Vom hebräischen Theaterkollektiv zum israelischen Nationaltheater

Von Natascha Freundel |
Vor 90 Jahren trat in Moskau zum ersten Mal das "Habima-Theater" vor ein Publikum. Hier spielte eine professionelle Truppe Theater auf Hebräisch, das war im revolutionären Russland eine Sensation. Mitte der 20er Jahre ging "Habima" auf Welttournee. Heute ist Habima das Nationaltheater Israels. Der 90. Geburtstag wurde am Wochenende mit einem Festival begangen.
Sie waren Osteuropäer, die in Moskau die hohe Theaterkunst lernen wollten: Schon 1909 soll der Lehrer Nachum Zemach in Litauen und Polen Mitstreiter für eine hebräische Theatergruppe gesucht haben. In Warschau traf Zemach auf die angehende Erzieherin Channa Rowina. Ihre Qualifikation: Hebräisch-Kenntnisse und Schultheater-Erfahrungen.

Im revolutionären Moskau nahm der Traum von Zemach und seinen Freunden Gestalt an: Ein Kollektiv mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Beteiligten wurde gegründet. Konstantin Stanislawskij nahm Habima in sein Künstlertheater auf. Sein Meisterschüler Jewgenij Wachtangow wurde ihr Leiter. Die Geburt des modernen hebräischen Theaters aus dem Geist der Folklore, mit Stücken wie "Der ewige Jude", "Golem" und "Der Dybbuk". Shimon Levy, Theaterwissenschaftler in Tel Aviv:

"Das hebräische Theater hat formell eigentlich mit dem Dybbuk angefangen, mit dieser legendären Produktion von Wachtangow damals in Moskau, in Habimah. 'Dybbuk' wurde ungefähr 1300 Mal gespielt, war ein enormer Success überall auf der Welt, kritikweise und auch populär und Habimah ist ein paar Jahre später nach Tel Aviv gezogen, nochmal nach Berlin, nochmal zurück, aber wurde dann sehr bald das national-hebräische Theater."

Am Wochenende beim Habima-Festival zum 90. Jahrestag war die Stimme Channa Rowinas wieder zu hören. Wie aus ferner Vergangenheit, am Schluss einer elegisch-huldvollen Tanztheater-Adaption des "Dybbuk"-Stoffs. In "Der Dybbuk", geschrieben Anfang des 20. Jahrhunderts auf jiddisch von dem russisch-jüdischen Ethnologen Anski, ins Hebräische übertragen von dem späteren israelischen Nationaldichter Chaim Nachman Bialik, wird Lea vom Geist ihres Geliebten Chanan in Besitz genommen. "Der Dybbuk" beherrscht ihren Körper.

"Zu jener Zeit zu machen so ein Stück, war viel Mut. Dieses Stück hat so viele Elementen, einerseits diese mystischen Elementen, die freudianischen Elementen, die es hat. Und unter das haben wir so eine Passion, welche ist so anlockend. Dieses Wollen, befreien den Körper, die Seele. Ich glaube, das Stück hat schrecklich viel Sexualität in sich."

Lia Koenig, die große alte Dame von "Habima", kam 1961 aus Lodz über Czernowitz und Bukarest nach Israel. Wenn sie über die Anfänge des Hauses spricht, strahlen ihre Augen sehnsüchtig:

"Was die haben ja gehabt, diese Eigensinnigkeit zu schaffen hier ein Theater. Viele haben das überhaupt vergessen. Alles was gemacht wurde, wurde gemacht sogar mit Zankerei, aber es war von drinnen. Es hat gekocht."
In den heutigen Inszenierungen von Habima ist keine Spur mehr zu entdecken von der sagenhaften Bühnensprache eines Wachtangow: Er konnte kein Hebräisch; expressionistisches Gestenspiel, stark überschminkte Gesichter, Schriftzeichen begeisterten Mitte der 20er Jahre - als die Truppe durch die Welt tingelte - vor allem in Berlin ein Publikum, das ein schwärmerisch verklärtes Bild vom Ostjudentum pflegte. Der deutsch-jüdische "Kreis Freunde der Habima" war es auch, der 1931 und wohl ohne die nahenden finsteren Zeiten zu ahnen, finanziell und organisatorisch für die Übersiedlung der Truppe nach Palästina sorgte. (30) 3'25

Shelly Zer-Zion: "Mit Habima es war gar nicht klar, dass sie nach Palästina wollen. Die deutsche Hilfsorganisationen schicken Habima nach Palästina, obwohl die Schauspieler waren gar nicht zufrieden damit."

So die Habima-Forscherin Shelly Zer-Zion. 1945 wurde in Tel Aviv das Nationaltheatergebäude nach Entwürfen des Volksbühnen-Architekten Oskar Kaufmann eröffnet. Ende der 60er Jahre fand der letzte der vielen Umbauten statt, zugleich löste man die Kollektivstrukur auf.

Zhenja Dodina als "Anna Karenina" in der Inszenierung des Habima-Direktors Ilan Ronen. Obwohl die aus Russland stammende Dodina seit mehreren Jahren in Israel spielt, haben manche hier Schwierigkeiten, ihr russisch eingefärbtes Hebräisch zu verstehen.

Das israelische Nationaltheater heute: 1300 oft ausverkaufte Vorstellungen im Jahr, ein Repertoire zwischen "Anna Karenina" und "Antigone", zwischen Lars Noren und Thomas Winterberg. Dabei viel Theaterbudenzauber an der Rampe, selten ästhetisch und auch politisch kühne Inszenierungen. Das zu etwa 30 Prozent subventionierte Theater möchte das Publikum nicht überfordern, hört man immer wieder.

Lia Koenig: "Ja - wir haben das Problem mit dem Stil. Vergessen Sie nicht, dass es ein junges Theater ist. Wenn die sind gekommen von Russland die erste Gruppe äh mit dem pathetischen Ton, mit den Akzent und langsam, langsam es geht weg. Aber es hat sich noch nicht geschaffen ein Stil. Wenn wir fahren nach London - du spürst die Tradition. Bei uns sucht man sie noch."

Nun steht ein Neuanfang an: Der israelische Stararchitekt Ram Carmi baut an der Stelle des abgerissenen alten Hauses eine hochmoderne Adaption des Kaufmann-Entwurfs. Ende 2009 soll man im Zentrum Tel Avivs einen strahlend weißen Theaterbau finden, der auf dem Papier wie eine Ufo-Version der Berliner Volksbühne aussieht. Man möchte dem Haus wünschen, dass hier ein feuriger Theaterdybbuk einzieht.