Vom Lumpensammler zum Millionär
Die Bolivianer wählen am Wochenende einen neuen Präsidenten – ein Thema des Wahlkampfes ist der Schmuggel mit alten Kleidern. Zwar hat das Land den Import der gebrauchten Kleidung verboten. Doch genützt hat das bisher wenig.
Second-Hand-Ware aus den USA und aus Europa. Das Geschäft boomt. Die Menschen drängen sich in den Läden, wo Umkleidekabinen fehlen, und die Käufer hinter einem auf einer Wäscheleine aufgehängten Bettlaken Röcke und Blusen anprobieren. Die Etiketten verraten die Ursprungsländer.
Was diese Seidenbluse kostet? 48 Bolivianos, meint die Verkäuferin, umgerechnet sechs Euro. Aber sie lässt mit sich reden: 45 Bolivianos – so das Angebot. Die Bluse, ist zu groß. Aber sie hat eine ähnliche, eine Nummer kleiner. Für vier Euro wird das Geschäft besiegelt. Rechnung oder Quittung? Nein, so etwas hat sie nicht! „Wir verwenden das vereinfachte Buchungswesen“, sagt sie lakonisch.
Das „vereinfachte Buchungswesen“ gibt es tatsächlich im bolivianischen Finanzrecht. Kleinunternehmer und Straßenhändler sind von der Zahlung der Mehrwertsteuer ausgenommen und der Fiskus verzichtet auf die Vorlage von Belegen. Sie zahlten praktisch keine Steuern, und die Volkswirtschaft verliere ein Vermögen, schimpft deshalb Porfirio Quispe, ein Textilunternehmer in La Paz.
„Bolivien hat in den Jahren 2000 bis 2005 über 500 Millionen Dollar verloren, 80 Millionen jährlich. Unsere Leute verlassen unser Land, um in Argentinien und Brasilien wie Sklaven zu arbeiten.“
Was in den reichen Ländern gesammelt wird, um den Armen der Dritten Welt zu helfen, habe in Bolivien 120.000 Arbeitsplätze vernichtet, rechnet Quispe vor. Er leitet, unter dem Dach der Industrie- und Handelskammer, das „Komitee zur Verteidigung der nationalen Industrie“.
Die Kammer führt seit vielen Jahren eine Kampagne gegen den Import von gebrauchten Kleidern. Bolivien sei zwar ein armes Land, doch auch ohne die abgelegte Garderobe aus dem Norden müsse niemand nackt herumlaufen.
„In den Achtzigerjahren existierte hier kein Second-Hand-Markt. Damals kamen die Bauern in die besseren Stadtviertel und boten ihre Produkte an, Kartoffeln, Käse, Hühner und Gemüse. Als Gegenleistung erhielten sie die aufgetragene Kleidung. Das war ein Tauschgeschäft zwischen Bolivianern. Dann jedoch brach das globale Geschäft mit den Lumpen über uns hinein. Zuerst verteilten die Kirchen diese Kleider kostenlos, als Spende an die Armen. Aber aus der Wohltätigkeit wurde sehr schnell ein Markt, der überall im Lande boomt. Die Kleidung muss, bevor sie verkauft wird, aufbereitet, repariert, genäht, gewaschen und gebügelt werden. Die Kirchen bezahlen für die Arbeit in Form von Kleidungsstücken, die die Leute dann auf eigene Rechnung verkaufen.“
Der 37-Jährige ist gelernter Schneider. In einem Shoppingcenter am Prado bietet er Lederwaren, Maßanfertigungen in Nappa, Schaf und Ziege an. Das Geschäft laufe schlecht, er sei nicht konkurrenzfähig. Jedes Jahr gelangten Container mit Millionen getragener T-Shirts, Schlüpfer, Jeans und Hemden nach Bolivien.
„1993 habe ich meine erste Firma gegründet. Ich habe sie mit Bankkrediten finanziert und konnte meinen Laden relativ schnell ausbauen. 97/ 98 waren für mich goldene Jahre, mit 35 festen Angestellten in der Werkstatt und fünf Bürokräften. Aber dann tauchte ab dem Jahr 2000 die preiswerte Second-Hand-Ware auf. So billig konnte ich nicht produzieren. Heute habe ich zwei Angestellte und ein Dutzend Maschinen, die in der Werkstatt verstauben. Nur noch eine oder zwei Nähmaschinen sind in Betrieb. Ich fertige heute ein bis zwei Stücke an, früher kam ich auf vierzig und mehr, jeden Tag.“
Dieser globale Lumpenhandel ist seit Jahren Streitpunkt in der bolivianischen Innenpolitik. Die einen betrachten ihn als unlautere Konkurrenz aus dem Ausland. Der Sprecher der Schmuggler hingegen, Jorge Ugarte, pocht auf das Gewohnheitsrecht:
„Wir haben das schon immer so gemacht und werden das so weiter machen. Da soll sich keiner beschweren.“
Morales hatte versprochen, den Handel mit Second-Hand-Kleidung zu unterbinden – so wie auch viele andere lateinamerikanische Regierungen die Einfuhr verbieten.
