Vom Kleinkriminellen zum Bestsellerautor

Von Roland Krüger |
Karl May ist mit seinen Geschichten von Winnetou, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi bis heute der deutsche Autor mit der höchsten Auflage. Rund 200 Millionen Exemplare wurden von seinen Büchern verkauft. Die Ausstellung „Karl May – Imaginäre Reisen“ im Deutschen Historischen Museum zeichnet das Leben des Schriftstellers nach.
„Wir lesen nur Dr. Karl Mays Reiseerzählungen. Da isses, das ist doch wunderbar!“

Rudolf Trabold, Pressereferent im Deutschen Historischen Museum, steht mit leuchtenden Augen vor einer Wand mit Fotografien, die Karl-May-Fans vor über hundert Jahren an ihr Idol geschickt haben. Zwei Schüler hatten sich damals professionell ablichten lassen und folgten einem Aufruf des Schriftstellers, Fanpost an ihn zu schicken. Rückmeldungen hatte er eben sehr gern.

Über den Winnetou-Starschnitt der BRAVO hätte er sich bestimmt auch gefreut, aber der kam erst 1963, und da war Karl May schon 51 Jahre tot. Pierre Brice, lebensgroß als Winnetou – wer könnte besser einstimmen in die Ausstellung über einen der produktivsten deutschen Schriftsteller?
Aber es geht um mehr als alte Indianer-Geschichten:

„Hier geht’s jetzt um das Leben von Karl May, wo kommt er her, was ist seine Familie, also wirklich der arme Webersohn, der zum Bestsellerautor aufsteigt. Das ist ja nicht nur in heutigen Tagen mit Harry Potter möglich, sondern das war Karl May auch. Er ist bis heute der deutsche Autor mit den höchsten Auflagen. 200 Millionen ungefähr, da müssen viele andere sich noch gewaltig anstrengen, um da nachzukommen.“

Jahrzehntelang hatte Karl May behauptet, die geschilderten Abenteuer tatsächlich erlebt zu haben, aber nach Amerika und in den Orient konnte er erst reisen, als seine Bücher ihn wohlhabend gemacht hatten. Die legendären Gewehre seiner Romanhelden, zum Beweis der vermeintlichen Weltreisen am Stammtisch äußerst nützlich, musste er noch von einem Büchsenmacher in Sachsen anfertigen lassen.

Karl May saß wegen Diebstahls und Betrugs im Gefängnis, das erfährt man in der Ausstellung, gezeigt werden aber auch die Reiseapotheke Karl Mays samt Chloroform und Salmiakgeist, sein Tropenhelm, Zeugnisse vom Besuch der Al-Aksa-Moschee, sein Schreibtisch, ein Gebetbuch des sudanesischen Mahdi, Karl May als Sphinx, zahlreiche Illustrationen und alle, wirklich alle Verfilmungen seiner Werke – bis hin zur Kalauer-Komödie „Der Schuh des Manitou“ von 2001. Im oberen Stockwerk des Deutschen Historischen Museums, dort, wo die realen Reisen des Schriftstellers im Mittelpunkt stehen, klebt ein Plakat:

„'Vortrag: Karl May, empor ins Reich der Edelmenschen‘, in den Sophiensälen in Wien, er hat diesen Vortrag wenige Tage vor seinem Tod in Wien gehalten und hat dort Berta von Suttner getroffen, also die Friedensnobelpreisträgerin, sie treffen sich, sie schreibt ihm, wir haben gemeinsame Vorstellungen miteinander, ja, und wir wissen, dass in diesem Vortrag, am 22. März 1912 in Wien auf einem billigen Stehplatz ein Mensch stand, der nicht auf dem Weg zum Frieden war – Adolf Hitler.“

Die Fans von Winnetou werden vermutlich ein paar Schritte weiter andächtig vor einer Vitrine stehen bleiben, in der etwas gezeigt wird, das sie als weinende Jugendliche schon einmal auf der Leinwand oder im Fernsehen gesehen haben: Ein Winnetou-Kostüm:

„Nicht eins, sondern DAS Kostüm aus Winnetou III, das Pierre Brice getragen hat ...“

Und man erwartet ein Loch in Höhe des Herzens, denn in diesem Kostüm starb – für uns alle sichtbar – der tapfere Häuptling der Mescalero-Apatschen. Spätestens hier in der Ausstellung tritt hinter dem Autor Karl May, der sich selbst so gern ins rechte Licht rückte, der Visionär hervor. Karl May als Vermittler der Blutsbrüderschaft, des Verständnisses zwischen Bleichgesichtern und Rothäuten und der Zuversicht, dass alles gut werden kann, wenn man sich dafür einsetzt:

„Winnetou: „Mein Bruder möge mit mir kommen.“ – Old Shatterhand: „Es war das erste Mal, dass er mich seinen Bruder nannte."“

Service: Die Ausstellung „Karl May – Imaginäre Reisen“ ist vom 31. August 2007 bis zum 6. Januar 2008 im Deutschen Historischen Museum zu sehen.