Vom Musterkoffer bis zum Corporate Design
Heutzutage bestimmen Designer das Aussehen eines Produktes bis ins kleinste Detail. Dass das nicht immer so war, daran erinnert das Werkbundarchiv Berlin. Zum 100-jährigen Jubiläum des Archivs zeigt die Ausstellung „Kampf der Dinge“ die Anfänge des Designs.
Wo hört das Archiv auf? Wo fängt die Ausstellung an? Fließende Übergänge. Alle 20.000 Objekte sind Teil einer unendlichen Geschichte, die vom guten und schlechten Design erzählt. In der Ausstellung „Kampf der Dinge“ schieben sich jetzt einzelne Exponate aus dem Archiv in den Vordergrund. Ausstellungskuratorin Renate Flagmeier.
„Das Ganze ist angelegt wie so ein offenes Depot. Die Randseite bezieht sich auf Sachkultur des 20. Jahrhunderts, die jetzt nicht direkt unmittelbar werkbundrelevant ist, und in dieser Mittelachse ist eher die argumentie¬rende Linie. Also während das der Aufbewahrungsmodus ist am Rand, ist es in der Mittelachse die argumentierende Linie zur Geschichte, und die eben in diesen Vor- und Gegenbildern strukturiert ist."“
Gutes und schlechtes Design. Vor knapp 100 Jahren hat das Aussortieren angefangen, als in München der Werkbund gegründet wurde. Damals hatten Künstler und Industrielle genug von schlecht gestalteter Stapelware. Gründungsvater Hermann Muthesius kümmerte sich um Fragen der Typisierung, und Henry van de Velde wollte das Handwerk künstlerisch erneuern. Gleich am Eingang der Ausstellung sind zwei Schreibtische zu sehen, die den Gegensatz deutlich machen: Ein edel geformtes Möbel von van de Velde und ein spröder Schreibtisch von Hermann Münchhausen, der sich wie Muthesius der Normierung verschrieben hatte. Doch ob Handwerk oder Industrie, die heimische Produktion sollte ein neues Gesicht bekommen.
„Die deutsche Produktkultur hatte einen sehr schlechten Ruf zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Es fiel sehr stark ab eben von englischer und französischer Produktkultur, und in diesem Kontext war es tatsächlich eine nationalökonomische Frage, die Qualität der deutschen Produkt¬kultur nach vorne zu bringen.“
Mit einer zeitgemäßen, sachlichen Gestaltung wollte der Werkbund neue Maßstäbe setzen. Gestalter, die noch nicht Designer hießen, Industrielle und Verbraucher brachen auf in eine neue Zeit. Man wehrte sich gegen Kitsch und Schund, stattdessen stand die gute Form auf dem Programm. Ausstellungskuratorin Imke Volkers.
„Hier zeigen wir angelehnt an eine Sammlung von Gustav Pazaurek einen Schrank von Surrogaten und Imitaten, sprich Gegenbildern, bestehend aus Pressglas, Tierlederimitaten, Marmorimitationen und Dekorfehlern und Materialfehlern und Konstruktionsfehlern, angelehnt an diese Samm¬lung von Pazaurek, die er in Stuttgart im Landesmuseum für Kunst und Gewerbe angelegt hatte.“
Eine Schreckenskammer des schlechten Geschmacks. Der Architekt und Produktgestalter Peter Behrens kümmerte sich als erster bei der AEG um einen einheitlichen Geschäftsauftritt. Vom Bollerofen bis zum Briefpapier trug alles seine Handschrift. Auch seine Produkte sind in der Ausstellung zu sehen. Sie ist eine Wunderkammer für Jedermann. Je älter die Besucher sind, umso mehr dürfen sie in Erinnerungen schwelgen. Bei mir reicht´s bis in die 50er Jahre. Der betreffende Ausstellungsschrank ist ein echter Albtraum in gelb und schwarz. Er zeigt, was es damals so gab: Lurchi von Salamander steht im Regal, daneben liegen die gelb-schwarzen Tuben mit Uhu-Kleber und schräge Schalen für krumme Erdnussflipps. Gelbschwarze Eierwärmer, Vasen und Teller werden zu Kitsch-Ikonen einer Alltagskultur, von der sich der Werkbund stets abgrenzen wollte. Renate Flagmeier.
