Vom homme de lettres zu pommes de terre

03.03.2008
Bill Buford war lange Jahre Literaturredakteur beim "New Yorker", schmiss den Job aber mit Ende 40 hin, um in einem New Yorker Restaurant als Küchenlehrling anzuheuern. Die Beschreibungen seiner Abenteuer in dieser harten Schule des Kochens und seine Reisen zu Pastamanufakturen in Italien verknüpft er mit einem Plädoyer für einen bewussteren Umgang mit Essen.
Auf dem Umschlag des Buches ein kräftiger Mann, ein rosa Ferkel über der Schulter, vor einem Eisschrank stehend. Man ahnt, hier will einer zu Werke gehen, will ein Schwein selber zerlegen und entbeinen, will wissen, wie aus einem Tier eine Lende, ein Steak, ein Schinken wird.

Der amerikanische Reporter und Autor Bill Buford ist ein Besessener. Wenn ihn ein Thema gepackt hat, dann taucht er ein, bis auf den Grund, dann will er es erforschen und mit dem Kopf und allen Sinnen begreifen. Dieses Mal geht es ums Kochen, ums Essen, um Zutaten und Zubereitung.

"Hitze", heißt das Buch, und heiß geht es zu in der Küche des New Yorker Restaurants "Babbo", in dem der Autor es über ein Jahr als Küchenlehrling und Unterkoch ausgehalten hat. Ein hartes Jahr. Mit Verletzungen durch gewetzte Messer, siedendes Öl und kochendes Wasser. Und jeden Abend Hetze, Hitze, Enge. Man wird schon beim Lesen nervös ob der schieren Überforderung, der unbeschreiblichen hier beschriebenen Strapaze, die es bedeutet, Hunderte von exzellenten Mahlzeiten an einem Abend auf die Minute genau fertig zu stellen.

Dazu noch die ätzende Verachtung des Küchenchefs, wenn ein Petersilienblatt gewelkt, ein Broccoliröschen verkocht, ein Fisch ein wenig bröckelnd geraten ist. "Neu anrichten", bellt die unerbittliche Stimme, "neu anrichten". Und der so Gescholtene rennt zum Herd, in den Kühlraum, zum Grill, um die ganze Prozedur noch einmal, dem heulenden Elend nahe, zu wiederholen, das Gewünschte perfekt und elegant auf den Teller zu bringen.

Bill Buford ist eigentlich kein Koch. Er ist Verleger, Schreiber, ein Wortmensch. Mitbegründer der legendären Literaturzeitschrift "Granta", dann lange Literaturredakteur beim "New Yorker". Er schmeißt diesen begehrten Job hin, um monatelang zu lernen, Karotten so zu würfeln, dass die Postenköchin zufrieden ist.

Er ist Ende vierzig, ein gestandener Mann, erfolgreich im Leben, von klugen Menschen geachtet - doch als seine ersten Karottenscheiben, Hunderte davon, in den Müll geworfen werden, weil sie falsch geschnibbelt sind, da fühlt er sich so gedemütigt und elend, dass er Tage braucht, bevor er diese Schmach irgendjemandem erzählen kann.

Es ist ein glänzend geschriebenes Buch. Eine mitreißende literarische Reportage. Buford geht nach Italien, um zu lernen, wie man Pasta macht, wird Lehrling bei einem Dante zitierenden Metzger. Er vergräbt sich in Büchern, weil er wissen will, wann der Pastateig zum ersten Mal mit einem Ei gemacht worden ist. Liest sich durch die Jahrhunderte. Recherchiert beim Pasta Museum in Rom und in Universitätsbibliotheken.

Das Buch ist auch eine Kulturgeschichte des Essens. Und ein Buch über Menschen und Regionen, über Weinberge und Gemüseanbau und die Frage, womit ein Schaf, ein Rind eigentlich gefüttert werden, bevor es auf unsere Teller gelangt. Ein Buch über Tradition und die Moderne. Eine Suche nach der verlorenen Zeit und dem verlorenen Geschmack. Es ist auch ein Buch über den Verlust. Den Verlust der Esskultur, des alten Wissens, der bäuerlichen Strukturen, gesunder Landschaften.

Man kann das Buch nicht lesen, ohne über den Zustand der Welt nachzudenken. Ja, auch über das so vielgescholtene Wort Werteverlust. Wir verlieren unentwegt, Tag für Tag, und nennen das Fortschritt. Ein kluges und spannendes Plädoyer für die bewusste Wahrnehmung nicht nur des Essens. Und ein Hieb gegen all die Dosenfutterschlucker und Mikrowellenkostaufwärmer dieser Welt, die den Bezug zum Essen verloren und damit auch ein Stück ihrer Menschlichkeit eingebüßt haben.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

Bill Buford: Hitze. Abenteuer eines Amateurs als Küchensklave, Sous-Chef, Pastamacher und Metzgerlehrling
übersetzt von Dinka Mrkowatschki
Hanser Verlag 2008
384 S., EUR 24,90