Vom Mantel und Degen zur dicken Lippe
Am Sonntag findet das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel statt. Deutschlandradio Kultur wirft darum einen Blick auf die Geschichte dieses Zweikampfs. Von "Spiel mir das Lied vom Tod" bis "Zauberberg" können auch Film und Literatur mit zahlreichen Beispielen aufwarten.
Duelle bieten Stoff für die ganz großen Geschichten. So wie bei "Spiel mir das Lied vom Tod". Erst wartet man endlos auf die Stunde der Entscheidung, dann steht man Auge in Auge mit dem Feind. Worte sind jetzt fehl am Platz.
Ausschnitt aus Hörspiel Der Zauberberg:
" – Meine Herren, ich bin überzeugt …
– Sie werden Ihre Überzeugungen ein andermal entwickeln. Die Waffen, wenn ich bitten darf.
Schuss "
Ganz anders beim TV-Duell. Beide Kontrahenten bleiben am Leben und Worte sind die einzigen Waffen. Müsste in einer Demokratie dieses Ringen um die besten Argumente und Lösungen nicht eigentlich TV-Konzert genannt werden – im Sinne von concertare, wetteifern? Aber nein, die Fernsehinszenierung will die Dramatik. Deswegen: Duell.
"Meine Braut, du leidest, aber ich kann hier nicht weg, bevor ich Frank Miller erschossen habe." – So sieht sich der Duellant gerne: wie Gary Cooper im Westernklassiker "High Noon". Eigentlich ist er ja die Friedensliebe in Person. Er wünscht sich nichts mehr, als mit seiner Braut auf die Ranch zu gehen und ein ruhiges Leben zu führen. Aber jetzt, wo der Mörder zurück in die Stadt kommt, gelten Pflicht und Ehre mehr als Ruhe und Eigennutz: Er muss sich stellen.
Ausschnitt aus Hörspiel "Der Zauberberg":
" Kurzum: Ich stehe diesem Herrn zur Verfügung."
Ehre – persönliche Ehre, Familienehre, Standesehre. Dieses kleine Wörtchen, das heute etwas aus der Mode gekommen ist, hat ungefähr seit dem Ende des 15. Jahrhunderts ungezählte(n) Menschen das Leben gekostet. Und doch galt das Duell seinen Befürwortern als Zeichen einer verfeinerten Zivilisiertheit. Anstatt bei einem Streit sofort aufeinander einzudreschen, führte man die Auseinandersetzung nach einem Zeremoniell, das so kompliziert und traditionsbeladen war wie die höfische Etikette. Zudem war die Satisfaktionsfähigkeit, also das Recht zum Duell, den höheren Ständen vorbehalten. Das wohlhabende Bürgertum musste sie sich erst langwierig erstreiten. Beim Duell ging es also nicht nur um die Wiederherstellung der Ehre; es war auch eine Ehre, daran teilnehmen zu dürfen. Trotzdem können weder Samthandschuhe noch Sekundanten darüber hinwegtäuschen, worum es – zumindest in der scharfen Variante des Duells – eigentlich ging.
Ausschnitt aus Hörspiel "Der Zauberberg":
" Man sollte ihn erschlagen, den Schweinehund."
Egal, ob wildes Gemetzel mit der Axt oder vornehmer Schusswechsel mit der Pistole – Töten bleibt Töten. Im 19. Jahrhundert ließen viele auch bekannte Persönlichkeiten ihr Leben in Ehrgefechten, etwa der Arbeiterführer Ferdinand Lasalle oder der Dichter Alexander Puschkin, dessen Versroman Eugen Onegin selbst ein Duell zum Mittelpunkt hat. Die Literatur wurde überhaupt zum Gradmesser dafür, wie hohl der Ehrenkodex des Duells geworden war – falls er überhaupt jemals Substanz besessen hatte. Arthur Schnitzlers "Leutnant Gustl" und Theodor Fontanes "Effie Briest" etwa zeigen das Duell als komplett sinnentleerte Konvention. Am Ende des Ersten Weltkriegs war es als Massenerscheinung endlich verschwunden – das Pistolengefecht zwischen Naphta und Settembrini in Thomas Manns "Zauberberg" kann als sein literarischer Abgesang gelten.
Ausschnitt aus Hörspiel Der Zauberberg:
" – Wir beginnen. Gehen Sie vor, mein Herr, und schießen Sie.
Schuss
– Sie haben in die Luft geschossen.
– Ich schieße, wohin es mir beliebt!"
Bei Thomas Mann ist das Ende tragisch. Im wirklichen Leben waren aber nicht wenige Kontrahenten so klug, absichtlich vorbeizuschießen. Solche Auseinandersetzungen haben noch am ehesten Ähnlichkeit mit dem, was jetzt TV-Duell genannt wird und doch zum größten Teil einfach nur ein Austausch von Wahlkampfphrasen ist. Was davon zurückbleibt, ist in beiden Fällen etwas Pulverdampf und – heiße Luft.
