Vom Idyll zum Albtraum
Geradezu paradiesisch-freizügige Verhältnisse herrschten im irischen Galway des Jahres 1554, das Jürgen Lodemann in seinem Roman "Paradies, irisch" beschreibt. Doch wenig überraschend gibt es auch dort eine Schlange, die Tragödien und Chaos über den Ort bringt.
Jürgen Lodemann, Jahrgang 1936, hat 21 Bücher geschrieben und wurde mit vier Literaturpreisen ausgezeichnet. Unter die großen Schriftsteller Deutschlands schrieb er sich 2002 mit seiner Neufassung der Nibelungen-Saga "Siegfried und Krimhild".
30 Jahre war Lodemann Redakteur und Moderator beim SWF, er hat 26 Dokumentarfilme gedreht und schon in den 60er-Jahren, lange vor Reich-Ranicki und Heidenreich, eigene Literatur-Talk-Shows moderiert. In den 80ern war er Vizepräsident des Deutschen PEN, nach fünf Gastprofessuren in Deutschland und den USA ist er seit 2005 ordentlicher Professor für Literatur in NRW. Nun ist Lodemanns neuer Roman "Paradies, irisch" erschienen.
Der authentisch recherchierte historische Roman, die Familiensaga der Familie Lynch, spielt in der irischen Stadt Galway des Jahres 1554. Zu diesem Zeitpunkt herrschten paradiesische Zustände in dem Stadtstaat Galway: einmal politisch, weil Galway die vielleicht toleranteste und friedlichste Stadt in Europa war, mit Religionsfreiheit, Handelsfreiheit und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz.
Und paradiesisch muss auch die Einstellung der Menschen in Galway gegenüber dem Leben gewesen sein, wenn man Kriterien wie reichlich Alkohol und Sex dafür zugrunde legt - eine Steilvorlage, die Jürgen Lodemann zu großen literarischen und anderen Höhepunkten nutzt.
Aber eben kein Paradies ohne Schlange. Die ist natürlich weiblich und heißt hier Agnes. Ihre Lust auf Sex verwandelt die paradiesische und episch geschilderte Stadt in nur einer Nacht in eine große Shakespeare-Tragödie: eine Art Romeo-und-Julia-Geschichte, gesteigert zu einer Dreiecks-Tragödie. Der zweite Haupttopos des Romans ist ebenfalls biblischer und tragischer Natur: "Vater opfert Sohn", so wie Gott seinen Sohn Jesus. Oder noch archaischer formuliert: Das Große frisst das Kleine.
Innerhalb von fünf Tagen brechen Dynastien zusammen, aus der "Goldenen Stadt" Galway wird ein Albtraum, ein orgiastisches, höchst spannend-dramatisches Zeitgemälde, von Lodemann hollywoodmäßig inszeniert. Lodemann ist ein Meister des klassischen Romans: Spannungsaufbau, Handlungsführung, Atmosphäre und Beschreibung.
Sein Stil ist souverän, er wechselt zwischen der Sprache der Renaissance und modernem Expressionismus, mal zart poetisch, mal experimentell, mal barock: Beim Sex "schimmerten ihre Hinterkugeln wie Milch in den Wannen".
Lodemann mag's überhaupt gerne drastisch, und er provoziert auch gerne - und ihm gelingt dabei ein sowohl shakespearischer wie auch moderner Drahtseiltanz zwischen Comic und antikem Theater, wo jedes Wort auf des Messers Spitze steht:
" (…) die Möwen stehen im Aufwind. (…) Sah die glänzenden Seevögel, wie sie nach einer geringen kippenden Bewegung der Flügel seitwärts wegschossen. Ja, fand er, so ist das alles. Ein winziges dummes Wort, und alles Schöne und Glänzende kippt, stürzt weg."
Lodemann gilt fälschlicherweise immer noch als Geheimtipp, dabei gehört er zu den großen zeitgenössischen deutschen Schriftstellern. Aber wie auch Günter Grass ist Lodemann ein Autor, der sich radikal dem Mittelmaß verweigert und die Messlatte - was Sprache, Sinn für Humor und politisches Engagement betrifft - sehr hoch anlegt; allerdings mehr für Kritiker als für Leser.