„Am Anfang seiner Regierung setzte sich Präsident Morales mit uns zusammen, denn er wollte Arbeitsplätze im produktiven Bereich schaffen. Er wusste, dass Schmuggel im großen Stil die einheimische Industrie zerstört. 2006 verbot er per Dekret die Einfuhr gebrauchter Kleidung. Er gab den Importeuren eine Frist von sechs Monaten, um auf andere Produkte umzusatteln. Ein staatlicher Fonds sollte den Importeuren beim Umsatteln helfen. Und er untersagte auch den Handel mit gebrauchten Kleidern.“
Zwischen 12 und 15 Familienclans zögen, die Fäden, meint Unternehmer Quispe, dazu komme ein Heer von Schiebern, Händlern und Helfershelfern. Der Schmuggel sei lukrativer als je zuvor und der Reichtum der Importeure nur noch mit dem der Rauschgifthändler zu vergleichen.
German Mamani hat eine kleine Werkstatt in El Alto, oberhalb von La Paz. Zwei mal die Woche ist in El Alto Markt, wo Waren aller Art feil geboten werden: Autoreifen, Elektrogeräte, Möbel und natürlich: Second-Hand-Klamotten. So gut wie alles ist illegal ins Land gekommen. Heute ist nicht Markttag, und man kann sich auf den Bürgersteigen bewegen. Am Straßenrand werden Suppen und Sandwiches angeboten. Hunde streunen herum und schnüffeln in Mülltüten, Omnibusse verpesten die Luft. La Paz ist eine arme Stadt, aber El Alto ist noch viel ärmer.
German steckt einen rostigen Schlüssel ins Eisentor. Von außen verrät nichts, dass sich dahinter eine Firma verbirgt.
Auf einem Schreibtisch in einem fensterlosen Raum stapeln sich Aktenordner und Stoffproben. Auch German ist auf die Second-Hand-Händler nicht gut zu sprechen. Er stellt unter anderem Pullover für den lokalen Markt her und muss mit den Importeuren konkurrieren. Germans Maschinen sind alt. Mit ihnen lässt sich keine Spitzen-Qualität produzieren.
„Das ist ein Teufelskreis. Um moderne Maschinen anzuschaffen, bräuchte ich Kredite, die ich mit künftigen Einnahmen zurückzahlen muss. Ich mache aber zu wenig Gewinn. Hier, sehen Sie, handgefertigte Handschuhe. Die stricken unsere Hausfrauen, in Heimarbeit. Das ist für sie sehr bequem, denn sie sind flexibel und können sich ihre Zeit frei einteilen. Sie versorgen nebenher ihre Kinder, kochen und putzen. Für uns stricken sie zu Hause, wenn sie eine freie Minute haben.
Pro Paar brauchen sie einen Tag, je nachdem, wie viel Zeit ihnen die Familie lässt. Wir bezahlen nicht nach Stunden sondern nach abgelieferten Stücken, 20 Bolivianos pro Paar, umgerechnet drei Euro. Wir geben ihnen die Wolle und die Modelle und nehmen ihnen die fertigen Stücke ab.“
German führt durch die Werkstatt: ein Schuppen mit mehreren Nähmaschinen. Nur drei Leute sind heute gekommen, es ist Montag, da ist das immer so. Eine Näherin sitzt vor einem halbfertigen Poncho. Vier Teile werden zugeschnitten und zusammengenäht. Sie sind für den lokalen Markt, werden auch von Touristen gekauft. Das Material ist aus Alpaka-Wolle oder „Seide“, meint die junge Frau. Seide ist hierzulande ein synthetischer Stoff und steht für: nicht grob.
Monica arbeitet seit drei Jahren in der Qualitätskontrolle. Sie ist 23 Jahre alt, ohne Kinder.
