

"Es kommt auch auf den Spaß an, den man beim Video sieht. Man muss schon rüberbringen, dass das Freude macht das Musikmachen und nicht, dass man da so mit einem ernsten Gesicht da sitzt und diese Noten runterspielt, sondern man muss schon etwas transportieren.

Also ich kann eigentlich nur sagen, dass man das wirklich gut üben sollte. Man kann ruhig bis zum letzten Tag warten und es wirklich dann aufnehmen, dann hat man wirklich alles rausgeholt und alles gut geübt."

Den Dirigenten Michael Tilson Thomas begeistert vor allem, wie sich mit der Kraft der Musik als globale Sprache und den neuen Kooperationsmöglichkeiten des Internets der Freude, Kreativität und Kunst ganz neue Räume erschließen lassen.

"Die klassische Musik hat viel mehr Fans da draußen, als wir alle es ahnen. Dieses Projekt ist eine Chance, eine musikalische Gemeinschaft, ein Netzwerk zu bilden, in dem klassische Musik wieder Teil des täglichen Lebens wird. Und deshalb finde ich das Projekt so spannend."

Homepage Youtube Sinfonieorchester