„Es gibt ja immer diese Richtung, die man eher fokussiert und mit dem Werkbund in Zusammenhang bringt, die moderne Formgestaltung, die Sachlichkeit, die Funktionalität von Dingen, das Puristische. Und ein anderer Aspekt, der ja auch ganz entscheidend ist als Richtung innerhalb des Werkbundes, ist die Entwicklung von Marken und Gestaltung von Produktverpackungen und Reklame, und das ist ja so eine Erscheinung überhaupt am Anfang des 20. Jahrhunderts, wie sich das verändert und sich vor die Substanz die Marke schiebt.“
Plötzlich hieß es nicht mehr Soda, Sand und Seife, sondern Persil, Ata und Imi. Die Ausstellung zeigt auch die Geschichte des Verpackungsdesigns: Tintenfässer von Pelikan, Pappschachteln für Leibniz-Kekse oder Blechdosen für Kaffeebohnen. Das große Jahrhundert der Markenprodukte ist auf dem Kreuzberger Laufsteg.
In den 50er und 60er Jahren zogen Werkbund-Jünger mit Musterkoffern durch die Klassenzimmer, um auch dort für guten Geschmack zu werben. „Der gut gedeckte Tisch“ war ein Thema, andere Musterkoffer zeigten den idealen Schreibtisch oder beschäftigten sich mit Glas oder Porzellan. Das waren skurrile Erziehungsversuche, doch die Koffer wurden im Dienst einer neu gewonnenen Freiheit gepackt.
„Die 50er Jahre waren noch einmal eine ganz starke Zeit für den Werkbund, wo nach dieser Katastrophe, Zweiter Weltkrieg und Nazizeit, im Grunde auch wieder die deutsche Produktkultur überhaupt wieder hoffähig gemacht werden sollte. Und mit der guten Form, der sowohl ästhetisch auch moralisch gemeinten guten Form, das sollte als Botschafter fungieren für das bessere Deutschland, wenn man so will. Und da eignen sich natürlich hervorragend die Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld oder das Braun-Design, also die Dinge sozusagen als Botschafter des besseren Deutschland.“
Was kann der Werkbund uns noch sagen? Als Lobbyistenverein funktioniert er nicht mehr. Auch Verbraucher orientieren sich anders. Stiftung Warentest und Verbraucherzentralen helfen in jeder Not, Ikea wird zum Durchschnittsstandard bei Einrichtungsfragen, und für traditionsbewusste Gemüter gibt es den Edelversand von Manufactum. Auch an Lob und Kritik wird nirgends gespart: Marktfähiges Design wird Jahr für Jahr von Verbänden und Designzentren mit Preisen bedacht, und Plagiate und Nippes werden lautstark verteufelt. Trotzdem ist moralisches Know-how beim Werkbund verblieben. Noch immer meldet er sich zu Wort, wenn die bunte Warenwelt auf dem Prüfstand steht und die Moral der Dinge zum öffentlichen Thema wird.
Links:
Werkbundarchiv Berlin. Museum der Dinge
Pinakothek der Moderne, München. Ausstellung 100 Jahre Werkbund
Deutscher Werkbund
„Das Ganze ist angelegt wie so ein offenes Depot. Die Randseite bezieht sich auf Sachkultur des 20. Jahrhunderts, die jetzt nicht direkt unmittelbar werkbundrelevant ist, und in dieser Mittelachse ist eher die argumentie¬rende Linie. Also während das der Aufbewahrungsmodus ist am Rand, ist es in der Mittelachse die argumentierende Linie zur Geschichte, und die eben in diesen Vor- und Gegenbildern strukturiert ist."“
Gutes und schlechtes Design. Vor knapp 100 Jahren hat das Aussortieren angefangen, als in München der Werkbund gegründet wurde. Damals hatten Künstler und Industrielle genug von schlecht gestalteter Stapelware. Gründungsvater Hermann Muthesius kümmerte sich um Fragen der Typisierung, und Henry van de Velde wollte das Handwerk künstlerisch erneuern. Gleich am Eingang der Ausstellung sind zwei Schreibtische zu sehen, die den Gegensatz deutlich machen: Ein edel geformtes Möbel von van de Velde und ein spröder Schreibtisch von Hermann Münchhausen, der sich wie Muthesius der Normierung verschrieben hatte. Doch ob Handwerk oder Industrie, die heimische Produktion sollte ein neues Gesicht bekommen.
„Die deutsche Produktkultur hatte einen sehr schlechten Ruf zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Es fiel sehr stark ab eben von englischer und französischer Produktkultur, und in diesem Kontext war es tatsächlich eine nationalökonomische Frage, die Qualität der deutschen Produkt¬kultur nach vorne zu bringen.“
Mit einer zeitgemäßen, sachlichen Gestaltung wollte der Werkbund neue Maßstäbe setzen. Gestalter, die noch nicht Designer hießen, Industrielle und Verbraucher brachen auf in eine neue Zeit. Man wehrte sich gegen Kitsch und Schund, stattdessen stand die gute Form auf dem Programm. Ausstellungskuratorin Imke Volkers.