Diese Stola ist gerade fertig geworden, erzählt Monica. Die einheimischen Frauen tragen sie gerne am Wochenende. Sie kostet 30 Dollar. Poncho und Stola werden nur hier getragen, da gibt es keine Konkurrenz.
Ihr Kollege Santiago sitzt seit einem Jahr vor der Stickmaschine. Er näht Tischdecken und Stolas.
„Ich erhalte keinen Stundenlohn sondern werde nach Stückzahl entlohnt. Auf was ich es im Monat bringen kann? Maximal komme ich auf 1200 Bolivianos, 150 Dollar. Das ist sehr wenig Geld und jeden Tag steigen die Preise. Ich verstehe die Leute, die Second-Hand-Waren verkaufen, die ist billiger und die Leute haben kein Geld. Was wir hier herstellen, ist teurer. Aber ein Verbot ist nicht einfach durchzusetzen.“
Die Kunden schätzen die Second-Hand-Waren nicht nur wegen des Preises. Sie sind auch modischer als die groben Wollpullover aus heimischer Produktion. Laut einer Umfrage verfügen über siebzig Prozent der Käufer über ein mittleres Einkommen, drei Prozent sind sogar reich und nur ein Viertel arm. Wenn sie die Jeans und Blusen anziehen wollen, die sie im Fernsehen sehen, dann geht dies am einfachsten über Second Hand – so Jorge Ugarte.
„Es ist doch nicht nur gebrauchte Kleidung, die ins Land kommt, sondern auch neue Ware. Wir leben hier auf der südlichen Halbkugel, und wenn hier Winter ist, dann ist in Europa oder den USA schon Sommer und die Winterkollektion wird nicht mehr gebraucht. Was sie bis zum Frühling nicht verkauft haben, schicken sie her. Neue Klamotten oder fast neue, die nicht mehr der letzte Schrei sind. Natürlich ist auch Schund dabei, den woanders niemand kaufen will. Aber die Bolivianer sind so arm, dass sie sich nur diesen Schund leisten können. Bessere eine mindere Qualität als gar keine.“
Jorge Ugarte ist „Erster Sekretär der Föderation der Kleinhändler“. Er macht Lobby für den Import dieser abgelegten Kleider.
„In Bolivien hängen nur vom Verkauf etwa 60.000 Personen ab. In dieser Zahl sind nicht nur die Verkäufer enthalten, sondern auch die Leute, die die Gebrauchtware bügeln, reparieren, waschen und verpacken. Dazu kommen noch diejenigen, die indirekt davon abhängen. Ich schätze, dass 300.000 Menschen in unserem Land davon leben.“
Ugarte ist sich keines Unrechtes bewusst. Gewiss, Einfuhr und Handel sind verboten, aber es gebe ein Gewohnheitsrecht. Es schade doch niemanden, oder? Dass es Zollbehörden und einen Grenzschutz gibt, weiß er natürlich. Aber das Finanzamt habe extra diese Kategorie des „vereinfachten Buchungswesens“ eingeführt, ganz illegal sei es also nicht.
Ein Händler mit weniger als 900 Euro Umsatz im Monat müsse keine Rechnungen ausschreiben. Dass die geschmuggelte Ware Arbeitsplätze in der einheimischen Textilindustrie vernichte, bestreitet er.
„Herr Porfirio Quispe befindet sich im Irrtum. Es gibt in Bolivien gar keine nationale Industrie, die wir kaputt machen könnten. Wir besitzen keine Rohstoffe, um eine Textilindustrie aufzubauen. Womit sollen wir Hemden, Röcke und Jacken herstellen? Ich bestreite nicht, dass wir über ausgebildete Fachkräfte verfügen.