Das Magazin "Playboy" nannte Lodemanns Literatur "saftig". Wie heißt es in der Pfefferminzbonbon-Werbung: "Ist er zu stark, bist du zu schwach."
Rezensiert von Lutz Bunk
Jürgen Lodemann: Paradies, irisch
Klöpfer & Meyer Verlag 2008
406 Seiten, 24.00 Euro
30 Jahre war Lodemann Redakteur und Moderator beim SWF, er hat 26 Dokumentarfilme gedreht und schon in den 60er-Jahren, lange vor Reich-Ranicki und Heidenreich, eigene Literatur-Talk-Shows moderiert. In den 80ern war er Vizepräsident des Deutschen PEN, nach fünf Gastprofessuren in Deutschland und den USA ist er seit 2005 ordentlicher Professor für Literatur in NRW. Nun ist Lodemanns neuer Roman "Paradies, irisch" erschienen.
Der authentisch recherchierte historische Roman, die Familiensaga der Familie Lynch, spielt in der irischen Stadt Galway des Jahres 1554. Zu diesem Zeitpunkt herrschten paradiesische Zustände in dem Stadtstaat Galway: einmal politisch, weil Galway die vielleicht toleranteste und friedlichste Stadt in Europa war, mit Religionsfreiheit, Handelsfreiheit und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz.
Und paradiesisch muss auch die Einstellung der Menschen in Galway gegenüber dem Leben gewesen sein, wenn man Kriterien wie reichlich Alkohol und Sex dafür zugrunde legt - eine Steilvorlage, die Jürgen Lodemann zu großen literarischen und anderen Höhepunkten nutzt.
Aber eben kein Paradies ohne Schlange. Die ist natürlich weiblich und heißt hier Agnes. Ihre Lust auf Sex verwandelt die paradiesische und episch geschilderte Stadt in nur einer Nacht in eine große Shakespeare-Tragödie: eine Art Romeo-und-Julia-Geschichte, gesteigert zu einer Dreiecks-Tragödie. Der zweite Haupttopos des Romans ist ebenfalls biblischer und tragischer Natur: "Vater opfert Sohn", so wie Gott seinen Sohn Jesus. Oder noch archaischer formuliert: Das Große frisst das Kleine.
Innerhalb von fünf Tagen brechen Dynastien zusammen, aus der "Goldenen Stadt" Galway wird ein Albtraum, ein orgiastisches, höchst spannend-dramatisches Zeitgemälde, von Lodemann hollywoodmäßig inszeniert. Lodemann ist ein Meister des klassischen Romans: Spannungsaufbau, Handlungsführung, Atmosphäre und Beschreibung.
Sein Stil ist souverän, er wechselt zwischen der Sprache der Renaissance und modernem Expressionismus, mal zart poetisch, mal experimentell, mal barock: Beim Sex "schimmerten ihre Hinterkugeln wie Milch in den Wannen".
Lodemann mag's überhaupt gerne drastisch, und er provoziert auch gerne - und ihm gelingt dabei ein sowohl shakespearischer wie auch moderner Drahtseiltanz zwischen Comic und antikem Theater, wo jedes Wort auf des Messers Spitze steht:
" (…) die Möwen stehen im Aufwind. (…) Sah die glänzenden Seevögel, wie sie nach einer geringen kippenden Bewegung der Flügel seitwärts wegschossen. Ja, fand er, so ist das alles. Ein winziges dummes Wort, und alles Schöne und Glänzende kippt, stürzt weg."
Lodemann gilt fälschlicherweise immer noch als Geheimtipp, dabei gehört er zu den großen zeitgenössischen deutschen Schriftstellern. Aber wie auch Günter Grass ist Lodemann ein Autor, der sich radikal dem Mittelmaß verweigert und die Messlatte - was Sprache, Sinn für Humor und politisches Engagement betrifft - sehr hoch anlegt; allerdings mehr für Kritiker als für Leser.
Das Magazin "Playboy" nannte Lodemanns Literatur "saftig". Wie heißt es in der Pfefferminzbonbon-Werbung: "Ist er zu stark, bist du zu schwach."
Rezensiert von Lutz Bunk
Jürgen Lodemann: Paradies, irisch
Klöpfer & Meyer Verlag 2008
406 Seiten, 24.00 Euro