„Hier zeigen wir angelehnt an eine Sammlung von Gustav Pazaurek einen Schrank von Surrogaten und Imitaten, sprich Gegenbildern, bestehend aus Pressglas, Tierlederimitaten, Marmorimitationen und Dekorfehlern und Materialfehlern und Konstruktionsfehlern, angelehnt an diese Samm¬lung von Pazaurek, die er in Stuttgart im Landesmuseum für Kunst und Gewerbe angelegt hatte.“
Eine Schreckenskammer des schlechten Geschmacks. Der Architekt und Produktgestalter Peter Behrens kümmerte sich als erster bei der AEG um einen einheitlichen Geschäftsauftritt. Vom Bollerofen bis zum Briefpapier trug alles seine Handschrift. Auch seine Produkte sind in der Ausstellung zu sehen. Sie ist eine Wunderkammer für Jedermann. Je älter die Besucher sind, umso mehr dürfen sie in Erinnerungen schwelgen. Bei mir reicht´s bis in die 50er Jahre. Der betreffende Ausstellungsschrank ist ein echter Albtraum in gelb und schwarz. Er zeigt, was es damals so gab: Lurchi von Salamander steht im Regal, daneben liegen die gelb-schwarzen Tuben mit Uhu-Kleber und schräge Schalen für krumme Erdnussflipps. Gelbschwarze Eierwärmer, Vasen und Teller werden zu Kitsch-Ikonen einer Alltagskultur, von der sich der Werkbund stets abgrenzen wollte. Renate Flagmeier.
„Es gibt ja immer diese Richtung, die man eher fokussiert und mit dem Werkbund in Zusammenhang bringt, die moderne Formgestaltung, die Sachlichkeit, die Funktionalität von Dingen, das Puristische. Und ein anderer Aspekt, der ja auch ganz entscheidend ist als Richtung innerhalb des Werkbundes, ist die Entwicklung von Marken und Gestaltung von Produktverpackungen und Reklame, und das ist ja so eine Erscheinung überhaupt am Anfang des 20. Jahrhunderts, wie sich das verändert und sich vor die Substanz die Marke schiebt.“
Plötzlich hieß es nicht mehr Soda, Sand und Seife, sondern Persil, Ata und Imi. Die Ausstellung zeigt auch die Geschichte des Verpackungsdesigns: Tintenfässer von Pelikan, Pappschachteln für Leibniz-Kekse oder Blechdosen für Kaffeebohnen. Das große Jahrhundert der Markenprodukte ist auf dem Kreuzberger Laufsteg.
In den 50er und 60er Jahren zogen Werkbund-Jünger mit Musterkoffern durch die Klassenzimmer, um auch dort für guten Geschmack zu werben. „Der gut gedeckte Tisch“ war ein Thema, andere Musterkoffer zeigten den idealen Schreibtisch oder beschäftigten sich mit Glas oder Porzellan. Das waren skurrile Erziehungsversuche, doch die Koffer wurden im Dienst einer neu gewonnenen Freiheit gepackt.
„Die 50er Jahre waren noch einmal eine ganz starke Zeit für den Werkbund, wo nach dieser Katastrophe, Zweiter Weltkrieg und Nazizeit, im Grunde auch wieder die deutsche Produktkultur überhaupt wieder hoffähig gemacht werden sollte. Und mit der guten Form, der sowohl ästhetisch auch moralisch gemeinten guten Form, das sollte als Botschafter fungieren für das bessere Deutschland, wenn man so will. Und da eignen sich natürlich hervorragend die Entwürfe von Wilhelm Wagenfeld oder das Braun-Design, also die Dinge sozusagen als Botschafter des besseren Deutschland.“
Was kann der Werkbund uns noch sagen? Als Lobbyistenverein funktioniert er nicht mehr. Auch Verbraucher orientieren sich anders. Stiftung Warentest und Verbraucherzentralen helfen in jeder Not, Ikea wird zum Durchschnittsstandard bei Einrichtungsfragen, und für traditionsbewusste Gemüter gibt es den Edelversand von Manufactum. Auch an Lob und Kritik wird nirgends gespart: Marktfähiges Design wird Jahr für Jahr von Verbänden und Designzentren mit Preisen bedacht, und Plagiate und Nippes werden lautstark verteufelt. Trotzdem ist moralisches Know-how beim Werkbund verblieben. Noch immer meldet er sich zu Wort, wenn die bunte Warenwelt auf dem Prüfstand steht und die Moral der Dinge zum öffentlichen Thema wird.
Links:
Werkbundarchiv Berlin. Museum der Dinge
Pinakothek der Moderne, München. Ausstellung 100 Jahre Werkbund
Deutscher Werkbund