Die teilen sich in zwei Kategorien ein, je nach der Qualität, die sie herstellen: Die einen produzieren sehr gute Ware für den Export und andere Billigware für den lokalen Markt. Hier werden Jeans für die Vereinigten Staaten genäht, dort bekommen sie lediglich das Etikett " Made in USA“. Diese Jeans werden in den USA getragen, bis sie in der Kleidersammlung landen, und kommen dann als Second-Hand-Ware zurück nach Bolivien, in ihr Herkunftsland. Was wir verkaufen, ist also „nationale Produktion“, auf indirektem Weg.“
Ohne Duldung von oben, würde sein Geschäft nicht laufen. Das gibt er zu. Mit Korruption habe dies nichts zu tun, so Ugarte:
„Unsere Föderation vertritt keine politischen Ziele und wir stehen nicht aus politischen Gründen jetzt auf der Seite von Evo Morales. Wir stehen gar keiner Partei nahe. Wir verteidigen das Recht auf Leben, wir müssen unsere Kinder ernähren. Wir sind als Organisation unpolitisch. Privat kann natürlich jeder machen, was er will.“
Was diese Seidenbluse kostet? 48 Bolivianos, meint die Verkäuferin, umgerechnet sechs Euro. Aber sie lässt mit sich reden: 45 Bolivianos – so das Angebot. Die Bluse, ist zu groß. Aber sie hat eine ähnliche, eine Nummer kleiner. Für vier Euro wird das Geschäft besiegelt. Rechnung oder Quittung? Nein, so etwas hat sie nicht! „Wir verwenden das vereinfachte Buchungswesen“, sagt sie lakonisch.
Das „vereinfachte Buchungswesen“ gibt es tatsächlich im bolivianischen Finanzrecht. Kleinunternehmer und Straßenhändler sind von der Zahlung der Mehrwertsteuer ausgenommen und der Fiskus verzichtet auf die Vorlage von Belegen. Sie zahlten praktisch keine Steuern, und die Volkswirtschaft verliere ein Vermögen, schimpft deshalb Porfirio Quispe, ein Textilunternehmer in La Paz.
„Bolivien hat in den Jahren 2000 bis 2005 über 500 Millionen Dollar verloren, 80 Millionen jährlich. Unsere Leute verlassen unser Land, um in Argentinien und Brasilien wie Sklaven zu arbeiten.“
Was in den reichen Ländern gesammelt wird, um den Armen der Dritten Welt zu helfen, habe in Bolivien 120.000 Arbeitsplätze vernichtet, rechnet Quispe vor. Er leitet, unter dem Dach der Industrie- und Handelskammer, das „Komitee zur Verteidigung der nationalen Industrie“.
Die Kammer führt seit vielen Jahren eine Kampagne gegen den Import von gebrauchten Kleidern. Bolivien sei zwar ein armes Land, doch auch ohne die abgelegte Garderobe aus dem Norden müsse niemand nackt herumlaufen.
„In den Achtzigerjahren existierte hier kein Second-Hand-Markt. Damals kamen die Bauern in die besseren Stadtviertel und boten ihre Produkte an, Kartoffeln, Käse, Hühner und Gemüse. Als Gegenleistung erhielten sie die aufgetragene Kleidung. Das war ein Tauschgeschäft zwischen Bolivianern. Dann jedoch brach das globale Geschäft mit den Lumpen über uns hinein. Zuerst verteilten die Kirchen diese Kleider kostenlos, als Spende an die Armen. Aber aus der Wohltätigkeit wurde sehr schnell ein Markt, der überall im Lande boomt. Die Kleidung muss, bevor sie verkauft wird, aufbereitet, repariert, genäht, gewaschen und gebügelt werden. Die Kirchen bezahlen für die Arbeit in Form von Kleidungsstücken, die die Leute dann auf eigene Rechnung verkaufen.“
Der 37-Jährige ist gelernter Schneider. In einem Shoppingcenter am Prado bietet er Lederwaren, Maßanfertigungen in Nappa, Schaf und Ziege an. Das Geschäft laufe schlecht, er sei nicht konkurrenzfähig. Jedes Jahr gelangten Container mit Millionen getragener T-Shirts, Schlüpfer, Jeans und Hemden nach Bolivien.
„1993 habe ich meine erste Firma gegründet. Ich habe sie mit Bankkrediten finanziert und konnte meinen Laden relativ schnell ausbauen. 97/ 98 waren für mich goldene Jahre, mit 35 festen Angestellten in der Werkstatt und fünf Bürokräften. Aber dann tauchte ab dem Jahr 2000 die preiswerte Second-Hand-Ware auf. So billig konnte ich nicht produzieren. Heute habe ich zwei Angestellte und ein Dutzend Maschinen, die in der Werkstatt verstauben. Nur noch eine oder zwei Nähmaschinen sind in Betrieb. Ich fertige heute ein bis zwei Stücke an, früher kam ich auf vierzig und mehr, jeden Tag.“
Dieser globale Lumpenhandel ist seit Jahren Streitpunkt in der bolivianischen Innenpolitik. Die einen betrachten ihn als unlautere Konkurrenz aus dem Ausland. Der Sprecher der Schmuggler hingegen, Jorge Ugarte, pocht auf das Gewohnheitsrecht:
„Wir haben das schon immer so gemacht und werden das so weiter machen. Da soll sich keiner beschweren.“
Morales hatte versprochen, den Handel mit Second-Hand-Kleidung zu unterbinden – so wie auch viele andere lateinamerikanische Regierungen die Einfuhr verbieten.
