Vom Lachen in der Hölle

Die Tagebuch-Aufzeichnungen der damals 15-jährigen Ana Novac sind ein Zeugnis der Schoah. Sie entstanden 1944 und beginnen dort, wo Schriftsammlungen wie von Anne Frank abbrechen. "Ihr werdet krepieren", lautet der erste Satz, den Ana Novac bei ihrer Ankunft in Auschwitz zu hören bekommt. Es ist der erste Satz, den sie aufzeichnet.
"Was meine Seele angeht, so ist sie eine veränderliche Größe zwischen fünf und fünftausend Jahren", schreibt die in Paris lebende Autorin Ana Novac im Vorwort ihrer überarbeiteten und neu übersetzten Tagebuchaufzeichnungen. Unter dem Titel "Die schönen Tage meiner Jugend" waren sie hierzulande 1967 schon einmal publiziert worden, fanden jedoch nicht das Echo, das sie unbedingt verdienen. Möglicherweise war der Resonanzraum für literarische Zeugnisse der Schoah damals kleiner.

Das vorliegende Tagebuch hat Ana Novac im Alter von 15 Jahren geschrieben. Vielleicht war sie auch etwas älter - zu ihrem Geburtsjahr gibt es divergierende Angaben. Unumstritten ist, dass die Tochter eines ungarischen Vaters und einer deutschen Mutter aus ihrer rumänischen Heimat im Sommer 1944 als Jüdin ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde. Bis zu ihrer endgültigen Befreiung im Mai 1945 sollte sie sechs weitere Lager kennenlernen.
Novacs Aufzeichnungen erstrecken sich über den Zeitraum Juni bis Oktober 1944.

Es existieren etliche Tagebücher von Jugendlichen aus der Zeit der Schoah. Sie bezeugen die Alltagsrealität Verfolgter unter dem NS-Regime und demonstrieren die Fähigkeit junger Menschen, sich von dem brachialen Terror nicht erdrücken zu lassen. Doch sind Novacs Aufzeichnungen nicht vergleichbar mit denen von Anne Frank, Petr Ginz, Mosche Flinker oder Dawid Rubinowicz. Diese beschreiben die Zeit vor ihrer Deportation. Novacs Tagebuch beginnt dort, wo die anderen abbrechen. "Ihr werdet krepieren", lautet der erste Satz, den Ana Novac bei ihrer Ankunft in Auschwitz zu hören bekommt, der erste Satz, den sie aufzeichnet. Das Verhalten und die Dialoge ihrer Mitgefangenen sowie des Wachpersonals hält sie fest.

Sie notiert kleine Gesten der Solidarität, Ausnahmen inmitten von Gewalt und erbarmungslosem Überlebenskampf. Der Leser bekommt einen desillusionierenden Einblick in ein System, das die Gefangenen auf den Tod des Nächsten hoffen lässt, um die Chance auf das eigene Überleben zu erhöhen. Sarkastisch ist der Ton, unsentimental der Blick der Autorin - auf sich selbst und die anderen. Mit der Möglichkeit zu erzählen, schafft sie sich einen Freiraum, mag er auch dreckig, blutig und kalt sein.

Ana Novac will nicht "Zeugnis ablegen" oder das Gedächtnis der Menschheit vervollständigen. Für sie ist Tagebuchschreiben "privates" Leben. Schreiben erlaubt ihr, wenigstens für kurze Momente nicht an den Hunger zu denken. Es bedeutet für sie, "ein Schlupfloch in der Hölle" zu finden. Ana Novacs ungarischer Text wurde in den 60er Jahren auf Rumänisch einem rumänischen Dichter diktiert, der ihn wiederum ins Französische übertrug. Bis heute mehrmals überarbeitet, hat er nichts von seiner Authentizität verloren.

"Die schönen Tage meiner Jugend" zeigen den Menschen erschreckend boshaft und überraschend gütig. Ana Novac berichtet vom Lachen in der Hölle und der Banalität des Todes. Und davon, dass Literatur beim Überleben hilft.

Rezensiert von Carsten Hueck

Ana Novac: Die schönen Tage meiner Jugend
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Mit farbigen Abbildungen
Schöffling & Co
Frankfurt am Main 2009
310 Seiten
22,90 EUR