Service:
Das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel wird live am Sonntag, 4. September, 20.30 Uhr von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 ausgestrahlt.
Ausschnitt aus Hörspiel Der Zauberberg:
" – Meine Herren, ich bin überzeugt …
– Sie werden Ihre Überzeugungen ein andermal entwickeln. Die Waffen, wenn ich bitten darf.
Schuss "
Ganz anders beim TV-Duell. Beide Kontrahenten bleiben am Leben und Worte sind die einzigen Waffen. Müsste in einer Demokratie dieses Ringen um die besten Argumente und Lösungen nicht eigentlich TV-Konzert genannt werden – im Sinne von concertare, wetteifern? Aber nein, die Fernsehinszenierung will die Dramatik. Deswegen: Duell.
"Meine Braut, du leidest, aber ich kann hier nicht weg, bevor ich Frank Miller erschossen habe." – So sieht sich der Duellant gerne: wie Gary Cooper im Westernklassiker "High Noon". Eigentlich ist er ja die Friedensliebe in Person. Er wünscht sich nichts mehr, als mit seiner Braut auf die Ranch zu gehen und ein ruhiges Leben zu führen. Aber jetzt, wo der Mörder zurück in die Stadt kommt, gelten Pflicht und Ehre mehr als Ruhe und Eigennutz: Er muss sich stellen.
Ausschnitt aus Hörspiel "Der Zauberberg":
" Kurzum: Ich stehe diesem Herrn zur Verfügung."
Ehre – persönliche Ehre, Familienehre, Standesehre. Dieses kleine Wörtchen, das heute etwas aus der Mode gekommen ist, hat ungefähr seit dem Ende des 15. Jahrhunderts ungezählte(n) Menschen das Leben gekostet. Und doch galt das Duell seinen Befürwortern als Zeichen einer verfeinerten Zivilisiertheit. Anstatt bei einem Streit sofort aufeinander einzudreschen, führte man die Auseinandersetzung nach einem Zeremoniell, das so kompliziert und traditionsbeladen war wie die höfische Etikette. Zudem war die Satisfaktionsfähigkeit, also das Recht zum Duell, den höheren Ständen vorbehalten. Das wohlhabende Bürgertum musste sie sich erst langwierig erstreiten. Beim Duell ging es also nicht nur um die Wiederherstellung der Ehre; es war auch eine Ehre, daran teilnehmen zu dürfen. Trotzdem können weder Samthandschuhe noch Sekundanten darüber hinwegtäuschen, worum es – zumindest in der scharfen Variante des Duells – eigentlich ging.
Ausschnitt aus Hörspiel "Der Zauberberg":
" Man sollte ihn erschlagen, den Schweinehund."
Egal, ob wildes Gemetzel mit der Axt oder vornehmer Schusswechsel mit der Pistole – Töten bleibt Töten. Im 19. Jahrhundert ließen viele auch bekannte Persönlichkeiten ihr Leben in Ehrgefechten, etwa der Arbeiterführer Ferdinand Lasalle oder der Dichter Alexander Puschkin, dessen Versroman Eugen Onegin selbst ein Duell zum Mittelpunkt hat. Die Literatur wurde überhaupt zum Gradmesser dafür, wie hohl der Ehrenkodex des Duells geworden war – falls er überhaupt jemals Substanz besessen hatte. Arthur Schnitzlers "Leutnant Gustl" und Theodor Fontanes "Effie Briest" etwa zeigen das Duell als komplett sinnentleerte Konvention. Am Ende des Ersten Weltkriegs war es als Massenerscheinung endlich verschwunden – das Pistolengefecht zwischen Naphta und Settembrini in Thomas Manns "Zauberberg" kann als sein literarischer Abgesang gelten.
Ausschnitt aus Hörspiel Der Zauberberg:
" – Wir beginnen. Gehen Sie vor, mein Herr, und schießen Sie.
Schuss
– Sie haben in die Luft geschossen.
– Ich schieße, wohin es mir beliebt!"
Bei Thomas Mann ist das Ende tragisch. Im wirklichen Leben waren aber nicht wenige Kontrahenten so klug, absichtlich vorbeizuschießen. Solche Auseinandersetzungen haben noch am ehesten Ähnlichkeit mit dem, was jetzt TV-Duell genannt wird und doch zum größten Teil einfach nur ein Austausch von Wahlkampfphrasen ist. Was davon zurückbleibt, ist in beiden Fällen etwas Pulverdampf und – heiße Luft.
Service:
Das TV-Duell zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel wird live am Sonntag, 4. September, 20.30 Uhr von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 ausgestrahlt.