„Am Anfang seiner Regierung setzte sich Präsident Morales mit uns zusammen, denn er wollte Arbeitsplätze im produktiven Bereich schaffen. Er wusste, dass Schmuggel im großen Stil die einheimische Industrie zerstört. 2006 verbot er per Dekret die Einfuhr gebrauchter Kleidung. Er gab den Importeuren eine Frist von sechs Monaten, um auf andere Produkte umzusatteln. Ein staatlicher Fonds sollte den Importeuren beim Umsatteln helfen. Und er untersagte auch den Handel mit gebrauchten Kleidern.“
Zwischen 12 und 15 Familienclans zögen, die Fäden, meint Unternehmer Quispe, dazu komme ein Heer von Schiebern, Händlern und Helfershelfern. Der Schmuggel sei lukrativer als je zuvor und der Reichtum der Importeure nur noch mit dem der Rauschgifthändler zu vergleichen.
German Mamani hat eine kleine Werkstatt in El Alto, oberhalb von La Paz. Zwei mal die Woche ist in El Alto Markt, wo Waren aller Art feil geboten werden: Autoreifen, Elektrogeräte, Möbel und natürlich: Second-Hand-Klamotten. So gut wie alles ist illegal ins Land gekommen. Heute ist nicht Markttag, und man kann sich auf den Bürgersteigen bewegen. Am Straßenrand werden Suppen und Sandwiches angeboten. Hunde streunen herum und schnüffeln in Mülltüten, Omnibusse verpesten die Luft. La Paz ist eine arme Stadt, aber El Alto ist noch viel ärmer.
German steckt einen rostigen Schlüssel ins Eisentor. Von außen verrät nichts, dass sich dahinter eine Firma verbirgt.
Auf einem Schreibtisch in einem fensterlosen Raum stapeln sich Aktenordner und Stoffproben. Auch German ist auf die Second-Hand-Händler nicht gut zu sprechen. Er stellt unter anderem Pullover für den lokalen Markt her und muss mit den Importeuren konkurrieren. Germans Maschinen sind alt. Mit ihnen lässt sich keine Spitzen-Qualität produzieren.
„Das ist ein Teufelskreis. Um moderne Maschinen anzuschaffen, bräuchte ich Kredite, die ich mit künftigen Einnahmen zurückzahlen muss. Ich mache aber zu wenig Gewinn. Hier, sehen Sie, handgefertigte Handschuhe. Die stricken unsere Hausfrauen, in Heimarbeit. Das ist für sie sehr bequem, denn sie sind flexibel und können sich ihre Zeit frei einteilen. Sie versorgen nebenher ihre Kinder, kochen und putzen. Für uns stricken sie zu Hause, wenn sie eine freie Minute haben.
Pro Paar brauchen sie einen Tag, je nachdem, wie viel Zeit ihnen die Familie lässt. Wir bezahlen nicht nach Stunden sondern nach abgelieferten Stücken, 20 Bolivianos pro Paar, umgerechnet drei Euro. Wir geben ihnen die Wolle und die Modelle und nehmen ihnen die fertigen Stücke ab.“
German führt durch die Werkstatt: ein Schuppen mit mehreren Nähmaschinen. Nur drei Leute sind heute gekommen, es ist Montag, da ist das immer so. Eine Näherin sitzt vor einem halbfertigen Poncho. Vier Teile werden zugeschnitten und zusammengenäht. Sie sind für den lokalen Markt, werden auch von Touristen gekauft. Das Material ist aus Alpaka-Wolle oder „Seide“, meint die junge Frau. Seide ist hierzulande ein synthetischer Stoff und steht für: nicht grob.
Monica arbeitet seit drei Jahren in der Qualitätskontrolle. Sie ist 23 Jahre alt, ohne Kinder.
Diese Stola ist gerade fertig geworden, erzählt Monica. Die einheimischen Frauen tragen sie gerne am Wochenende. Sie kostet 30 Dollar. Poncho und Stola werden nur hier getragen, da gibt es keine Konkurrenz.
Ihr Kollege Santiago sitzt seit einem Jahr vor der Stickmaschine. Er näht Tischdecken und Stolas.
„Ich erhalte keinen Stundenlohn sondern werde nach Stückzahl entlohnt. Auf was ich es im Monat bringen kann? Maximal komme ich auf 1200 Bolivianos, 150 Dollar. Das ist sehr wenig Geld und jeden Tag steigen die Preise. Ich verstehe die Leute, die Second-Hand-Waren verkaufen, die ist billiger und die Leute haben kein Geld. Was wir hier herstellen, ist teurer. Aber ein Verbot ist nicht einfach durchzusetzen.“
Die Kunden schätzen die Second-Hand-Waren nicht nur wegen des Preises. Sie sind auch modischer als die groben Wollpullover aus heimischer Produktion. Laut einer Umfrage verfügen über siebzig Prozent der Käufer über ein mittleres Einkommen, drei Prozent sind sogar reich und nur ein Viertel arm. Wenn sie die Jeans und Blusen anziehen wollen, die sie im Fernsehen sehen, dann geht dies am einfachsten über Second Hand – so Jorge Ugarte.
„Es ist doch nicht nur gebrauchte Kleidung, die ins Land kommt, sondern auch neue Ware. Wir leben hier auf der südlichen Halbkugel, und wenn hier Winter ist, dann ist in Europa oder den USA schon Sommer und die Winterkollektion wird nicht mehr gebraucht. Was sie bis zum Frühling nicht verkauft haben, schicken sie her. Neue Klamotten oder fast neue, die nicht mehr der letzte Schrei sind. Natürlich ist auch Schund dabei, den woanders niemand kaufen will. Aber die Bolivianer sind so arm, dass sie sich nur diesen Schund leisten können. Bessere eine mindere Qualität als gar keine.“
Jorge Ugarte ist „Erster Sekretär der Föderation der Kleinhändler“. Er macht Lobby für den Import dieser abgelegten Kleider.
„In Bolivien hängen nur vom Verkauf etwa 60.000 Personen ab. In dieser Zahl sind nicht nur die Verkäufer enthalten, sondern auch die Leute, die die Gebrauchtware bügeln, reparieren, waschen und verpacken. Dazu kommen noch diejenigen, die indirekt davon abhängen. Ich schätze, dass 300.000 Menschen in unserem Land davon leben.“
Ugarte ist sich keines Unrechtes bewusst. Gewiss, Einfuhr und Handel sind verboten, aber es gebe ein Gewohnheitsrecht. Es schade doch niemanden, oder? Dass es Zollbehörden und einen Grenzschutz gibt, weiß er natürlich. Aber das Finanzamt habe extra diese Kategorie des „vereinfachten Buchungswesens“ eingeführt, ganz illegal sei es also nicht.
Ein Händler mit weniger als 900 Euro Umsatz im Monat müsse keine Rechnungen ausschreiben. Dass die geschmuggelte Ware Arbeitsplätze in der einheimischen Textilindustrie vernichte, bestreitet er.
„Herr Porfirio Quispe befindet sich im Irrtum. Es gibt in Bolivien gar keine nationale Industrie, die wir kaputt machen könnten. Wir besitzen keine Rohstoffe, um eine Textilindustrie aufzubauen. Womit sollen wir Hemden, Röcke und Jacken herstellen? Ich bestreite nicht, dass wir über ausgebildete Fachkräfte verfügen.
Die teilen sich in zwei Kategorien ein, je nach der Qualität, die sie herstellen: Die einen produzieren sehr gute Ware für den Export und andere Billigware für den lokalen Markt. Hier werden Jeans für die Vereinigten Staaten genäht, dort bekommen sie lediglich das Etikett " Made in USA“. Diese Jeans werden in den USA getragen, bis sie in der Kleidersammlung landen, und kommen dann als Second-Hand-Ware zurück nach Bolivien, in ihr Herkunftsland. Was wir verkaufen, ist also „nationale Produktion“, auf indirektem Weg.“
Ohne Duldung von oben, würde sein Geschäft nicht laufen. Das gibt er zu. Mit Korruption habe dies nichts zu tun, so Ugarte:
„Unsere Föderation vertritt keine politischen Ziele und wir stehen nicht aus politischen Gründen jetzt auf der Seite von Evo Morales. Wir stehen gar keiner Partei nahe. Wir verteidigen das Recht auf Leben, wir müssen unsere Kinder ernähren. Wir sind als Organisation unpolitisch. Privat kann natürlich jeder machen, was er will.“